Karlsruher Gespräche 2015 - Abstracts der Vorträge

Globale Zivilgesellschaft: Eine neue Form der Bürgerschaft im globalen Zeitalter
(Global Civil Society: A New Kind of Citizenship in the Global Age)

Prof. Dr. Martin Albrow

Im globalen Zeitalter übernimmt die globale Zivilgesellschaft eine kreativ-transformative Aufgabe: die Menschheit vor den selbstzerstörerischen Kräften der Moderne zu bewahren. Die globale Zivilgesellschaft befasst sich mit der Globalität des menschlichen Daseins und zeigt der aggressiven Rivalität zwischen Nationalstaaten und der unstillbaren Gier des neoliberalen Kapitalismus Grenzen auf. Die globale Zivilgesellschaft bildet hierzu endlich eine ausgleichende Kraft.

Die Bürgerschaft existiert ursprünglich nur in einer politischen Gemeinschaft, doch appelliert sie implizit durchaus an Werte, die darüber hinausgehen. Oder wie Sokrates uns über die Zeiten hinweg zuruft (zitiert nach Plutarchs Über die Verbannung): „Ich bin weder Athener noch Grieche, sondern ein Bürger der Welt.“ Um es in der philosophischen Sprache unserer Zeit zu sagen: Die Bürgerschaft ist etwas Performatives und der Staat ihr Ergebnis. In einer globalisierten Welt sprengt die Bürgerschaft die herkömmlichen Grenzen und öffnet sich der Diversität.

Die globale Zivilgesellschaft ermöglicht eine neue Art der Bürgerschaft und eine Weiterentwicklung herkömmlicher europäischer Vorstellungen vom Staat, denen gemäß dieser für Frieden und soziale Ordnung sorgt, damit sich die Bürger in ihm frei entfalten können. Die soziale Natur des Menschen, seine Fähigkeit, Familien, Gemeinschaften und Interessenverbände zu bilden und nach höheren Zielen zu streben, war untrennbar mit dieser Auffassung von Zivilität verbunden. Indem sie sich globalen Zwecken überantwortet, transzendiert die globale Zivilgesellschaft die alte nationalstaatliche Ordnung, die globalen Unternehmen und den Finanzkapitalismus und stellt diese Institutionen oft auch infrage. Zu diesen globalen Zwecken zählen die Beendigung des Menschenhandels genauso wie der Schutz gefährdeter Tier- und Pflanzenarten, die Erhaltung der Freiheit des Internets, die Bekämpfung der globalen Erwärmung, die Sicherung einer globalen Steuergerechtigkeit und die Ausrottung der Malaria.

Die grenzüberschreitende Mobilisierung der Zivilgesellschaft zur Förderung von Idealen und zur Reaktion auf globale Herausforderungen erfordert – und begünstigt umgekehrt auch – eine charismatische Führung. Eine solche charismatische Führung steht indes oft im Widerspruch zur Praxis sowohl der traditionellen repräsentativen Demokratie des Westens als auch der intern partizipatorischen Demokratie. Die neuen Kommunikationstechnologien stellen eine große Chance für die globale Zivilgesellschaft dar, die Demokratie in Richtung ganz neuer globaler und lokaler Formen weiterzuentwickeln und so für das künftige Wohlergehen der Weltbevölkerung zu sorgen.

 

Wenn Bürgermeister die Welt regierten: Weltparlament der Bürgermeister
(If Mayors Ruled the World: Global Parliament of Mayors)

Prof. Dr. Benjamin R. Barber

In einer Zeit, in der dysfunktionale Nationalstaaten wiederholt ihre Handlungsunfähigkeit demonstrieren und belegen, dass internationale Institutionen wie die Vereinten Nationen weder Frieden, noch Gerechtigkeit oder Nachhaltigkeit sicherstellen können, verschiebt sich der politische Fokus rasant in Richtung der Städte, Großstädte und Metropolregionen. Es ist eher die kommunale Ebene, auf der Politiker und Bürger praktisch umsetzbare und demokratische Lösungen für drängende lokale und globale Probleme finden.

