Karlsruher Gespräche 2017

Podiumsdiskussion: Was tun? Gedanken und Erfahrungen zum Schutz der pluralistischen Gesellschaft

 

Mike van Graan

Referent

 
Mike van Graan ist derzeit Richard von Weizsäcker Fellow an der Robert Bosch Academy in Berlin. Außerdem ist er Associate Professor für Theaterwissenschaft an der Universität Kapstadt und ist als technischer Experte für die UNESCO im Rahmen der Umsetzung der ‚Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen‘ von 2005 tätig.

Van Graan besitzt einen BA Honours Degree in Theaterwissenschaft von der Universität Kapstadt und ist in leitender Position bei einer Vielzahl lokaler und afrikanischer Kunst- und Kulturorganisationen tätig gewesen, zum Beispiel als Leiter des Community Arts Project, als Projektleiter für den Congress of South African Writers, als Generalsekretär des Arterial Network und als Geschäftsführer des African Arts Institute.

Nach den ersten demokratischen Wahlen des Landes im Jahr 1994 wurde er zum Sonderberater des ersten Ministers für Kunst und Kultur berufen und spielte eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der Kulturpolitik im Südafrika nach der Apartheid.

Für 2011–14 wurde er von Artscape zum Associate Playwright ernannt. Er gilt als einer von Südafrikas führenden zeitgenössischen Dramatikern und hat für seine Theaterstücke, die sich mit dem Zustand Südafrikas nach der Apartheid beschäftigen, zahlreiche Nominierungen und Auszeichnungen erhalten.

2012 erhielt er den Standing Ovation Award des südafrikanischen National Arts Festival für seinen nachhaltigen Beitrag als Schriftsteller und Aktivist; im Jahr 2013 durfte er das Festival eröffnen, und vier seiner Stücke wurden gezeigt. Bis heute hat er 27 Theaterstücke verfasst, zuletzt die satirische Revue Pay back the Curry und When Swallows Cry.

 

Statements

1.Welche „Feinde“ stellen Ihrer Ansicht nach die größte Gefahr für die pluralistische Gesellschaft dar?

Meiner Meinung nach sind die beiden größten Feinde Unwissenheit und Arroganz. Unwissenheit über ‚andere‘, über die wir auf Grundlage von Fehlinformationen und Stereotypen alles Mögliche mutmaßen. Und Arroganz, weil wir glauben, dass unsere Werte, Ideen, Weltbilder usw. die besten sind und dass jeder, der sich anderen kulturellen Vorstellungen unterwirft, automatisch unzivilisiert und barbarisch ist und sich ‚weiterentwickeln‘ sollte. Wir sind nicht besser, sondern nur anders.

 

2. Wie kann Ihrer Meinung nach das Vertrauen in Eliten und die Medien wieder gestärkt werden, nachdem sich seit Längerem ein Vertrauensschwund beobachten lässt?

Ich bin mir gar nicht so sicher, dass dieses Vertrauen wieder gestärkt werden muss. Wenn wir wirklich an die Demokratie glauben, dann sollten wir unser Vertrauen nicht so sehr in gewählte Vertreter oder in öffentliche oder private Medien setzen, sondern in uns selbst. Technologien ermöglichen es uns, unsere eigenen Ideen zu verbreiten, solche Konzepte und Informationen zu teilen, denen wir vertrauen, und an uns zu glauben. Es geht darum, dass wir uns selbst in die Lage versetzen, aktive Bürger zu sein und die, die unser Leben prägen und beeinflussen (z. B. die Medien), wie auch die, die uns regieren (Politiker), in die Pflicht zu nehmen. Wir müssen selbst ans Ruder und nicht den ohnehin schon Mächtigen, also den Eliten und Medien, noch mehr Macht an die Hand geben.

 

3. Auf welche Weise kann das Bewusstsein für die Vorteile von Freiheit sowie deren Wertschätzung innerhalb pluralistischer Gesellschaften gesteigert werden – besonders für Menschen, denen Erfahrungen mit Unfreiheit fehlen?

Langfristig kann dies nur durch Erziehung und durch eigenes Erleben geschehen. Kurzfristig sollten wir uns nicht nur darum kümmern, den Neuankömmlingen in den sogenannten ‚freien‘ Gesellschaften diese Freiheiten zu vermitteln, sondern auch den Bürgern dieser ‚freien‘ Gesellschaften die Lebensumstände und -erfahrungen und die Wertesysteme derer näherzubringen, die einen anderen sozialen und kulturellen Hintergrund haben. Allzu oft versteht man unter Pluralismus lediglich Assimilation – die Neuankömmlinge, die Schwachen und die Minderheiten sollen sich der dominanten, hegemonischen Lebensweise gemäß deren Vorgaben anpassen. Ein echter Pluralismus würde bedeuten, dass man stattdessen auf eine funktionierende Koexistenz Wert legt. Die dominante Gesellschaft muss offener sein und bereit, von den Neuen, den Anderen, den weniger Mächtigen zu lernen und sich von ihnen beeinflussen zu lassen. Das läuft zwar der Intuition zuwider, aber es ist notwendig, um eine wirklich pluralistische, demokratische und zukunftsfähige Gesellschaft aufzubauen.