Abstracts der Vorträge

Brauchen wir eine neue Wirtschaftsordnung?

Prof. Dr. Margrit Kennedy (Deutschland)

Die Antwort ist klar: Wir brauchen dringend eine neue Wirtschaftsordnung, die auf einem anderen Geldsystem beruht - einem Geldsystem, welches den kontinuierlichen Wachstumszwang und die Umverteilung von finanziellen Ressourcen von fleißig zu reich beendet. Die Rettung von Großbanken und Staaten auf Kosten der Steuerzahler ist eine Scheinlösung und eine Verschwendung öffentlicher Mittel in einem bisher unbekannten Ausmaß. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten wie die entstandenen Probleme anders bewältigt werden können darunter Modelle für ergänzende oder „komplementäre“ Währungen von der lokalen bis zur globalen Ebene. Sie bieten nicht nur Möglichkeiten, um den negativen Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise zu begegnen, den Abfluss finanzieller Liquidität in Niedriglohnländer und Steuerparadiese aufzuhalten und der Vernichtung von Arbeitsplätzen und der Abwanderung von Firmen Einhalt zu gebieten sondern sie können das gesamte Geldsystem stabilisieren. Indem z.B. Regionen als Wirtschaftsräume mit einzigartigen Interessen und Potenzialen durch eine eigene Währung gestärkt werden, helfen sie viele kulturelle, soziale und ökologische Forderungen zu erfüllen. Darüber hinaus zeigen komplementäre Währungen für Bildung, Altenpflege, oder kleine und mittlere Unternehmen, wie die Vielfalt und damit auch die Nachhaltigkeit unseres Finanz- und Wirtschatssystems erhöht werden kann.

 

Flüchtige Zeiten: Leben in der Ungewissheit

Prof. Dr. Zygmunt Bauman (Großbritannien/Polen)