„Die Freiheit“, schrieb de Tocqueville „manifestiert sich auf lokaler Ebene“. In unserem neuen Jahrtausend ist die Freiheit jedoch global. Der Nationalstaat ist zu groß für eine aktive Teilnahme, gleichzeitig aber zu klein, um an den globalen Hebeln der Macht ansetzen zu können. Städte bewegen sich in einer lokalen Größenordnung, im Rahmen derer demokratisches Mitwirken und pragmatische Lösungen von Problemen noch möglich sind. Handeln Städte jedoch in zwischenstädtischen Netzwerken, nehmen sie eine globale Ebene ein, auf der globale Probleme wie Einwanderung, Klimawandel, Sicherheit und Finanzmärkte angegangen werden können. Die moderne Stadt ist daher sowohl lokal als auch global – nennen wir es ‚glokal‘.

Um das Potenzial der Stadt für die Herausforderungen unserer immer enger verflochtenen Welt jedoch auch nutzen zu können, muss das Versprechen des glokalen Ansatzes zwischenstädtischer Kooperation politisch umgesetzt werden. Nichts weniger als eine Revolution globalen Regierens ist daher notwendig – eine Revolution, die auf demokratische und rechtliche Zwänge reagiert und gleichzeitig in der legitimen Ausübung kollektiver Macht verankert ist. Eine neuartige politische Instanz ist notwendig, die glokal handeln kann: ein ,Globales Parlament der Bürgermeister‘ (Global Parliament of Mayors, GPM), welches das Recht der Städte, sich selbst zu regieren, wahrnimmt.

 

Kulturerbe in Gefahr: Bauboom in London
(Construction Boom: Heritage at Risk in London)

Dr. Nigel Barker

London war schon immer ein Dreh- und Angelpunkt des internationalen Handels. Als solcher musste es sich immer wieder den sich stetig verändernden internationalen Gegebenheiten anpassen. Die Auswirkungen dieser Veränderungen und die Dynamik von kontinuierlicher Weiterentwicklung sind Teil der unverwechselbaren Londoner Identität. Diese Identität – ebenso wie das herausragende kulturelle Angebot – verschaffen der Stadt einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil und machen sie zu einer der lebhaftesten Metropolen der Welt. Doch Londons Reiz als sicherer Standort für Großinvestitionen und die Herausforderung des schnellen Bevölkerungswachstums stellen sowohl die momentane Identität der Stadt als auch ihre Form auf eine Zerreißprobe.

Das Hauptproblem ist das den Investitionen zugrunde liegende Finanzmodell. Es erzeugt eine Art der Stadtentwicklung, die sich in keiner Weise an Londons tatsächlichem Charakter orientiert. Die kollektive Jagd der Investoren auf das begrenzte Flächenangebot treibt die Grundstückspreise in untragbare Höhen, wodurch zugleich das kulturelle Erbe Londons bedroht wird. Zum Beispiel schließen in alarmierender Geschwindigkeit immer mehr unabhängige Live-Clubs. Dabei sind diese nicht nur eine traditionelle Londoner Institution, sondern auch von essenzieller Bedeutung für die Stadt als herausragendes Zentrum für zeitgenössische und populäre Musik. Diese Live-Clubs fallen dem wirtschaftlichen Druck zum Opfer – und der Tatsache, dass die Entscheidungsträger heute nur noch finanzielle Werte gelten lassen.

 

Ägypten 2011-2015: Scheitern eines demokratischen Wandels? – Stimmen aus Kairo
(Egypt 2011-2015: Failure of Democratic Change? – Voices from Cairo)

Prof. Dr. Amr Hamzawy

Der Begriff ,Tutelage‘ (Bevormundung) bezeichnet den Umstand, dass eine regierende Partei die absolute Wahrheit für sich beansprucht; dass sie definieren will, was Gut und Böse, was Recht und Unrecht ist und an welchen Prinzipien und Werten sich die Menschen zu orientieren haben. Eine solche mächtige Partei kann totalitär-autoritär herrschende Eliten, religiöse Einrichtungen, Institutionen mit besonderer Überzeugungskraft sowie politische und gesellschaftliche Eliten mit einschließen. Mit anderen Worten: Beim Konzept der Bevormundung wird den Bürgern vorgeschrieben, wie sie ihr öffentliches und privates Leben zu organisieren haben, und ihnen wird ihre Entscheidungsfreiheit genommen. So werden aus Bürgern mit einer individuellen Existenz bloße Teile eines größeren Ganzen.

