Karlsruher Gespräche 2012

„Alles in (Un-)Ordnung? Neue Unübersichtlichkeiten in einer globalisierten Welt“

Kenichi Mishima 

Referent

 

Zygmunt Bauman

 

Kenichi Mishima, Jahrgang 1942, studierte von 1961 bis 1968 Vergleichende Kulturwissenschaften und Germanistik an der Universität Tokio. Anschließend hatte er bis 1975 eine Assistenzprofessur an der Universität Chiba inne. Als DAAD-Stipendiat war er von 1970 bis 1972 an der Universität Tübingen und von 1978 bis 1980 war er Research Fellow der Alexander-von-Humboldt-Stiftung in Bonn. An der Universität Tokio (Komaba) lehrte Mishima von 1975 bis 1987 als Assistenzprofessor, ab 1987 als Professor an der Gakushuin Universität Tokio, bis er 1991 an die Universität Osaka berufen wurde. Hier hatte er bis 2004 an der Fakultät für Humanwissenschaften einen Lehrstuhl für Sozialphilosophie und Vergleichende Zivilisation inne. Von 1994 bis 1995 war er Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Seit 2004 lehrt Kenichi Mishima an der Tokyo Keizai Universität Sozialphilosophie und Zeitgenössische Philosophie. Im Februar erhielt er einen Ehrendoktortitel von der FU Berlin. Weitere Auszeichnungen sind der 1986 vom Bundespräsidenten verliehene Philipp Franz von Siebold-Preis sowie der 2001 von der DFG verliehene Eugen und Ilse-Seibold-Preis. In seiner philosophischen Laufbahn beschäftigte sich Mishima mit der Kritischen Theorie, der modernen Philosophie, insbesondere der Rezeption Friedrich Nietzsches und Walter Benjamins, der Theorie und Empirie der selektiven und multiplen Moderne sowie mit intellektuellen Diskursen in Deutschland. Mishima veröffentlichte „Walter Benjamin – Sammlung, Destruktion, Erlösung“ (1999), „Licht und Schatten der Philosophie von Nietzsche“ (1997), „Intellektuelle Diskurse in der Bundesrepublik seit 1945“ (1991) und „Nietzsche“ (1987). Er übersetzte zahlreiche Werke, u. a. von Nietzsche, Gadamer, Adorno, Marx und Habermas.

 

Das ZAK bat Prof. Dr. Kenichi Mishima, folgende Fragen zu beantworten:


1. Ist unser Bedürfnis nach Sicherheit gewachsen oder hat sich lediglich unsere Wahrnehmung von Unsicherheit verändert?

Es kommt darauf an, auf welche Themenbereiche Sie sich beziehen. Bezüglich der Atomenergie ist unser Bedürfnis nach Sicherheit bestimmt gewachsen. Bezüglich der Finanzkrise hat sich sicherlich eher unsere Wahrnehmung verändert. Wir sehen jetzt mit schärferen Augen den ganzen Hintergrund der Krisenbewältigung durch die politische Klasse. Im Gegensatz zur Frage der Nutzung der atomaren Energie scheint aber hier unter den Bürgern in Europa undefinierbare Wut verbreitet zu sein, undefinierbar deswegen, weil immer ein Stück vom Gefühl eigener Ohnmacht mit im Spiel ist.

2. Inwiefern nehmen Interdependenzen zwischen einzelnen Risiken zu? Ist ein Dominoeffekt erkennbar?

Risiken und Krisen sind, obwohl eng zusammenhängend, zwei unterschiedliche Angelegenheiten. Risiken kann man sauber voneinander trennen. Viele Krisen gehören zusammen. Vor allem auf dem Bereich der Atomlügen und dem der Währungsschwierigkeiten ist ein Versagen der Experten mehr als deutlich. Einen Expertenbericht aus dem Herbst 2010 über die Krise in Griechenland kann man nur noch mit Achselzucken oder Schmunzeln lesen.

3. Sollten angesichts der derzeitigen Krisenlage mehr Entscheidungskompetenzen auf die europäischen Institutionen/Organe verlagert werden?

Ich bin kein europäischer Bürger, erlaube mir aber aus meiner Sicht dazu folgendes zu sagen: Gestärkt werden muss das europäische Parlament, nicht die Kompetenz in Brüssel. Es ist auch ein Mehr an transnationalem öffentlichen Raum nötig. Leider ist die jeweilige nationale Öffentlichkeit als Diskussionsforum immer noch mehr oder weniger abgeschottet. So kann man dem beinahe unaufhaltsam scheinenden Prozess der Emanzipation der Wirtschaft von der demokratischen Kontrolle kaum Einhalt gebieten.