Abstracts der Vorträge

Festrede: Europa: Öffne deine Augen

Prof. Dr. Nasr Abu Zayd

Die aktuelle Situation, besonders die von den USA angeführte Kampagne „Krieg gegen den Terror“, die zu dem Machtgewinn der Ideologie der Terroristen – USA gegen SIE – geführt hat, erscheint sehr entmutigend. Und das ist sie auch. Nichtsdestotrotz wäre die Entscheidung aufzugeben selbstmörderisch, dies müssen wir unbedingt vermeiden. Stattdessen müssen wir in den Tiefen unserer gemeinsamen Geschichte als Menschen nach den kulturellen Wurzeln unserer Menschlichkeit suchen. Der moderne, fortschrittliche und mächtige Westen, was auch immer das Konzept „Westen“ ausmacht, muss endlich erkennen, dass sein wissenschaftlicher und technischer Fortschritt nur möglich war, weil er darauf aufbaute, was frühere Zivilisationen, darunter auch die der Muslime, bereits erreicht hatten. Muslime sollten wiederum die historische Tatsache anerkennen, dass auch die Araber, die ursprünglich die islamische Botschaft in die Welt trugen, die große Zivilisation des Islam nicht hätten allein aufbauen können. Möglich war dies nur durch die multikulturelle, multiethnische und multireligiöse Zusammensetzung der Dynastien der Umayyaden und der Abbasiden, ganz zu schweigen von der der Fatimiden im Osten und der andalusischen im Westen. Diese Zusammensetzung förderte die Aufgeschlossenheit in den Bereichen Philosophie, Theologie, Mystik, Recht und Kultur, die für die muslimische Zivilisation charakteristisch ist. Wichtiger noch sowohl für den Westen als auch für die muslimische Welt ist die Erkenntnis, dass die Unterscheidung zwischen ihnen rein künstlich ist. Der Islam ist mittlerweile ein Teil des Westens, genauso wie der Westen auch überall in der Welt des Islam präsent ist. Besonders Europa muss sich wieder der farbenprächtigen Zusammenstellung seiner Mitbürger zuwenden; eine weiße Hautfarbe ist nicht mehr inhärent europäisch. Zudem muss Europa seine Identität neu definieren, um den Islam mit offenen Armen anzunehmen, nicht unbedingt als Religion, sondern als ein unentbehrlicher Bestandteil seiner kulturellen Identität, die sich gerade im Wandel befindet.

 

 

Europa und seine Ausländer:Vom Eurozentrismus zum Multikulturalismus

Dr. Ralph Ghadban

Mit der Aufteilung der Welt unter den europäischen Mächten siegte der Eurozentrismus in Europa und prägte die Kolonialtheorie, die zwischen modernem und traditionellem Sektor unterschied. Im ersten wirkten die europäischen Kolonialherren, die die wirtschaftliche Ausbeutung organisierten, und der Rest war traditionell, tribal, segmentär und stand außerhalb der Geschichte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg holten die Europäer im Rahmen der Arbeitsmigration die Kolonien zu sich in die Metropolen. Sie wollten die Arbeitsemigranten nur ausbeuten und dachten nicht daran, sie zu integrieren. Sie glaubten, sie würden irgendwann in ihre Heimat zurückkehren. Es kam anders.

