WIKA - Wissenschaftlicher Initiativkreis Kultur und Außenpolitik - Referenten

Atelier 1: Umbrüche und antizipierbare Krisen
Atelier 2: Medien & Konflikt
Atelier 3: Umbrüche und Anpassungen der AKBP

 

Atelier 1: Umbrüche und antizipierbare Krisen

Dr. Zafer Yilmaz
Foto: privat

Der neue autoritäre Populismus aus vergleichender Perspektive: Ressentiment, nationalistische politische Vorstellung und reaktionäre Meinungsbildung

Dr. Zafer Yilmaz
Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Potsdam

Dr. Zafer Yılmaz studierte von 1999 bis 2004 an der Fakultät für Soziologie und Politikwissenschaften an der Middle East Technical University in Ankara. Er setzte seine Forschung unter anderem an der Soziologiefakultät der Freien Universität Berlin fort, an der Fakultät für Politik und Geschichte der Brunel University London und an der Ankara University, an der er 2011 mit einer Doktorarbeit über “Poverty and Uncertainty: Management of Poverty and Constitution of Social Question” promovierte. Von 2013 bis 2014 war Yilmaz als Gastwissenschaftler an der Soziologiefakultät der University of California, Berkeley, tätig. Seit 2017 ist er Gastwissenschaftler an der Fakultät für Wirtschaft- und Sozialwissenschaften am Centre for Citizenship, Social Pluralism and Religious Diversity der Universität Potsdam. Dr. Yilmaz ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen und hat an verschiedenen internationalen Konferenzen und Workshops teilgenommen. Sein Forschungsgebiet erstreckt sich über Arbeit und die Rolle des Staates, Tradition und politische Protestkulturen, sowie zuletzt auf den Vormarsch des Autoritarismus, den Wandel in der Rechtsstaatlichkeit und die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in der Türkei.

Abstract
Ob in der Türkei oder Ungarn: Eines der wichtigsten Merkmale des gegenwärtigen autoritären Populismus ist dessen Fähigkeit, Menschen für reaktionäre Gefühle begeistern zu können. Bislang haben autoritäre Populisten erfolgreich die allgemeine politische Vorstellung mit negativer Meinungsbildung in Verbindung gesetzt, um erforderliche symbolträchtige ‚Dramatisierungen‘, Spannungen und emotionale Bindungen zu erzeugen. In diesem Kontext versuchen sie stetig, Missgunst und Unmut unter ihren Wählern zu säen, und zwar gegen die sogenannten ‚Feinde‘ des gemeinen Volkes: EU-Bürokraten, kosmopolitische Linke, heterodoxe Religionsgemeinschaften, ethnische Minderheiten etc. Aus vergleichender Perspektive hat dieser Vortrag zum Ziel, die spezielle Verbindung zwischen nationalistisch politischen Vorstellungen, Meinungsfeld und Emotionen in verschiedenen Beispielen des autoritären populistischen Diskurses zu erörtern und zu erklären, wie das derzeitige Projekt des autoritären Populismus die notwendige Kluft zwischen uns/ihnen zur Festigung ihrer politischen und sozialen Basis begründet. Deshalb sollen verschiedene Beispiele des neuen autoritären Populismus in Europa betrachtet werden sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede in ihrem Gebrauch von politischen Vorstellungen, Meinungen und reaktionären Gefühlen, beleuchtet werden, welche genutzt werden, um die Unterstützung der breiten Öffentlichkeit zu gewinnen.

 

Dr. Manuela Boatca
Foto: privat

Globale Ungleichheiten, Staatsbürgerschaft und Geschlecht

Prof. Dr. Manuela Boatcă
Professorin für Soziologie an der Universität Freiburg

Manuela Boatcă, geb. 1975 in Bukarest, ist Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt Sozialstruktur und Globalisierung an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Nach ihrem Studium der Anglistik und Germanistik an der Universität Bukarest hat sie an der KU Eichstätt-Ingolstadt in Soziologie promoviert. Sie hat längere Lehr- und Forschungsaufenthalte in Brasilien, den USA und Rumänien absolviert und war von 2012 bis 2015 Professorin für die Soziologie globaler Ungleichheiten am Lateinamerika-Institut der FU Berlin. Sie arbeitet zu Theorien sozialen Wandels, globalen Ungleichheiten, post- und dekolonialen Perspektiven, und im Bereich Gender- und Gewaltforschung. Ihre regionalen Schwerpunkte sind Osteuropa und Lateinamerika.

