Abstracts der Vorträge

Festrede: Organisiertes Verbrechen: die Kriminalität im 3. Jahrtausend

Roberto Scarpinato

Das organisierte Verbrechen in Europa: Konzepte, Strukturen und Kontrollverfahren in der Europäischen Union und darüber hinaus

Prof. Dr. Cyrille J.C.F. Fijnaut

Nicht nur das Konzept, sondern auch die Realität von Organisierter Kriminalität und der Kontrolle derselben ist aus vielerlei Gründen recht kompliziert. Aufgrund dessen ist sie auch oft Thema akademischer und politischer Diskussionen. Gleichwohl können von einer analytischen Perspektive aus zwei Hauptarten der Organisierten Kriminalität unterschieden werden: die illegale Kontrolle ganzer Regionen (Süditalien, die Slums in Rio de Janeiro) oder sogar rechtmäßiger Märkte (Abfallentsorgung, Lebensmittelmärkte, Verkehrswesen) auf der einen Seite, und die Herstellung bzw. Lieferung (illegaler) Arbeitskräfte, Waren und Dienstleistungen auf dem Schwarzmarkt wie dem regulären Markt (illegale Drogen, Frauen- oder auch Männerhandel, Handel mit Handwaffen, illegales Glückspiel usw.) auf der anderen. Trotz der vielen Unterschiede zwischen diesen Ausformungen Organisierter Kriminalität gibt es auch einige wichtige Gemeinsamkeiten: Gewalt und Geheimhaltung spielen immer eine sehr wichtige und letztendlich entscheidende Rolle. Die Aktivitäten des organisierten Verbrechens sind immer stark in die Gesellschaft eingebunden. Je schwächer ein Staat ist, desto mehr Macht können die kriminellen Gruppen aufbauen. Zu guter Letzt ist Organisierte Kriminalität ein hauptsächlich lokales Phänomen. Das bedeutet, dass die Eindämmung organisierter Kriminalität in erster Linie auf lokaler wie nationaler Ebene eine starke Verwaltung, Polizeikraft sowie starke Rechts- und Steuerbehörden erfordert, die über proaktive, eindringliche und möglichst weitreichende Fähigkeiten verfügen. In Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei Organisierter Kriminalität um ein grenzübergreifendes Phänomen handelt (Verkehr, Kommunikation und Geld), sind Körperschaften wie Interpol, Europol und Eurojust sowie die Einrichtung von z. B. Verbindungsbeamten äußerst wichtig bei der Unterstützung grenzübergreifender Polizeikooperationen und gegenseitiger Rechtshilfe.

Organisierte Kriminalität in Deutschland und den USA

Prof. Dr. Klaus von Lampe

Der Vortrag beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Konstruktion und Realität Organisierter Kriminalität in Deutschland und den USA. Der Begriff 'Organisierte Kriminalität' wurde in den USA geprägt und später in die kriminalpolitische Diskussion der Bundesrepublik eingeführt. Der Begriff vermengt unterschiedliche Ausschnitte der gesellschaftlichen Wirklichkeit, ohne dass Klarheit über die bestehenden Zusammenhänge und Wechselwirkungen bestünde. Im Einzelnen geht es um kriminelle Aktivitäten, Täterstrukturen und Machtbeziehungen innerhalb krimineller Milieus sowie um das Verhältnis illegaler und legaler Strukturen zueinander. Diesbezüglich bestehen sowohl Parallelen wie grundlegende Unterschiede zwischen den USA und Deutschland.