Die Revolution im Januar 2011 hatte eine demokratische Agenda mit klaren Forderungen nach Wahlfreiheit, persönlicher Freiheit und der Abschaffung der Bevormundung, die die ägyptischen Herrscher in verschiedenen Formen von 1952 bis 2011 ausgeübt hatten. Die Bestrebungen, dem ägyptischen Volk diese Bevormundung wieder aufzuerlegen, dauern dennoch an und kommen aus ganz unterschiedlichen Richtungen.

Seit Juli 2013 wollen die Machthaber die Menschen dazu zwingen, ihre Freiheit aufzugeben, indem sie darauf hinweisen, dass Ägypten „in Gefahr“ sei und dass der „Krieg gegen den Terror“ dies erfordere. Die Machthaber haben Nation, Staat und Gesellschaft auf die Person des ehemaligen Verteidigungsministers und jetzigen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi reduziert. Er wird als der heldenhafte Retter dargestellt, den man in der aktuellen „Lage“ brauche – als jemand, der „Ägypten vor in- und ausländischen Verschwörungen retten“ könne. Wieder einmal werden die Menschen wie eine Viehherde in den Stall der „einzigen Lösung“ getrieben und über repressive Gesetze wie das Demonstrationsgesetz dazu gezwungen, ihre persönlichen Freiheiten aufzugeben – zum Beispiel ihr Recht, im öffentlichen Raum auf friedliche Weise ihre Ideen und ihre Meinung kundzutun.

 

Megastädte – die großen Herausforderungen im Umgang mit Chancen und Risiken

Dr. Kerstin Krellenberg

Megastädte stellen eine besonders signifikante Ausprägung der weltweiten Verstädterung dar. Ihre Zahl steigt stetig. Charakterisiert sind sie unter anderem durch einen hohen Ressourcenverbrauch, hohe Bevölkerungszahlen und ökonomische Aktivität sowie schnelle Wachstumsraten. Dass sie vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen zum Klimawandel verstärkt in den Fokus der Betrachtung rücken, hängt vor allem damit zusammen, dass sie wesentlich zur Emission von Treibhausgasen beitragen und stark von den Auswirkungen betroffen sind. So kann oftmals beobachtet werden, dass das Funktionieren der Städte und der ökonomische Wettbewerb durch ,neue‘ Herausforderungen überlagert wird, die beispielsweise im Zusammenhang mit Energiesicherung, Wasserknappheit, Hitze- und Flutrisiken, aber auch demographischen Veränderungen durch Migration, Alterung etc. und veränderten Konsummustern und Lebensstilen stehen.

Per se gehen Urbanisierungsprozesse mit einer Vielzahl von komplexen, miteinander verbundenen und sich zum Teil gegenseitig verstärkenden Prozessen einher, die parallel zueinander verlaufen. Diese Komplexität zu analysieren erfordert eine in hohem Maße interdisziplinäre und integrative Betrachtungsweise. Im Zusammenhang mit der Analyse städtischer Problemlagen stehen in der Wirkungskette zunächst Fragen der Risikoanalyse sowie der Betroffenheit (Vulnerabilität) im Vordergrund, die soziale, ökonomische, institutionelle und technologische Strukturen und Prozesse berücksichtigen. Eine aktuelle Zustandsbeschreibung ist dabei nicht ausreichend. Vielmehr gilt es, zukünftige Entwicklungen abzuschätzen, auch wenn diese mit Unsicherheit behaftet sind. Anpassungsmöglichkeiten an die unvermeidbaren Folgen der Auswirkungen des Klimawandels treten verstärkt in den Fokus. Des Weiteren sind für eine integrative Betrachtung und zur Entwicklung von Lösungsstrategien Fragen der Governance zu diskutieren. Hierbei können kontextspezifische Analysen und der Austausch mit lokalen Akteuren aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft die Entwicklung von Lösungsansätzen befördern. Technologische Einzelmaßnahmen sind nicht ausreichend. Vielmehr sind Chancen zu nutzen, die Städte als Räume für soziale, politische, ökonomische und technische Innovationen auszeichnen. Gerade die hohe Konzentration von Menschen und Wissen in Megastädten kann dazu beitragen, dass Potenziale geschaffen werden, um erfolgreich auf die Folgen des Klimawandels reagieren zu können. Dies erfordert eine neue Intensität der Kooperation zwischen verschiedenen Akteuren und Sektoren. Hier ist ein intensiver Austausch notwendig, der das Lernen und die Akzeptanz fördert und dabei die Akteure aktiv in die Entwicklung und Umsetzung einbezieht.