Als ich vor mehr als zehn Jahren versuchte, die Bedeutung der Metapher der „Liquidität“ bzw. der „Flüchtigkeit“ in ihrer Anwendung auf die derzeit praktizierte Lebensform zu entschlüsseln, war eines der Rätsel, die mich unablässig verfolgten und sich standhaft einer Lösung entzogen, der Status der flüchtig-modernen menschlichen Verfassung: War sie eine Andeutung, eine frühe Version, ein Omen oder ein Vorgeschmack auf Dinge, die noch kommen mochten? Oder war es eher eine vorläufige und vorübergehende – sowie eine unfertige, unvollendete und widersprüchliche – Zwischenabrechnung? Bisher konnte ich nicht einmal annähernd an das Dilemma herankommen, aber ich bin zunehmend geneigt zu vermuten, dass wir uns gegenwärtig in einer Zeit des „Interregnums“ befinden. Wir wissen noch nicht, welche der vorhandenen Formen und Rahmen „liquidiert“ und ersetzt werden müssen, doch keine scheinen gegen Kritik immun zu sein und alle oder fast alle waren irgendwann einmal für eine Auswechselung vorgesehen. Im Gegensatz zu unseren Vorfahren haben wir kein klares Bild eines „Ziels“, auf das wir uns zuzubewegen scheinen. Stattdessen reagieren wir auf die jüngsten Brandherde, experimentieren, tappen im Dunkeln. Natürlich bleiben wir so modern, wie wir vorher waren; aber diese modernen „Wir“ sind in den letzten Jahren beträchtlich mehr geworden. Das bedeutet, dass heute – im Gegensatz zu vor ein bis zwei Jahrzehnten – fast jedes Land auf der Erde der besessenen, zwanghaften, unaufhaltsamen Veränderung unterliegt, die „Modernisierung“ genannt wird und allem, was dazu gehört, einschließlich der andauernden Produktion menschlicher Überflüssigkeit und den sozialen Spannungen, die sich daraus ergeben müssen. Immer, in jeder Phase und zu jeder Zeit, nach-irgendetwas zu sein, ist ebenfalls eine unbestreitbare Eigenschaft der Moderne. Im Laufe der Zeit verändert „Moderne“ ihre Formen wie der sagenhafte Proteus. Was vor einiger Zeit „Post-Moderne“ genannt wurde und was ich lieber, genauer auf den Punkt gebracht, „flüchtige Moderne“ nenne, ist die wachsende Überzeugung, dass Veränderung die einzige Konstante ist und Unsicherheit die einzige Sicherheit. Schlug in der „soliden“ Phase das Herz der Moderne für die Beherrschung und Festlegung der Zukunft, verschob sich das Hauptanliegen in der „flüchtigen“ Phase hin zur Sicherstellung einer schuldenfreien Zukunft und hin zur Absicherung gegen die Gefahr einer vorbeugenden Ausbeutung der noch verdeckten, unbekannten und unerkennbaren Möglichkeiten, die von der Zukunft erhofft wurden und die sie bringen sollte. War die von der Aufklärung anschaulich gemachte und von Marx geforderte und versprochene Freiheit dem „idealen Produzenten“ auf den Leib geschnitten, wird die vom Markt begünstige Freiheit mit dem „idealen Konsumenten“ im Hinterkopf konzipiert; keine der beiden ist „echter“, realistischer oder umsetzbarer als die andere – sie sind einfach nur unterschiedlich und konzentrieren ihre Aufmerksamkeit auf verschiedene Freiheitsfaktoren. Sobald man ehrlich versucht, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, wird man früher oder später zwangsläufig entdecken, dass beide Visionen in Bezug auf ihre Umsetzung in die Praxis Vorbote für das Bestehen mächtiger Ungleichheiten sind und dass die fraglichen Ungleichheiten in keiner Weise außerhalb der Programme stehen, die die Visionen andeuten. Im Gegenteil, diese „lähmenden“ Faktoren sind genau die Erfordernisse, die zur Umsetzung des Programms der „Befähigung“ als unverzichtbar betrachtet werden. Unter den Bedingungen der „Flüchtigkeit“ ist alles möglich, jedoch kann nichts mit Zuversicht und Sicherheit getan werden. Daraus entsteht Unsicherheit, die Gefühle von Unkenntnis (das heißt die Unmöglichkeit zu wissen, was passieren wird) und einer schwer fassbaren und unscharfen, schlecht präzisierten und schwer zu ortenden Furcht vereint. Unter flüchtig-modernen Bedingungen zu leben kann mit einem Spaziergang im Minenfeld verglichen werden: Jeder weiß, dass die Explosion jederzeit und an jedem Ort erfolgen kann, aber niemand weiß, wann der Moment kommt und an welchem Ort sie stattfinden wird. Auf einem globalisierten Planeten ist dieser Zustand allgemeingültig; lokal verursachte Explosionen hallen auf der ganzen Welt wider. Es muss viel getan werden, um einen Ausweg aus dieser Situation zu finden, aber Macht und Politik nach der Scheidung wieder zu verheiraten ist zweifelsohne eine absolut notwendige Bedingung oder das, von dem man heute als „Wieder-Verfestigung“ zu denken geneigt ist.

 

Vielfalt der Moderne und transnationale Öffentlichkeit – eine andere Unübersichtlichkeit angesichts der gefährdeten Demokratie

Prof. Kenichi Mishima (Japan)

Der Zeitabschnitt vom Ende des zweiten Weltkriegs bis zur Schwelle der 80er Jahre war die gute alte Zeit der Modernisierungstheorie. Viele der damals dominanten Paradigmen der Modernisierung haben aber inzwischen an Überzeugungskraft eingebüßt. Auf der einen Seite zeigt das Transformationspotential der Moderne so eindeutig, dass von den repräsentativen Theorien außer einer Dosis von Normativität, ihrem semantischen Überschuss, nicht mehr so viel übriggeblieben ist. Auf der anderen Seite ist die Vielfalt der Moderne sowohl im transatlantischen als auch im außereuropäischen Bereich so evident, dass die Soziologen inzwischen mehr oder weniger die multiple modernities als Selbstverständlichkeit annehmen müssen. Multiple modernities bieten Chance zum gegenseitigen Lernen. Aber jede Phase der Moderne, jede Ausgestaltung der Moderne leidet unter dem Riss unter anderem zwischen der kapitalistischen und der demokratischen Modernisierung, zwischen dem ökonomischen Profitstreben und dem normativen Anspruch auf ein humanes Zusammenleben. Der Nationalstaat war lange die Sonderwerkstatt zur Reparatur von den Schäden, die von diesem Riss ausgelöst wurden. Es stellen sich zwei Fragen: Kann er diese Funktion heute noch erfüllen? Hat er nicht auch in seiner besten Zeit viele Probleme ausgeblendet und verdrängt? Angesichts dieser Frage darf man von einer anderen Unübersichtlichkeit reden. Öffentliche Debatten waren auch lange Zeit im Prinzip nationalstaatlich geprägt. Dagegen sind internationaler Austausch und weltweite Koordination, auch Konkurrenz in der Finanz- und Energiebranche so engmaschig organisiert, dass gegen deren gigantische Macht, gegen deren Launen einzelne nationale Öffentlichkeiten mit ihren rationalen Argumenten an Relevanzverlust zu leiden drohen. Interesse der Funktionselite und Macht der Experten sorgen sogar bei vielen Diskussionsteilnehmern für deren Verblendung und bieten Illusion von gemeinsamer Flughöhe. Dabei zeichnen sich Expertendiskurse durch Vernachlässigung der Demokratie und Verschleierung der Probleme aus. Welche Chance bietet angesichts dieser Macht des Expertentums die durch die Vielfalt der Moderne möglich gewordene transnationale Öffentlichkeit? Nur mit einer transnationalen Öffentlichkeit ist dem Umtrieb der Expertenkultur Einhalt zu gebieten. Der Vortrag endet mit einem transnationalen Versuch einer Kritik an der Expertokratie zugunsten der Normativität, ohne welche der moderne Staat auf diverse Weisen zerbröckeln muss.