Abstract
Mein Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, wie die Mitgliedschaft in der nationalen Gemeinschaft von Staatsbürgern einerseits die relative soziale und politische Inklusion der Bevölkerung westeuropäischer Nationalstaaten sichergestellt hat, andererseits die selektive Exklusion kolonisierter und/oder nicht-europäischer Bevölkerungen aus den gleichen sozialen und politischen Rechten bewirkt hat und bis heute bewirkt. Ich werde neuere Entwicklungen im Hinblick auf die Gewährung von Staatsbürgerschaft als Nachweis für das andauernde Doppelmaß, das die strukturelle Verteilung von ungleichen und vergeschlechtlichten Staatsbürgerschaftsrechten sicherstellt: Einerseits werden reiche Investoren aus bestimmten nichtwestlichen Regionen aktiv ermutigt, europäische Staatsbürgerschaftsrechte zu kaufen, in einer bisher noch nie dagewesenen Welle der Kommodifizierung von Aufenthalt- und Staatsbürgerschaftsanforderungen in ganz Europa. Andererseits werden finanziell gebeutelte Staaten und nichtwestliche ArbeitsmigrantInnen zunehmend kriminalisiert, sanktioniert, und Austeritätsmaßnahmen unterzogen, wenn sie versuchen, die gleichen Rechte zu bekommen. Der Vortrag plädiert dafür, dass diese gegenseitig sich verstärkenden Dimensionen globaler Ungleichheiten die Langfristigkeit / longue durée von kolonial geprägten rassistischen und ethnischen Exklusionen in der Geschichte der Moderne im Allgemeinen und die Kolonialität von Staatsbürgerschaft im Besonderen belegen.

 

Atelier 2: Medien & Konflikt

Julia Kuttner
Foto: Wulf Rohwedder

Digitalisierung & Social Media: Gestaltung von Räumen der Meinungsfreiheit

Julia Kuttner
Online-Redakteurin bei Tagesschau.de
 
Julia Kuttner, geboren 1976, ist Journalistin und Diplom-Politikwissenschaftlerin. Sie ist seit 2008 Redakteurin bei ARD-aktuell in Hamburg und schreibt für www.tagesschau.de. Seit drei Jahren betreut sie als Mitglied des Social-Media-Teams die Facebook- und Twitterkanäle der tagesschau. Allein auf Facebook haben sie und ihr Team täglich mit durchschnittlich 12.000 Kommentaren zu tun. Als öffentlich-rechtliche Medienvertreter gehören sie zu den am schärfsten beschossenen Social-Media-Redaktionen.

Abstract
Wer in sozialen Netzwerken unterwegs ist, bekommt den Eindruck, dass Hetze, Diffamierungen und ein allgemein rauer Umgangston gesellschaftsfähig geworden sind. Falschmeldungen verbreiten sich rasant  und Verschwörungstheorien sind allgegenwärtig. Sachlich geführte Debatten über gesellschaftlich und politisch relevante Themen sind oft kaum möglich. Ursache ist unter anderem ein mangelndes digitales Bewusstsein der Menschen. Der Vortrag zeigt auf, was das bedeutet und welche Maßnahmen die Social Media Redaktion der tagesschau unternimmt, damit Debatten auch bei inhaltlichen Differenzen konstruktiv und im Ton sachlich bleiben. Mit vielen Beispielen aus dem Redaktionsalltag.