 

Istanbul 2010, eine Stadt der Kultur...

Esra Nilgün Mirze

15 Jahre ist es her, dass Istanbul Europäische Kulturhauptstadt war. Der Abschlussbericht sprach von einem Erfolg, doch tatsächlich konnte das Projekt die ursprünglich gesetzten Ziele bei Weitem nicht erreichen – obwohl es von allen Beteiligten volle Unterstützung erfuhr.

Die Bewerbung Istanbuls als Europäische Kulturhauptstadt 2010 bedeutete für eine Handvoll von Vertretern der Zivilgesellschaft eine Reise ins Ungewisse. Ende 1999 trafen sich fünf NGO-Vertreter und beschlossen, zum Zweck der Bewerbung Istanbuls als Kulturhauptstadt eine Projektgruppe zu gründen. „Der Bottom-up-Prozess und die aktive Beteiligung der Zivilgesellschaft“ wurden als ausschlaggebende Faktoren bei der Entscheidung des Ausschusses zugunsten Istanbuls betrachtet. Die Beweggründe der Projektgruppe waren recht anspruchsvoll: Istanbul brauchte einen neuen Ansatz, eine nachhaltige Kulturpolitik, die der Stadt eine ,Stimme’ verleihen sollte. Doch das Resultat waren politisch korrekte Projekte, verschwendete Gelder, keine erwähnenswerten Veränderungen im gesellschaftlichen Leben und keine sichtbaren dauerhaften Auswirkungen. Der Vortrag stellt dar, wieso das ursprüngliche Konzept für Istanbul als Europäische Kulturhauptstadt mit der Zeit im Labyrinth der Bürokratie verloren ging und warum sich die Kulturhauptstadt (City of Culture) nach und nach in eine ,Bureaucracity‘ verwandelte.

 

Demokratie, Technologie und die Stadt
(Democracy, Technology and City)

Evgeny Morozov

Mit dem Wandel hin zu ,intelligenteren‘ Städten (Smart Cities) und zu Sensor-gesteuerten Infrastrukturen entstehen ganz neue Möglichkeiten für eine effizientere Nutzung und Verteilung der Ressourcen. Öffentliche Dienstleistungen wie Transportwesen oder Energieversorgung können personalisiert und optimiert werden, was nicht nur dem städtischen Haushalt zugutekommt, sondern auch der Umwelt. Jedoch sind viele Bürger frustriert angesichts des Tempos und der Größenordnung dieser ,Smartisierung‘. Viele der dafür eingesetzten Technologien erzeugen Daten, welche die Bürger nicht kontrollieren, geschweige denn für ihre eigenen Zwecke nutzen können. Wie lässt sich ein Szenario vermeiden, in dem der Begriff ,Smart City‘ nur ein Euphemismus ist für eine Stadt, die von Unternehmen kontrolliert wird? Können Städte technologisch fortschrittlich und zugleich bürgerfreundlich sein, indem neue dezentrale Dienstleistungen den Bürgerinnen und Bürgern die Kontrolle geben – sowohl über die Sensoren als auch die erzeugten Daten? Ließe sich dies mit den übergreifenden Prozessen der Dezentralisierung und der Machtteilung verknüpfen?

 

Zivilgesellschaft und urbaner Wandel – Erkenntnisse aus London
(Civil Society and Urban Change – Lessons from London)