Die Ausländer blieben und erkämpften mit Hilfe des Rechtstaates und durch die Unterstützung von linken, humanistischen und kirchlichen Gruppierungen ihre Gleichstellung mit den Einheimischen. Die ideologisierte Auseinandersetzung führte jedoch nicht zur Integration, sondern zum Multikulturalismus. Die früher abgeschotteten und verachteten ausländischen Gemeinden blieben abgeschottet, wurden aber jetzt respektiert.
Sie waren unter der Politik des Multikulturalismus in der Lage, ihre Parallelgesellschaften aufzubauen, sie traditionell zu verankern und die Moderne abzulehnen. Die Trennung, die die Europäer in ihren Kolonien damals errichtet haben, gedeiht nun bei ihnen zu Hause. Das ist eine Umkehrung der kolonialen Verhältnisse. Sogar ideologisch findet eine Umkehrung statt: Der Islamozentrismus hat längst den Eurozentrismus überholt. Die Europäer waren nie über die Ankunft der Dritte-Welt-Ausländer erfreut. Sie waren eher verunsichert. Die wachsende Demographie der Ausländer und ihr Unwille, sich zu den Grundlagen der westlichen Demokratie zu bekennen, stürzten die Europäer in eine Identitätskrise, die ihren Höhepunkt in der Diskussion über die europäischen Verfassung und den EU-Beitritt der Türkei erreichte. Seitdem versucht Europa, seinen Weg zu finden.

 

 

Kulturfestung Europa: Zur Notwendigkeit und Unmöglichkeit europäisch zu sein

Prof. Dr. J. Peter Burgess

Der Einfluss der Globalisierung hat bei dem Integrationsplan in Europa schon immer eine zentrale Rolle gespielt. In der Tat wurde der Aufbau Europas selbst oftmals als Versuch gedeutet, den globalen Prozessen auf politische und institutionelle Weise zu begegnen. Einerseits ist eine neue Wechselhaftigkeit im Kulturraum Europas zu beobachten, ein schneller gewordener Austausch zwischen dem Europäischen und dem Nicht-Europäischen. Andererseits erwächst aus den zunehmend restriktiven Einwanderungsbestimmungen der Aufbau einer regelrechten Kulturfestung. Unsicherheit im Hinblick auf die eigene Kultur wird zum Hauptmerkmal der europäischen kulturellen Identität. Diese Identität, so könnte man annehmen, befindet sich im Belagerungszustand. Doch wie diese Abwehrhaltung, die Hilflosigkeit und die Opferrolle, die Europa bei dem Thema Immigration gerne einnimmt, den Einwandererstrom von undokumentierten Nicht-Europäern nicht aufzuhalten vermag, so verliert auch die vorbeugende Absicht der europäischen kulturellen Identität ihre Unschuld. Die europäische kulturelle Identität wird bereits von ihrer anderen durchdrungen, und kann sich kaum an etwas anderes erinnern. Die Erfahrung des politischen „Ausländers“ gleicht mehr und mehr der Erfahrung des „Einheimischen“. Zudem ist die nicht-europäische Kultur, die sich mitten unter uns befindet, nahezu europäischer als Europa selbst. Ein Nicht-Europäer in Europa zu sein ist nicht mehr sonderbar, nicht die Ausnahme, sondern vielmehr ein Muster für eine neue Generation von Europäern, Fremde im eigenen Heim.

 

 

Und schließlich unterliegt der Einzelne

Michael March

Für Heidegger ist „Poesie eine Denkweise.“
Wir sehen Europa in kultureller Hinsicht.
Ist Europa „die Landmasse hinter Griechenland“, so besteht sie im Wesentlichen aus Ideen.
Wir sehen ihre Gedanken.
Wir erkennen, dass Politik und Literatur keine demokratischen Organe sind.
Wir, die Europäische Union, als ein sich Land einverleibendes Imperium ohne Kultur, im Namen der Unternehmenskultur.
Auch zu besten Zeiten können die Menschen eigentlich nicht zusammen leben. Und doch gibt es ein Zusammenleben durch ein kulturelles Erbe, das nun der Umlauf billiger Arbeitskräfte, das Märchen von offenen Grenzen, abschwächt, bevor es durch eine schlecht konzipierte europäische Armee, die nur auf ihren Auftritt wartet, noch weiter geschmälert wird.
„Und schließlich unterliegt der Einzelne“, meint Joseph Roth.