Jörg Armbruster

Fake news: Medien zwischen Aufklärung, Verzerrung und Emotionalität 

Jörg Armbruster
Ehemaliger Korrespondent der ARD für den Nahen und Mittleren Osten

Geboren 1947 in Tübingen, war Jörg Armbruster bis Ende 2012 langjähriger Studioleiter in Kairo und Korrespondent der ARD für den Nahen und Mittleren Osten. Über 10 Jahre hatte er bis dahin im Nahen Osten gearbeitet. Einige Jahre moderierte er auch den ARD-Weltspiegel. Im Oktober 2013 wurde ihm der "Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien" verliehen, mit dem investigative Journalisten von der Sparkasse Leipzig ausgezeichnet werden. Ebenfalls Ende Oktober erhielt er den renommierten 'Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis', außerdem 2015 den Bayerischen Fernsehpreis für sein Lebenswerk. Für verschiedene Medien arbeitet er weiterhin an politischen Analysen über die Entwicklungen im Nahen Osten. 2011 erschien von ihm „Der arabische Frühling. Als die islamische Jugend begann, die Welt zu verändern.“, 2013 „Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens“, beide im Westend Verlag und 2014 der Bildband „Mein Kairo“ mit Photographien von Barbara Armbruster und Hala Al Koussi. 2016 erschien außerdem „Willkommen im gelobten Land? Deutschstämmige Juden in Israel“, im Hoffmann und Campe Verlag.

Abstract

Der Vortrag untersucht die Folgen der sogenannten Fakenews für Demokratie, besonders in den sich entwickelnden Ländern aber auch in Deutschland. Die Verbreitung von Lügen ist kein neues Phänomen, das hat es schon immer gegeben. Bushkrieg im Irak, Tonkin-Zwischenfall usw.; Hannah Arendt vertritt sogar die Meinung, Lügen seien notwendiger Bestandteil des politischen Diskurses. Lügen werden erst dann gefährlich, wenn sie durch Recherche nicht schnell widerlegt werden können oder nicht widerlegt werden dürfen. Das wirklich Neue ist die ungehemmte und ungehinderte Verbreitung solcher Lügen oder Hassbotschaften über das Internet. Durch Teilen lässt sich jede Botschaft, ob wahr oder nicht wahr, im Schneeballsystem an schier unendlich viele Interessenten verschicken. Auf Facebook, Twitter und Co. kommt daher eine ganz besondere Verantwortung zu, die sie heute noch nicht wahrnehmen.

 

Atelier 3: Umbrüche und Anpassungen der AKBP

Dr. Yaşar Aydın
Foto: privat

Vernetzung der Netzwerke – lokal, global. 

Prof. Dr. Egon Endres
Sozialwissenschaftler, Professor an der Katholischen Stiftungsfachhochschule München

Prof. Dr. Egon Endres, geboren 1960, ist Sozialwissenschaftler an der Katholischen Stiftungshochschule München, deren Präsident er bis 2014 war. Davor war Endres an der TU Hamburg-Harburg im Bereich Arbeitswissenschaft sowie in der Organisations- und Personalentwicklung tätig. Im Mittelpunkt seiner Forschung steht die Frage, welche Dynamiken zwischen verschiedenen Organisationen und Unternehmen bestehen und wie sich Vernetzungen gezielt fördern lassen. Dazu führte er empirische Studien in der Automobilindustrie, im Maschinenbau sowie im Not-for-Profit-Bereich durch. Zuletzt untersuchte Endres Netzwerke zur Integration von Menschen mit Fluchterfahrungen; u.a. im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes an der San Diego State University.

Abstract
Die Bedeutung von Netzwerken hat in den vergangenen Jahren in erheblichem Ausmaß zugenommen. Es ist offensichtlich, dass sich insbesondere durch die Digitalisierung die Grenzen zwischen den verschiedenen Organisationen und Unternehmen schrittweise verschieben oder gar auflösen. Sowohl strategische, regionale als auch internationale Netzwerke beeinflussen sich wechselseitig und bringen unkalkulierbare Eigendynamiken mit sich. Die Vernetzung der Netzwerke erfordert Grenzgänger(innen) als neuen Managementtypus. Grenzgänger spüren „strukturelle Löcher“ (Ronald S. Burt) von Netzwerken auf und überbrücken sie. Im günstigsten Fall stoßen Grenzgänger(inne)n neue institutionelle Arrangements an.