 

Verzerrte Risikowahrnehmung. Warum wir Risiko missverstehen, wie dadurch unser Risiko erhöht werden kann und was wir dagegen tun können

David Ropeik (USA)

Wie der Neurowissenschaftler Antonio Damasio herausgefunden hat, ist Rationalität mehr als nur kühle und objektive Faktenanalyse. Unsere Fähigkeit zu rationalem Verhalten beruht auf einer Mischung aus den vorhandenen Fakten und wie diese Informationen emotional wahrgenommen werden. Dieses subjektive Wahrnehmungssystem ist nirgends eindeutiger als bei der Risikowahrnehmung. Doch die subjektive Risikowahrnehmung führt in der öffentlichen Gesundheit und der Umweltgesundheit zu ernsthaften Gefahren. So sehr wir uns gerne als kopfgesteuerte Wesen sehen würden, haben Ergebnisse aus unterschiedlichen Disziplinen ein System der Risikowahrnehmung offenbart, in dem Fakten mit Emotionen, Vernunft mit Bauchgefühl und Intellekt mit Instinkt vermischt werden, um zu den Urteilen zu gelangen, mit denen wir Risiko betrachten. Das Ergebnis ist eine „verzerrte Risikowahrnehmung“, eine Kluft zwischen unseren Gefühlen und den Fakten, die an sich schon ein großes Risiko darstellen kann. Dieser Vortrag stellt die grundlegenden Ergebnisse aus unterschiedlichen Disziplinen wie Neurowissenschaften, Psychologie, Soziologie, Ökonomie und Anthropologie vor, die zur Erklärung der verzerrten Risikowahrnehmung beitragen können. Die Auswirkungen dieses Phänomens auf die öffentliche und die Umweltgesundheit werden erörtert, zusammen mit grundlegenden Ansätzen, wie wir unser Verständnis der subjektiven Risikowahrnehmung einsetzen können, um die Tücken und Gefahren der verzerrten Risikowahrnehmung als Einzelpersonen und als Gesellschaft zu vermeiden. Ein Verständnis der Ursachen der verzerrten Risikowahrnehmung und warum wir zu viel Angst vor manchen kleineren Risiken haben, aber nicht genug vor manchen größeren Risiken, ist der erste Schritt hin zu einer sorgfältigeren Risikoreflexion. Sie werden diesen anschaulichen Vortrag engagiert und informiert verlassen und werden wenigstens ein bisschen besser klügere und gesündere Entscheidungen treffen können.

 

Die herausgeforderte Demokratie und die Herausforderung der Demokratie

Prof. Dr. Surendra Munshi (Indien)

