Karlsruher Gespräche 2018

So sieht eine demokratische ‚Smart City‘ aus

 

Prof. Dr. Trebor Scholz

Referent

© Michael Nagle
 
Prof. Dr. Trebor Scholz ist Forscher, Aktivist und Associate Professor für Kultur und Medien an der New School in New York. In seinem Buch Uberworked and Underpaid. How Workers Are Disrupting the Digital Economy (2016) analysiert er die Herausforderungen, vor die die digitale Arbeit uns stellt, und führt das Konzept des Plattform-Kooperativismus ein, das das Kooperationsmodell mit der digitalen Wirtschaft verbindet. 2009 berief Scholz an der New School erstmals die einflussreiche Digital Labour Conference ein. Im Rahmen seiner regelmäßigen internationalen Vortragstätigkeit spricht er über die Zukunft der Arbeit vor Vertreterinnen und Vertretern der Medienwissenschaften, der Rechtsangelegenheiten, der Design- und Entwicklungsbranche sowie vor Gewerkschaften, Aktivistinnen und Aktivisten und politischen Entscheidungsträgern. Scholz ist Mitglied des Barcelona Advisory Council on Technological Sovereignty. Seine Artikel und Konzepte sind bereits in The NationThe Chronicle of Higher Education, der Financial TimesLe Monde und der Washington Post erschienen und besprochen worden. Zu den Bänden, die Scholz herausgegeben hat, zählen Digital Labor. The Internet As Playground and Factory (2013) und Ours to Hack and to Own. The Rise of Platform Cooperativism, A New Vision for the Future of Work and a Fairer Internet (in Zusammenarbeit mit Nathan Schneider; auf der Liste der Top Tech Books of 2017 des Magazins Wired).

 

Statements

1. Was ist für Sie eine ‚intelligente‘ Stadt?

Ich möchte die These aufstellen, dass Städte seit jeher intelligent sind; was die Rhetorik rund um die sogenannten ,Smart Cities‘ betrifft, bin ich eher skeptisch.

 

2. Welches sind Ihrer Meinung nach die drängendsten Probleme, die auf dem Weg zu einer intelligenten Stadt gelöst werden müssen?

Ich gehe davon aus, dass in den Vereinigten Staaten die Einführung selbstfahrender Autos in großen urbanen Gebieten ohne Schneefall unmittelbar bevorsteht. Da diese Autos zu teuer sein werden, als dass sich für Einzelpersonen eine Anschaffung lohnen würde, werden sie wahrscheinlich im Rahmen eines Abonnementmodells zur Verfügung gestellt werden. Diese Fahrzeuge werden Tag und Nacht fahren, weil das kostengünstiger sein wird, als sie zu parken. Die Städte werden viel Platz gewinnen, da die meisten Parkplätze nicht mehr gebraucht werden. Weil die Entwicklung dieser Künstlichen Intelligenz (KI) exorbitant teuer ist, werden sich die Städte genau wie der Rest der digitalen Wirtschaft in einem Markt wiederfinden, der nicht nach dem Motto ,Der Sieger bekommt alles‘ funktioniert und in dem ein nur sehr kleiner Kreis von Eigentümern den Ton angibt. Können Sie sich Karlsruhe als ,Google City‘, ,Apple City‘ oder ,Microsoft City‘ vorstellen? Mit anderen Worten: Wir werden in Städten leben, in denen sich die Verkehrsinfrastruktur in privater Hand befindet. Man darf dabei nicht vergessen, dass dies dieselben Unternehmen sind, die Zugriff auf den Rest unseres digitalen Fußabdrucks haben, die unsere ,Datenporträts‘ besitzen, wenn Sie so wollen. Diese ,Stacks‘ – die horizontale Integration unserer Daten und die Vielzahl von miteinander verbundenen Diensten – sind nichts weniger als beängstigend. Die Vision, dass wichtige städtische Infrastrukturen in zentralisiertes Privateigentum übergehen und den öffentlichen Verkehr ersetzen, sollte Aktivisten mobilisieren und politische Entscheidungsträger dazu anhalten, sich mehr als bisher zu engagieren. Wie der Rest der digitalen Wirtschaft werden diese Implementierungen in den Blutkreislauf der Stadt, z. B. das Internet der Dinge und natürlich die Künstliche Intelligenz, für die Konsumenten (jene Leute, die man früher ,Bürger‘ nannte) erstaunliche Annehmlichkeiten und kurzfristige Vorteile mit sich bringen, wie es ja bereits heute der Fall ist. Gleichzeitig werden sie jedoch mit offensichtlichen Bedenken hinsichtlich Privatsphäre, Dateneigentum und der Zukunft des Gemeinwohls konfrontiert werden.