Peter Murray

Die Zivilgesellschaften des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts waren mit der Verbesserung der städtischen Lebensqualität, der Einrichtung von Planungssystemen und der Verschönerung ihrer Umwelt befasst. Dies war eine Reaktion auf die rasante Expansion der Städte im viktorianischen Zeitalter, auf schlechte Lebensbedingungen, die Zerstörung von Kulturerbe und den vorherrschenden Mangel an Planung. 1893 wurde die Municipal Art Society of New York gegründet, 1894 die Society for the Beautification of Copenhagen und 1912 die London Society. In den vergangenen Jahren haben sich viele Bürgergruppen auf die Erhaltung vorhandener Strukturen konzentriert und nach dem St.-Florians-Prinzip (oder Nimby-Prinzip – ‚not in my backyard‘ = ,nicht in meinem Hinterhof‘) gehandelt. Doch das Wachstum, das viele Städte heute erleben, erfordert eine ausgewogene Sicht auf die Stadtentwicklung und die Schaffung nachhaltiger Umgebungen. Verschiedene Interessengruppen, beispielsweise Interessenverbände von Radfahrern oder Fußgängern, setzen sich für Veränderungen ein. Sie möchten lebenswertere Städte schaffen und suchen nach Wegen, wie politischer Druck und konstruktive Unterstützung miteinander in Einklang gebracht werden können.

 

Was ist Pegida – in Dresden und anderswo?
(What is Pegida – in Dresden and Elsewhere?)

Prof. Dr. Werner Patzelt

Die meisten Dresdner Pegida-Demonstranten sind besorgte und empörte Bürger; nur ein Drittel besteht aus ,rechtsnationalen Xenophoben‘. Dies ist das zentrale Ergebnis einer dreimonatigen Fallstudie aus einem Methodenseminar des Dresdner Politikwissenschaftlers Prof. Dr. Werner Patzelt. Sie zeigt: Den Befunden bisheriger Studien zur sozialen Zusammensetzung der Dresdner Demonstrationen oder zum Stellenwert des Motivs der ,Islamisierung‘ kann man trauen. Xenophobie und Islamophobie sind zwar Kristallisationspunkte gemeinsamer Empörung; zentrales Motiv ist aber Unzufriedenheit mit Politik, Politikern, Parteien und Medien. Als Strategien für den Umgang mit Pegida rät Patzelt Folgendes:

1. Verbal, emotional und symbolisch abrüsten, um Solidarisierung zu vermeiden.
2. Pegida zur Formulierung politischer Ziele veranlassen – um die Demonstranten in ,Moderate‘ und ,Radikale‘ zu spalten, woraufhin Radikale auszugrenzen sind.
3. Kommunikation mit den gutwilligen Pegida-Demonstranten organisieren seitens Zivilgesellschaft und Politik: sachliche öffentliche Diskussionen über Einwanderungs- und Integrationspolitik, um praktische Probleme zu erkennen und zu lösen sowie Legitimation und Konsens für den Wandel zu einer Einwanderungsgesellschaft zu schaffen.
4. Zivilcourage zeigen gegen jede Form von Aggressivität, Einschüchterung und Ausgrenzung von anderen – außer: Ausgrenzung von Extremisten aller Art.

 

Big Data + Little Data = Smarter Cities & Citizens

Priya Prakash

Zwischen Städten besteht ein globaler Wettstreit darin, ‚intelligent‘ (smart) zu werden. Weltweit versuchen sie, dem rapiden urbanen Wachstum damit zu begegnen, dass sie ‚intelligent‘ werden, also technologische Lösungen für besonders komplexe Probleme (‚wicked‘ problems) nutzbar machen. Doch leider sind diese Probleme systemisch, sodass ihnen nicht allein mit Technologie beizukommen ist. Um sie lösen zu können, bedarf es umfassenderer Lösungsansätze.

,Intelligente‘ Stadtinfrastrukturen sind momentan sehr gefragt. Sie setzen dem Anschein nach Daten, öffentlich-private Partnerschaften und integrierte Technologien (z.B. Sensortechnik) voraus, um öffentliche Dienste in Zukunft belastbarer gestalten zu können. Systeme, die sich auf intelligente Datenbereitstellung stützen, nutzen Big Data für vernetzte Dienste, beispielsweise die automatische Parkraumsuche oder intelligente Verbrauchsmessungen. Eine Herausforderung beim Einsatz dieser Systeme besteht darin, dass diese nur funktionieren können, wenn sie von den Bürgern nicht abgelehnt werden.