Globales Verbrechen: Der Weg von der realen zur virtuellen Bedrohung

Dr. h.c. Misha Glenny

Russische Organisierte Kriminalität: vor Ort und im Ausland

Prof. Dr. James O. Finckenauer

Das organisierte Verbrechen hat heutzutage weit reichende negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche und politische Entwicklung von Russland. Während die ehemalige Sowjetunion dem Wachstum der organisierten Kriminalität fruchtbaren Boden bot, scheint der Untergang der UdSSR im Jahr 1991 den Netzwerken organisierten Verbrechens noch mehr Möglichkeiten zur Entfaltung und Ausdehnung erschlossen zu haben. Die heutigen russischen Gruppierungen sind noch raffinierter als ihre Vorgänger. Sie haben ihren Einflussbereich weltweit ausgeweitet. Russische kriminelle Gruppen in Europa und den USA sind an einer Vielzahl krimineller Unternehmen beteiligt, die einen beträchtlichen Schaden anrichten.
In diesem Vortrag möchte ich zunächst einige wichtige Begriffe definieren, die verstehen helfen, was Organisierte Kriminalität eigentlich ist. Als nächstes möchte ich einen kurzen geschichtlichen Abriss über russisches organisiertes Verbrechen geben, denn die heutige Organisierte Kriminalität in Russland und andernorts ist geschichtlich begründet. Daraufhin werde ich weiter auf die heutige Situation hinsichtlich russischen organisierten Verbrechens eingehen. Zu guter Letzt möchte ich über einige der Methoden zur Bekämpfung der Netzwerke organisierten Verbrechens sprechen, einschließlich der russischen, und ein paar strategische Vorgehensweisen vorschlagen.

Triaden – die chinesische Mafia in Hongkong und international

Adrian Kim-Fai Kwan

Tian Di Hui (wörtlich übersetzt ‚Die Gemeinschaft von Himmel und Erde'), der Ursprung der Triadenvereinigung, entstand nach allgemeinem Glauben im China des 17. Jahrhunderts mit dem erklärten Ziel, die Qing-Dynastie zu stürzen, die von der ethnischen Gruppe der Mandschu geführt wurde, und die Ming-Dynastie der Han wieder herzustellen. Im Laufe der Zeit verbreitete sich Tian Di Hui in den verschiedenen Teilen Chinas und verzweigte sich in viele Gruppen unterschiedlichster Bezeichnungen. Eine davon war Triaden, was wörtlich übersetzt ‚Die Vereinigung der drei Harmonien' bedeutet und die Einheit zwischen Himmel, Erde und Mensch bezeichnet. Um der Vergeltung der Qing zu entfliehen, wanderten viele Mitglieder der Vereinigung aus. Sie blieben ihren Vereinigungen jedoch treu und errichteten neue Bastionen zur Befreiung Chinas.

Über die Jahrhunderte verschwanden die ursprünglichen Beweggründe der Bewegung aus dem Gedächtnis und die ursprüngliche Vereinigung löste sich in zahllose Einzelorganisationen auf, die alle eine Beziehung zur Triadenfamilie beanspruchten. Sie begannen die Aufmerksamkeit einer großen Zahl Krimineller und unerwünschter Individuen auf sich zu ziehen, so dass sie zu einer Antriebsmaschine von organisiertem Verbrechen und Kleinvergehen wurden.

Heutzutage ist es keine Seltenheit, dass verschiedene Triadengruppen sich zusammen tun, wenn die Möglichkeit besteht, dabei Geld zu machen. Nicht außer Acht zu lassen ist jedoch der Aspekt, dass es kein internationales Triadennetzwerk oder eine zentralisierte Kontrolle grenzübergreifender Triadenaktivitäten gibt. Mitglied in einer Triade zu sein kann etwa als „Schmiermittel“ angesehen werden, das persönliche Kontakte und Kooperationen zwischen verschiedenen Triadengruppen oder Einzelpersonen erleichtert.

Wirklich eine Gefahr? Organisierte Kriminalität, Demokratie und Demokratisierung und einige limitierte internationale Vergleiche

Prof. Dr. Susanne Karstedt

Organisierte Kriminalität ist derzeit das Gespenst, das in Europa umgeht. Drogen- und Menschenhandel sind die eine und offensichtliche Seite dieser Gefahr, begleitet von schwerer Gewaltkriminalität, während finanzielle Transaktionen, Geldwäsche und Korruption die eher versteckten und weniger sichtbaren Gefahren signalisieren. In Zeiten der Globalisierung wächst offensichtlich eine illegale Ökonomie im Schatten der legalen heran, die symbiotisch oder zumindest komplementär mit ihr verbunden ist.

Wie groß ist die Gefahr wirklich, und in welchem Ausmaß sind Gefahren für die westlichen Demokratien zu befürchten? Sind möglicherweise viel eher Länder betroffen, die sich in einem Prozess der Demokratisierung befinden? Kann Organisierte Kriminalität diesen Prozess hindern oder gar aufhalten und zur Destabilisierung des neuen und noch schwachen institutionellen Regimes beitragen? Der Vortrag möchte zu einer realistischen Einschätzung der Gefahren Organisierter Kriminalität in Demokratien beitragen.