Das World Wide Web war noch nie so undemokratisch. Wie sich der Würgegriff der ,schrecklichen Fünf‘ – Amazon, Facebook, Google, Microsoft und Apple – auf den urbanen Raum auswirken wird, ist momentan nur schwer vorstellbar. Wenn ich mich dazu zwinge, diese Entwicklung positiv zu sehen, so wird sie wahrscheinlich für Menschen in entlegenen Regionen das sogenannte ,Problem der letzten Meile‘ lösen und positive Auswirkungen für Menschen mit Behinderungen haben. In den Vororten, so könnte ich mir vorstellen, wird es einfacher, die Kinder zum Spielen zu Freunden oder zum Fußballtraining zu schicken – die Eltern müssen sie ja nicht mehr selber fahren, das erledigt das Auto.

Die zentrale Frage an uns alle ist: Wem wird was gehören? Ich arbeite an einem alternativen Wirtschaftsmodell, dem Plattform-Kooperativismus, der derzeit weltweit von rund 200 Unternehmen und Projekten unterstützt wird. Er basiert auf einer breit angelegten Verteilung von Eigentum und einer demokratischen Führung mittels digitaler Plattformen.

Dieser Diskurs und diese Praxis und Kultur kommen hauptsächlich in Debatten zur Arbeit vor, aber natürlich kann man solche Diskussionen nicht führen, ohne auch über die digitalen Infrastrukturen nachzudenken, die all dem zugrunde liegen: von städtischen Internetdiensten über den kooperativen Besitz von Daten (man denke an die Schweizer Plattform MIDATA.coop) bis hin zur kooperativen Cloud.

 

3. Welches sind Ihrer Meinung nach die herausragendsten Chancen, die durch den Wandel hin zu Smart Cities entstehen?

Am wichtigsten bei der Diskussion über die ,intelligente Stadt‘ finde ich, dass wir nicht so tun, als sei die Zukunft der Technologie oder unserer Städte bereits festgeschrieben. Sie ist es nicht. Es steht mitnichten fest, dass diese Unternehmen ihren Plan, alles zu dominieren, auch in die Tat umsetzen werden – in der Vergangenheit haben wir bereits zusehen können, wie sich andere digitale Imperien vor unseren Augen in Luft aufgelöst haben. Es ist durchaus nicht ausgemacht, dass wir sie gewinnen lassen. Der Dreh- und Angelpunkt ist das Eigentum. Man kann nicht grundlegend ändern, was man nicht besitzt. Bei der Automatisierung geht es nicht darum, dass die Hälfte von uns arbeitslos oder stark vom Aufkommen der Roboter betroffen sein wird, wie eine viel zitierte Oxford-Studie uns glauben machen will. Es geht auch nicht darum, dass ganze Berufsgruppen ihre Arbeit verlieren und dann umgeschult werden, um in der KI-Branche zu arbeiten. Das wahrscheinlichste Szenario für die nahe oder mittlere Zukunft ist, dass die Technologie, und hier beziehe ich mich auch auf die KI, für immer mehr Fachleute eine Ergänzung darstellen wird. Die Technologie wird mehr und mehr in deren Arbeitsplatz und in deren tägliche Arbeitsabläufe eingebettet. So könnte eine Arzthelferin Melanome mithilfe einer iPhone-App erkennen, die Aufnahmen in Echtzeit mit einer Datenbank mit ein paar Millionen Fotos von Melanomen abgleicht. Diese Technologie ersetzt nicht den Dermatologen, aber sie verändert die Rolle der Arzthelferin. Die Eigentumsverhältnisse wirken sich darauf aus, wie Entscheidungen über Technologie getroffen werden und welche Folgen diese Entscheidungen für die Arbeitnehmer haben. In einer Arbeitergenossenschaft können sich Arbeitnehmer zusammenschließen und darüber nachdenken, wie sie ihre Arbeit durch Automatisierung einfacher und produktiver machen wollen. Sie können selbst herausfinden, wie ihnen die Automatisierung eine bessere Zukunft bescheren kann, anstatt sich ausschließlich um Effektivität und Produktivität zu kümmern. Eine kooperative Taxiplattform wie das Unternehmen Green Taxi in Denver befindet sich komplett im Besitz der Fahrer. Die Fahrer könnten gemeinsam beschließen, selbstfahrende Autos einzuführen, die sie selbst arbeitslos machen würden, aber in dem Falle wären sie immer noch die Eigentümer des Unternehmens, das diese Fahrzeuge betreibt. Wir müssen uns dann für eine offene Künstliche Intelligenz, eine breit angelegte Verteilung von Eigentum und eine demokratische Governance einsetzen. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, in was für einer Zukunft die Kinder unserer Kinder einmal leben sollen und mithilfe des Plattform-Kooperativismus auf das hinarbeiten, was der französische Theoretiker André Gorz eine „nicht-reformistische Reform“ genannt hat.