Beqë Cufaj

Kulturarbeit in Zeiten der Radikalisierung

Mechtild Manus
Zentrale des Goethe-Instituts, Bereich Bildung und Diskurse, München

Mechtild Manus arbeitet in der Zentrale des Goethe-lnstituts in München im Bereich Bildung und Diskurse. Sie hat 2016 die weltweite Veranstaltungsreihe „Kritikmaschine“ durchgeführt und 2017 die internationale Tagung „Wettbewerb der Narrative. Zur globalen Krise liberaler Erzählungen“. Sie betreut beim Goethe-Institut unter anderem das Thema „Kulturen der Partizipation“. Gemeinsam mit Jonathan P. Vickery hat sie 2016 den Band „The Art of the Multitude“ (Campus Verlag) herausgegeben, der partizipative Projekte des deutschen Konzeptkünstlers Jochen Gerz und weiterer internationaler Künstlerinnen und Künstler untersucht. Bevor sie 2015 in die Zentrale wechselte, war Mechtild Manus viele Jahre in unterschiedlichen Rollen an Goethe-Instituten in Portugal, Ägypten, Indonesien, Kanada und Irland tätig, unter anderem als regionale Programmleiterin und als Institutsleiterin. Zu den Schwerpunkten ihrer Arbeit gehörten Projekte in den Bereichen Journalismus, zeitgenössischer Tanz, Stadtentwicklung, Klima und Partizipation.

Abstract
Radikale Tendenzen zeigen sich weltweit in vielen Formen: in rassistischen Angriffen, in Terroranschlägen, in gewalttätigen Demonstrationen. Nationalistische und rassistische Parteien sitzen mittlerweile in mehreren Parlamenten, bestimmen in einigen Ländern sogar die Regierungs- und damit die Kulturpolitik. Staatliche Stellen behindern und zensieren Manifestationen von Kunst und Kultur, nichtstaatliche Akteure sabotieren Kulturveranstaltungen oder sprengen sie durch Gewalt.

Wie kann die deutsche Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik darauf reagieren, damit umgehen, eventuell sogar gegensteuern? Aus der Praxis des Goethe-Instituts lassen sich folgende möglichen Handlungsfelder ableiten:

  • Ein kritisches Deutschlandbild vermitteln, das die Radikalisierungen (rechts, links, dschihadistisch) in Deutschland nicht ausklammert, sondern offen benennt: rechte Diskurse auch von bisher eher liberal-konservativen Intellektuellen, Rechtsrock, Neofolk, Dschihad-Pop, Nasheeds, Aktionen von Identitären oder der militanten Linken, subtile Codes in vielfältigen Kulturprodukten.
  • Mit Radikalen sprechen lernen Strategien für Veranstaltungen mit Radikalen entwickeln Das Instrumentarium im Umgang mit staatlicher Repression erweitern
  • Neue zivilgesellschaftliche Organisationen in Deutschland und in unseren Gastländern identifizieren, die sich radikalen Tendenzen entgegenstellen; diese miteinander vernetzen und gemeinsame Veranstaltungen fördern.
  • Das Interesse von Jugendlichen an Deutschland wecken und sie – gemeinsam mit Bildungseinrichtungen der Gastländer - in die Lage versetzen, die Strategien der Radikalen im „Erlebnisraum“ von Musik, Videos und Aktionen zu durchschauen.
  • Radikalisierungen in der eigenen Organisation erkennen und darauf reagieren.

Eingangs werde ich über Radikalisierung in Deutschland und ihre kulturelle Relevanz sprechen. Dann werde ich die internationale Dimension verdeutlichen und einige der aufgeführten Handlungsfelder thesenhaft, einige anhand von Projektbeispielen ausführlicher behandeln.