Die derzeitige Entwertung der Politik mit dem Verlust ihrer positiven Bedeutung und dem gefährdeten Status ihrer Gleichheits- und Freiheitsprinzipien ist eine bedeutende Herausforderung für demokratische Gesellschaften rund um die Welt. Politik wird oft mit dem gewissenlosen Machtstreben von Politikern assoziiert. Als Erwiderung auf die Entwertung der Politik ist bei den Menschen eine allgemeine Desillusionierung eingetreten. Nicht alle Ausdrucksformen dieser Desillusionierung können jedoch als Abkehr beschrieben werden. Proteste finden in verschiedenen Teilen der Welt statt, von Neu-Delhi bis New York. Auf der anderen Seite stellt Demokratie in Regionen, in denen sie den Menschen noch vorenthalten wird, immer mehr eine Herausforderung dar. Nun ist es Zeit zum Nachdenken. Nicht Verschlossenheit, sondern Offenheit liegt vor uns, mit all ihrer Unsicherheit und Angst, aber auch ihrer Begeisterung. Tolstoi hat eine Frage aufgeworfen, die Weber in seinem berühmtem Vortrag über Politik zitierte: „Was sollen wir tun und wie sollen wir leben?“ Jetzt ist die Zeit genommen, sich wieder mit dieser Frage zu beschäftigen, und zwar nicht im Kontext unmittelbarer Nationalwahlen, sondern in Anbetracht umfassenderer Belange. Tolstois Frage ist nicht nur eine politische Frage, sondern auch eine moralische Frage – oder besser: Es ist eine politisch-moralische Frage. Sie muss im Kontext einer Welt gestellt werden, in der die Globalisierung Herausforderungen geliefert, aber auch Chancen geschaffen hat.

 

Nach der ‚Arabellion‘: Kann es eine neue Freiheitsordnung im Nahen Osten geben?

Fehim Taṣtekin (Türkei)

Der Arabische Frühling ist nicht nur eine verspätete Suche nach Freiheit und Veränderung, er ist auch eine entscheidende Kraftprobe mit dem Status Quo. Dieser Status Quo ist so geartet, dass Unterdrückungsregimes ihn jahrzehntelang als Vorwand zur Vorenthaltung der Grundrechte benutzen konnten. Der Status Quo basiert auf drei Sachverhalten:

  • Antidemokratische Methoden wurden gebilligt, da so verhindert werden konnte, dass die Islamisten mit ihrem Einschüchterungspotential gegenüber dem Westen an die Macht gelangten (Algerien, Tunesien, Ägypten).
  • Politische und konfessionelle Grenzen wurden verstärkt, um die Expansion des Iran zu verhindern, der nach der Islamischen Revolution von der dominanten globalen Weltordnung ausgeschlossen worden war (Irak, Bahrain, Saudi-Arabien, etc.).
  • Im Nahen Osten wurden Diktatoren im Rahmen von US-amerikanischen Strategien finanziert, um die Zukunft der israelischen Regierung zu gewährleisten (Ägypten, Jordanien). Länder, die die amerikanischen Strategien ablehnten, wurden dämonisiert und der Achse des Bösen zugeordnet (Syrien, Iran).

Wir befinden uns nun in einer neuen Transformationsära. Einige internationale Mächte haben schon beschlossen, bei Bestrebungen zur Regimeänderung einzugreifen, da es jetzt offensichtlich ist, dass solche Bestrebungen, wenn sie nicht wie in Ägypten gesteuert ablaufen, das Regime selbst schädigen können. Es gibt vier Dinge, die eine friedliche Revolution beeinträchtigen können: Gewalt, die zum Bürgerkrieg führt, Sektentum, das zu Entzweiungen führt, Tribalismus und militärisches Eingreifen von außen. Ist der Arabische Frühling eine westliche Verschwörung? Es ist ein großer Fehler zu glauben, dass der Arabische Frühling durch das amerikanische Projekt „Großer Naher Osten“ ausgelöst wurde. Die Vereinigten Staaten beschlossen, ihre Initiative „Großer Naher Osten“ nicht voranzutreiben, als sowohl die Hamas in Palästina wie auch die Hisbollah im Libanon in demokratischen Wahlen an die Macht kamen. Die amerikanische Regierung wurde von der Welle des Aufbegehrens in Folge des Todes des Tunesiers Bouazizi unvorbereitet getroffen.

Stellt der Arabische Frühling dann eine Widerstandswelle gegenüber dem Westen dar? Die Stimme der Demonstranten enthält keinen antiimperialistischen Unterton. Allerdings neigen die meisten Akteure dazu, eine politische Haltung einzunehmen, die der Reformierung der westlichen Beziehungen zustimmt, so dass die Anforderungen für gegenseitigen Respekt erfüllt werden können.

