Karlsruher Gespräche 2016

Der PEGIDA-Komplex: berechtigte Sorge, Rassismus und die Mitte der Gesellschaft

 

Frank Richter

Referent

Frank Richter, geboren 1960, studierte Philosophie und Theologie in Erfurt und Neuzelle. 1987 wurde er zum Priester geweiht und arbeitete anschließend u.a. als Kaplan, Domvikar, Jugendseelsorger und Pfarrer. 1989 wurde er in der Friedlichen Revolution der DDR als Mitbegründer der ‚Gruppe der 20‘ – die als erste oppositionelle Gruppierung offiziell als Gesprächspartner der Staatsmacht akzeptiert wurde – in Dresden bekannt. 1991 erhielt Richter den Europäischen Menschenrechtspreis, stellvertretend für alle friedlichen Demonstranten des Herbstes. Seit 2009 ist er Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Außerdem wurde Richter mit dem Bundesverdienstkreuz sowie der Sächsischen Verfassungsmedaille ausgezeichnet. In der Asyldebatte in Sachsen hat sich Richter seit 2013 als Vermittler und Moderator profiliert und genießt in weiten Teilen der Bevölkerung Respekt für seine dialogorientierte vermittelnde Arbeit.

 

Statements

 

1. Welche Werte halten für Sie die Europäische Union zusammen? Wie kann eine gemeinschaftliche europäische Identität zukünftig besser vermittelt werden?

Lange Zeit mochte ich den Vergleich: Der Westen und der Osten Europas sind wie zwei Flügel einer Lunge. Nach 1990 vermochte ich außerdem zu verstehen, wie sehr sich das angelsächsisch und das romanisch geprägte Europa voneinander unterscheiden. Eine gemeinschaftliche Identität Europas kann nicht entstehen, wenn sich ein Teil mit seiner Denkweise durchzusetzen versucht. Europa ist eine großartige Idee, vor der sich ihre Anhänger täglich verbeugen und die sie durch einen immerwährenden Verständigungs- und Annäherungsprozess mit Leben füllen sollten. Die Versuchung des ökonomisch starken Deutschlands besteht darin, ein deutsches Europa zu wollen, seine Aufgabe jedoch, möglichst viele andere zu integrieren und alle zu respektieren. Russland bleibt die moralische und die politische Herausforderung Europas. Europa kann sich ihr nicht entziehen.

 

2. Sind andere Modelle – wie etwa ein Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten oder eine Europäische Föderation der Regionen – vorstellbar?

Ja, natürlich. In der Politik, die bekanntlich von Menschen gemacht wird, ist immer alles Mögliche vorstellbar. Mein Wunsch freilich wäre ein anderer: Die Europäische Union möge in der aktuellen Krise zusammenbleiben, einen tragfähigen Kompromiss erarbeiten und der Welt ein Beispiel für politische Intelligenz geben.

 

3. Halten Sie die derzeitigen nationalistischen Bestrebungen für ein sich aus den Krisen ergebendes kurzfristiges Phänomen oder für den Beginn einer langfristigen Entwicklung?

Was sich über lange Zeit entwickelt hat, verschwindet nicht in kurzer Zeit. Die nationalistischen Bestrebungen werden weiter an politischem Terrain gewinnen, wenn die politischen Problemlösungen auf europäischer Ebene weiter auf sich warten lassen.