Karlsruher Gespräche 2015

Wenn Bürgermeister die Welt regierten - Podiumsdiskussion

Dr. h.c. Petra Roth

Referentin

Dr. h.c. Petra Roth wurde 1944 in Bremen geboren. 1972 trat sie in die CDU ein. Von 1995 an war sie als erste Frau direkt gewähltes Stadtoberhaupt von Frankfurt am Main. Im Juli 2012 legte sie ihr Amt aus eigener Entscheidung nieder. Drei Mal war Roth Mitglied der Bundesversammlung. Sie war mehrfach gewählte Präsidentin des Deutschen Städtetags und Mitglied im Ausschuss der Regionen der Europäischen Union.

Roth ist Trägerin der Ehrendoktorwürden der Universität Tel Aviv und der Sookmyung Women’s University Seoul sowie zahlreicher anderer in- und ausländischer Ehrungen und Auszeichnungen.

Heute ist Roth Vorstandsvorsitzende der gemeinnützigen Stiftung Schloss Ettersburg, deren Zielsetzung in der Gestaltung des demografischen Wandels liegt. Roth ist in wissenschaftlichen, kulturellen und anderen gemeinnützigen Einrichtungen im In- und Ausland sowie in Aufsichts- oder Beiratsgremien bedeutender wirtschaftlicher Unternehmen tätig. Daneben übt sie eine selbstständige Vortrags- und Beratertätigkeit aus.

 

Statements

 

1. Welchen Beitrag zur Lebensqualität und Lebendigkeit einer Stadt kann die Zivilgesellschaft durch aktive Partizipation der Bürgerinnen und Bürger leisten?

Die den Kommunen obliegende Verantwortung für die Daseinsvorsorge ihrer Bürgerinnen und Bürger kann nicht durch das Engagement der Zivilgesellschaft abgelöst werden. Aber Städte und Gemeinden brauchen Unterstützung, in erster Linie bei der Bewältigung der ihnen von Bund und Ländern auferlegten Verpflichtungen. Dabei können insbesondere auch die Städte durch die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements die Stadtgesellschaft aktivieren. Gerade bei den freiwilligen Leistungen, z.B. in den Bereichen Kultur und Soziales, wird durch Beiträge – z.B. von Stiftungen und verantwortungsvollen Unternehmen oder durch privates Mäzenatentum – ein wesentlicher Beitrag zur Lebensqualität und Lebendigkeit einer Stadt geleistet. Gleiches gilt für die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an kommunalen Entscheidungen, z.B. bei der Stadtplanung. Gerade die Bürgerbeteiligung bei den Entscheidungen der Kommune festigt über wertvolle Beiträge in der jeweiligen Sache hinaus die Identifikation der in einer Stadt oder Gemeinde lebenden Menschen mit ihrer Kommune.
 

2. Welche Verantwortung trägt die Stadt für das Zusammenleben der Kulturen und die Herausbildung einer kollektiven Identität?

Nicht die alleinige, aber eine wesentliche. Die von der Kommune ausgehende nachhaltige Bereitschaft, zusammen mit Kirchen, Gewerkschaften, Vertretungen ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger (Stichwort ,runder Tisch‘) ein Klima zu schaffen, in dem kein Raum für Vorurteile gegenüber fremden Kulturen ist, prägt eine Stadt oder Gemeinde und trägt wesentlich zur kollektiven Identität bei. Dazu gehören Achtung und Respekt gegenüber anderen Kulturen, aber auch die Forderung an Menschen aus anderen kulturellen Kontexten, es mit unserer für sie fremden Kultur einschließlich der damit verbundenen (Verfassungs-)Rechtsordnung ebenso zu halten. Städte und Gemeinden in Deutschland sind Teile eines föderalistischen Systems auf der Grundlage einer rechtsstaatlichen Ordnung. Ohne das Bekenntnis zu dieser Ordnung ist eine kollektive Identität nicht zu verwirklichen.
 

3. „Wenn Bürgermeister die Welt regierten“ (Benjamin R. Barber) … Wie könnten sie Probleme nationalstaatlicher Blockaden internationaler Politik lösen oder relativieren und neue Formen interkultureller Verständigung auf den Weg bringen?

In den Städten und Gemeinden werden politische Entscheidungen für die dort lebenden Menschen unmittelbar spürbar. Hier gibt es – wenn überhaupt – die geringste Politikferne. Und weil das so ist, sind die für ihre Stadt oder Gemeinde verantwortlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister am ehestens in der Lage, die unter Umständen aus nationalstaatlichem Denken resultierenden gegensätzlichen Interessen zu spüren und zusammen mit ihren Bürgerinnen und Bürgern Lösungsansätze für die daraus entstehenden Konflikte zu finden. Das gilt für praktisch alle wesentlichen Bereiche des alltäglichen Lebens. Man kann davon ausgehen, dass bei allen in den jeweiligen Städten lebenden Menschen der Wunsch besteht, ihren Lebensraum nach einheitlichen Grundbedürfnissen zu gestalten oder gestaltet zu finden. Dazu gehört es, sich aus- und fortbilden zu können, Arbeit zu haben und von seiner Arbeit leben zu können, Wohnraum zu haben und diesen bezahlen zu können, Freizeit zu haben und Freizeitangebote nutzen zu können sowie einiges mehr. Das alles setzt Nachhaltigkeit voraus, die einhergeht mit einer intakten Umwelt, als eine Grundvoraussetzung der Nachhaltigkeit.