Korruption verstehen und verhindern: Was wir aus der Spesenaffäre in Großbritannien lernen können

Prof. Dr. James L. Newell

Der Skandal um die Spesen der Abgeordneten in Großbritannien der vergangenen Zeit wirft elementare Fragen auf, beispielsweise wie Korruption als kriminelles Phänomen zu definieren ist und wie Korruption verhindert werden kann. In Bezug auf die Definition wird durch den Skandal klar, dass der öffentlichen Wahrnehmung eine zentrale Rolle zukommt: ein Großteil der Verhaltensweisen, die in den vergangenen Monaten zutage traten, wären auf Grundlage der gebräuchlichen akademischen oder juristischen Definitionen des Begriffs nicht als „korrupt“ angesehen worden. In den Augen der Öffentlichkeit handelt es sich jedoch sehr wohl um Korruption – und wer möchte behaupten, dass die Öffentlichkeit falsch liegt? Ferner herrscht die Auffassung, dass Korruption viele negative Konsequenzen nach sich ziehe, darunter auch die Untergrabung des öffentlichen Vertrauens in demokratische Prozesse. Dafür muss Korruption nicht im ganz objektivem Sinne zum Problem werden, es genügt oft schon, wenn ein ausreichend großer Anteil der Bevölkerung – mit welcher Begründung auch immer – die Korruption als Problem ansieht. Im Hinblick auf die Frage, wie Korruption verhindert werden kann, hat der Skandal zu einer weitläufigen Diskussion über gewisse Regeln geführt. Regeländerungen an sich können wenig gegen Fehlverhalten ausrichten – sie beeinflussen jedoch die Erwartungshaltung der Menschen. Auch wenn sie eigentlich dazu gedacht sind, Bedenken in der Bevölkerung auszuräumen, können sie daher paradoxerweise dafür sorgen, dass diese Bedenken noch genährt werden. Und wenn Korruption im Hinblick auf öffentliche Wahrnehmungen definiert werden soll, ist es sehr wahrscheinlich, dass durch Regeländerungen der Stellenwert von Korruption als soziales Phänomen eher verstärkt als vermindert wird. Mit diesen Gedanken im Hinterkopf sollen in diesem Vortrag zwei Fragen beantwortet werden: Was lehrt uns der Spesenskandal in Bezug auf die Definition von Korruption und auf die Verhaltensweisen, die in diese Kategorie fallen? Was lehrt uns der Skandal hinsichtlich einer geeigneten Herangehensweise zur Bekämpfung von Korruption und den negativen Auswirkungen?

Die Finanzströme von Organisierter Kriminalität und Terrorismus: Was wissen wir (nicht)?

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Friedrich Schneider

In diesem Vortrag werden die Finanzströme von Organisierter Kriminalität und Terrorismus dargestellt. Zunächst wird ein Versuch unternommen, den Umsatz zur Organisierten Kriminalität in 20 OECD-Ländern zu schätzen. Der Umsatz dieser 20 Länder betrug im Jahr 1995 270 Milliarden US-Dollar und stieg im Jahr 2006 auf 614 Milliarden US-Dollar an. Weiterhin erfolgt eine kurze Übersicht über die vorhandenen Ziffern zum weltweiten finanziellen Ausmaß der Aktivitäten der Organisierten Kriminalität. Ebenso werden die Finanzströme islamistischer Terrororganisationen untersucht und die Auswirkung von Terrorakten auf die Wirtschaft in hoch entwickelten OECD-Ländern.

Frauenhandel und Sexsklaverei – Tatort: Europa

Manfred Paulus

Der Handel mit der „Ware“ Frau von Ost- nach Westeuropa und ihre sexuelle Ausbeutung in Westeuropa sind ein anhaltendes europäisches Problem. Deutschland spielt bei diesem Kerndelikt der Organisierten Kriminalität eine maßgebliche Rolle: Die Bundesrepublik ist ein beliebtes und bedeutsames Zielland des Frauenhandels, die Bedingungen sind aus Sicht der Menschenhändlerringe und Zuhälterorganisationen geradezu ideal und der Kampf gegen den Frauenhandel wird oft nur halbherzig, mit ungeeigneten Mitteln und wenig wirksam geführt. So stehen beispielsweise täterfreundliche und opferfeindliche gesetzliche Vorgaben der angemessenen Verfolgung der Täter im Wege. Der Vortrag klärt über die Ursachen und Bedingungen des Frauenhandels auf und gibt Einblicke in die Strukturen und Praktiken von Anwerbung in den Rekrutierungsländern (Moldawien, Ukraine, Weißrussland etc.), Menschenschleusung und Ausbeutung in Deutschland. Auch die Situation der „Zwangsprostituierten“ soll in den Blick genommen werden.