In einer Demokratie entstehen bei städtischen Behörden und Regierungsstellen zunehmend die Notwendigkeit und die Verantwortung, Bürger in die Planung und Ausführung solcher eingebetteter Dienste einzubeziehen. Der Erfolg dieser Dienste hängt von den Bürgern ab – von ihren Daten, ihrer Partizipation sowie ihrer Akzeptanz. Die Bürger verfügen daher über das Potenzial, Städte zusammen mit städtischen Behörden zu gestalten. Die Herausforderung dabei ist die Suche nach einem Weg, der weder zu beschwerlich ist, noch zu viel Zeit kostet; es sollte ein Weg sein, der Spaß macht und der kollaborativ ist, der aber die Privatheit der Bürger respektiert; der es ihnen implizit ermöglicht zu verstehen, wie ihre Daten sich positiv auf die Zukunft ihrer Stadt auswirken können.

Viele Menschen generieren bereits heute ‚Little Data‘ in Echtzeit. ‚Little Data‘ bezeichnet persönliche Daten, die beispielsweise durch das Berichten über Geschehnisse mit Nachrichtenwert mithilfe mobiler Geräte produziert werden oder von Apps zur ‚persönlichen Vermessung‘, die z.B. die verbrauchten Kalorien zählen, die zurückgelegten Schritte, Ausgaben, usw. Dieser Vortrag untersucht verschiedene Wege, über die Bürger durch die von ihnen beigesteuerten kleinen Datenmengen Handlungsmacht erlangen können und die es ihnen ermöglichen, eine gestalterische Rolle bei der Stadtentwicklung einzunehmen. Die Bürger entscheiden, welche Arten von Daten sie bereit sind beizusteuern und wie ihre Daten für die Entstehung einer besseren Stadt beitragen. Little Data kann zusammen mit Big Data (sprich historische, statistische Daten auf Basis einer Analyse von Mustern und Kontexten) eine neue Art der Demokratie begünstigen. In dieser Demokratie können ‚smarte‘ Bürger und Städte auf der Grundlage von gegenseitigem Einverständnis und Beteiligung gemeinsam die Zukunft der Stadt, in der sie wohnen wollen, gestalten. Damit diese Utopie realisiert werden kann, brauchen wir neue Formen der Politik und des Regierens, was nicht zwangsweise eine technologische, sondern eher eine soziopolitische Herausforderung für Regierungen darstellt.

Das ist die eigentliche Herausforderung für intelligente Städte. Wir freuen uns darauf, diesen Dialog bei den Karlsruher Gesprächen durch unsere Arbeit, unsere Projekte und Überlegungen mitzugestalten.

 

Die Stadt: Wo die Machtlosen Geschichte schreiben
(The City: Where the Powerless Make Histories)

Prof. Dr. Saskia Sassen

Großstädte sind komplexe Systeme, doch sie sind unvollständige Systeme. Ebendiese Mischung aus Komplexität und Unvollständigkeit birgt die Möglichkeit, dass etwas entsteht – eine urbane, politische, bürgerliche Geschichte. Und dazu gehören auch die Machtlosen: Die Großstadt ist ein Ort, an dem die Machtlosen zu Entscheidungsträgern werden. Diese Eigenschaften sind nicht allein dem Urbanen vorbehalten, aber sie sind ein notwendiger Teil der DNA der Großstadt. Jede Großstadt ist anders, genau wie jede wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Großstadt befasst. Doch will man sich wissenschaftlich mit der Großstadt auseinandersetzen, so muss man sich mit diesen Schlüsselelementen des Urbanen beschäftigen – der Unvollständigkeit, der Komplexität und der Möglichkeit, dass etwas entsteht. Diese Elemente nehmen urbanisierte Formate an, die hinsichtlich Zeit und Ort stark voneinander abweichen. So betrachtet steht bei einem Großteil der urbanisierten Flächen das Städtische gar nicht so sehr im Zentrum. Ein Büropark mag sich mitten in einem dicht bebauten Gelände befinden, aber er ist keine Großstadt – vielmehr ist er eine streng kontrollierte Monokultur, eine Art Plantage. Warum dieser Unterschied von Bedeutung ist? Dafür gibt es viele Gründe. Lassen Sie mich nur einen herausgreifen: In der Großstadt sind auch die Machtlosen am Entstehen von Geschichte, Wirtschaft und Kultur beteiligt – besonders gut illustrieren das unsere Einwanderergruppen. In einem Büropark schreibt kein Machtloser Geschichte. Und wenn wir die neuen digitalen Technologien mit hinzunehmen, wird das Netzwerk der globalen Großstädte auch zu einem vernetzten Raum für die Machtlosen.