Wächst eine islamistische Generation heran? Es ist eine unabdingbare Tatsache, dass mehrere islamistische Gruppen, die vom Status quo jahrzehntelang abgelehnt wurden, hervortreten und Teil der Regierung werden würden, falls sich die Region für eine Demokratisierung entscheidet. Die ägyptisch-stämmigen Muslimbrüder sind die am besten organisierte Bewegung in der Region und haben Ableger, die das Gebiet von Tunesien und Libyen bis Jordanien und Syrien abdecken. Sollten sich solche Bewegungen zusammentun, um eine politische Partei zu gründen, ist es nur natürlich, dass diese die Wahlen gewinnen würden, so wie es in Tunesien und Ägypten passiert ist.

Wer wurde im Arabischen Frühling bezwungen? Israel ist das Land, das im Nahen Osten am meisten unter dem Arabischen Frühling leiden wird, sofern keine Bemühungen für einen umfassenden Wandel vermittelt werden können. Mit Ägypten hat Israel seinen wichtigsten Verbündeten verloren. In Jordanien würde ein möglicher demokratischer Schritt nach vorne den palästinensischen Flüchtlingen, die mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, zwangsläufig dabei helfen, im Land sehr viel mehr politischen Einfluss zu erlangen. Das macht die Situation für Israel noch schlimmer, als gegenüber Ägypten. Entgegen der allgemeinen Auffassung ist das gegenwärtige syrische Regime, das sich im Krieg mit Israel befindet, ein Garant für die bestehende Situation. Es gibt weder Krieg noch Frieden.

Ist die Türkei – als Modell gesehen – eine Legende oder Realität? Die Türkei wird als ein Modell in den Vordergrund gerückt, damit die Transformationstendenzen nicht zu einer antiwestlichen Kampagne werden. Es ist interessant, dass die türkische Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) oft als ein Beispiel genannt wird, dem säkulare Menschen in Ländern wie Tunesien folgen sollen. Das führt zu einer weitreichenden Debatte über die Türkei als ein Modell und seine Darstellung als „Gegenmittel zum Radikalismus“.

Wird die Entstehung einer sunnitischen islamistischen Generation den regionalen Einfluss des Iran schwächen? Der wichtigste Grund, warum der Iran in der Region immer mehr an Einfluss gewinnt, ist die Palästinafrage. Besonders die neue ägyptische Regierung, die in der Palästinafrage nicht gleichgültig bleiben wird, könnte möglicherweise eine große Veränderung zur bisherigen Handhabung bedeuten. Daher haben die Öffnung des Grenzübergangs Rafah und die Verbesserungen der Beziehungen zwischen Hamas und Fatah nach Mubaraks Sturz Kairos Hand gegenüber dem Iran gestärkt. Es ist für den Iran auch möglich, den potentiellen Verlust seines Einflusses in Syrien mit einer Annäherung an die Schiiten im Irak auszugleichen. Falls die Schiiten in Bahrain, wo die Mehrheit der Bevölkerung aus Schiiten besteht, an die Macht gelangen, wird der Iran die besten Möglichkeiten für einen Schachzug im Golf erhalten.

 

Neue nukleare Weltordnung – Worst Case Szenario oder Herausforderung?

Dr. Olli Heinonen (Finnland)

Die nukleare Sicherheit, die Sicherung kerntechnischer Anlagen und die Sicherheitsüberwachung sind „Drillinge“, die einen Synergieeffekt aufeinander ausüben. Der Unfall in Fukushima vor einem Jahr veranschaulichte die Verkettung aller drei Faktoren. Atomare Unfälle können überall passieren. Diese können zu einer örtlichen radiologischen Belastung führen oder können im Fall von großmaßstäblichen Terroranschlägen mit nuklearem Material wirtschaftliche, sicherheitsrelevante und psychologische Auswirkungen über das normale Maß hinaus anstoßen. Der kürzlich von der Nuclear Threat Initiative vorgelegte Bericht weist darauf hin, dass zur Verbesserung der nuklearen Sicherheit noch viel getan werden muss. Obwohl die tatsächliche Verantwortung in den Bereichen nukleare Sicherheit, Sicherung kerntechnischer Anlagen und Sicherheitsüberwachung bei den einzelnen Staaten liegt, muss die internationale Gemeinschaft die entsprechenden Regime stärken und sicherstellen, dass alle Staaten ihren internationalen Verpflichtungen und Vereinbarungen vollständig nachkommen. Für letzteres muss ein transparenterer internationaler Mechanismus entwickelt werden.