Die Wandlung der Rolle der Frauen in der Cosa Nostra: eine diachronische und vergleichende Analyse

Prof. Dr. Alessandro Dino

Aktuelle Studien zur Rolle der Frauen in Mafiaorganisationen in Italien machen deutlich, dass es im Laufe der Zeit nicht nur einen Wandel der Frauenrolle an sich gegeben hat, sondern dass sich im Besonderen die Sichtbarkeit der Frauen verändert hat. Kriminelle Organisationen haben in den beiden vergangenen Jahrzehnten, in denen sie durch zahlreiche Festnahmen geschwächt wurden, vermehrt Frauen mit der Aufgabe betraut, das Machtbild nach außen zu demonstrieren, zu wahren und zu stärken. In Krisenzeiten sind Frauen für die kriminellen Organisationen die verlässlichsten Akteure. Ihnen werden Aufgaben übertragen, die für das Überleben der Organisationen von elementarer Bedeutung sind. Diese Rolle wird – sowohl von Männern als auch von der Öffentlichkeit – oft nicht als unmittelbare Macht wahrgenommen. Das Hauptaugenmerk des Vortrags liegt auf der Analyse der weiblichen Akteure in kriminellen Mafia-Organisationen. Darüber hinaus werden die Dialektik von Auftreten und Unsichtbarkeit, von Anschein und Wirklichkeit, sowie Verkörperungsformen der Macht der Frauen behandelt. Wir werden uns auf direkte Belege, Befragungen, Briefe und Rechtsmaterialen stützen, um die Geschichte und das Bild der Mafia zu untersuchen, die bzw. das von Frauen vermittelt wird, die sich in Mafiakreisen bewegen oder direkten Kontakt zur Mafia haben. Die Geschichten dieser Frauen werden aus der Genderperspektive durch die Verbindung zwischen den persönlichen Geschichten und denen der Mafia betrachtet, sowohl in dem Gebrauch von Wörtern und den Wahrnehmungswelten, in denen ihre Geschichten eine Bedeutung haben. Eine Mafiageschichte wird durch das Geschlechterprisma erzählt, welches – im spiegelbildlichen Vergleich mit den Männergeschichten – neue Wege und neue Perspektiven aufdeckt, um neue Aspekte einer sich verändernden Welt zu entwickeln und zu erkennen.

Organisierte Kriminalität in Europa zwischen Theorie und Praxis

Dr. Wolfgang Hetzer

Die Europäische Union hat sich in der Berliner Erklärung dazu verpflichtet, die Organisierte Kriminalität (OK) zu bekämpfen. Um dieses Versprechen jedoch einhalten zu können, müssen zunächst vielfältige und anspruchsvolle Voraussetzungen erfüllt werden. Hierzu zählt in erster Instanz die Festlegung einer einheitlichen Definition, die einerseits die Vielgestaltigkeit der OK berücksichtigt und andererseits ihre konkreten Erscheinungsbilder darstellt. Die Notwendigkeit einer solchen Definition ist besonders aus grundrechtlicher Perspektive erforderlich, da sich hierauf staatliche Sanktionen stützen. Der Vortrag gibt Einblicke in bestehende Lösungsansätze und Herangehensweisen sowie in die damit verbundenen Schwierigkeiten. Es wird ferner das traditionelle Verständnis der OK erörtert, das insofern problematisch ist, als OK als ein Merkmal strukturschwacher Gesellschaften angesehen wird. Tatsächlich hat sich OK in unterschiedlichen Formen in allen politischen Systemen ausgebreitet und greift über in die Sphären des bürgerlichen, wirtschaftlichen und politischen Daseins. Korruptive Praktiken in weltweit agierenden Konzernen und diverse Delikte wie Steuerhinterziehung und dergleichen lassen eine strukturelle und funktionelle Überschneidung mit der OK erkennen und hinterfragen das Postulat der Unterscheidbarkeit von Politik, Wirtschaft, Staatsbürokratie und organisierten kriminellen Strukturen. Des Weiteren soll ein Bewusstsein dafür entstehen, dass die effiziente polizeiliche Bekämpfung der OK häufig auch daran scheitert, dass die OK in vielen Staaten die radikale Ausprägung ökonomischer, militärischer und politischer Machtverhältnisse darstellt.