 

 

Leben als muslimische Minderheit – Bildung, Integration und Multikulturalismus

Dr. Tahir Abbas

Diese Arbeit ist eine introspektive, ethnographische Darstellung der Probleme und Debatten in Bezug auf die Bildung muslimischer Minderheiten in Großbritannien. Ich werde die Rolle sozialer Klassen untersuchen, den Einfluss von Schulen und die Beziehungen zwischen dem Zuhause und der Schule sowie das Wesen der Gesellschaft als solches und ihre Beziehung zu pädagogischen Erfolgen, und die viel versprechende Entwicklung einer multikulturellen Gesellschaft, die sich in ihrer Verschiedenheit, aber auch in ihrer Einheit wohl fühlt. Ich werde auch über Geschlechter- und Identitätsrollen sprechen, warum sie besonders für junge Männer ein wichtiges Thema darstellen, und auch darüber, wie sie in dem aktuellen Klima, der Situation nach dem 7. Juli 2005, ausgelebt werden.

 

 

Leben in einer Parallelwelt – Ohne Chance auf Integration?

Serap Çileli

Mehr als 2,8 Millionen türkischstämmige Menschen leben seit drei Generationen in Deutschland und bilden nach den Einheimischen, die größte ethnische Minderheit. Die dritte Generation – etwa 700 Tausend junge Mitbürger, geboren, aufgewachsen und verheiratet in Deutschland. Integration von Deutschtürken ist gegenwärtig in aller Munde. Wie sieht es aber in der Realität aus?

  • Spagat zwischen Tradition und Moderne
  • Die massive Präsenz türkischer Medien: Integrationshemmend oder -fördernd?
  • Islamische Kindergärten, Korankurse in Deutschland: Ein neuer Weg zur Integration?
  • Parallelgesellschaft: Ehrenmorde, Zwangsheirat.

Integration: Dahinter steckt die entscheidende Frage, wenn wir uns in der Zukunft mit Integrationspolitik befassen wollen: Was verbindet uns? Was trennt uns?

 

 

Mein Weg nach Europa: Wann komme ich an?

Veye Wirngo Tatah

Worin besteht Europas wichtigste Aufgabe/Herausforderung hinsichtlich der Integration von Immigranten und in welcher Weise beeinflusst diese Integration die europäische Identität?

Geografisch gesehen besteht Europa aus vielen Ländern mit unterschiedlichen Sprachen und Kulturen, die Grenzen sind offen. Europa hat seit langem eine multikulturelle Identität.
Europa tut sich schwer, Nicht-EU-Migranten in das gesellschaftliche Leben zu integrieren.
Gleichgültig wie lange man in Europa gelebt hat, als Migrantin in Europa wird einem tagtäglich vor Augen geführt, dass man eine Fremde ist und nicht dazu gehören wird. Die wichtigsten Herausforderungen für Europa ist nach meiner Meinung, die Migranten mit ihren unterschiedlichsten Farben und Kulturen zu akzeptieren, ihnen ein Zugehörigkeitsgefühl zu geben, Chancengleichheit in Bildung und im Beruf gewährleisten und die Bekämpfung des zunehmend gewalttätigen und latenten Rassismus. Eine erfolgreiche Integration in Europa wird zu einem starken und einflussreichen Europa in der Welt führen.

 

 

Heimat der Aufklärung: Europa aus amerikanischer Sicht

Prof. Dr. Susan Neiman

Die Aufklärung ist in den Köpfen der Europäer geboren, in der Politik der Amerikaner realisiert, und von dort nach Europa zurückgekehrt. Spätestens seit der Regierung von George W. Bush ist Europa der Ort, an dem die Werte der Aufklärung am weitesten aufrechterhalten werden. Doch kaum ein Europäer ist stolz darauf. In Europa wird nicht nur eine postmoderne antiaufklärerische Haltung gefordert, sondern auch eine – übrigens ursprünglich von der Aufklärung selbst ausgehende – Selbstkritik, die allerdings Europas eigene Stärke unterminiert. Ich werde dafür plädieren, dass Europäer die wichtige globale Rolle annehmen, die sie – und die Welt – jetzt dringend brauchen.