Karlsruher Gespräche 2019

Brexit und ‚Global Britain‘: Eine historische Perspektive auf die britische Migration

 

Prof. Dr. Tanja Bueltmann

Referentin

 
Prof. Dr. Tanja Bueltmann ist gebürtige Bielefelderin und studierte in ihrer Heimatstadt Anglistik, Geschichte und Soziologie. Ihren PhD mit Fokus auf die Geschichte der Schottischen Diaspora in Neuseeland erwarb sie an der Victoria University of Wellington in Neuseeland. Seit ihrer Rückkehr aus Neuseeland arbeitet sie an der Northumbria University in Newcastle upon Tyne in Großbritannien. Ihre Forschungsarbeit konzentriert sich auf die Britische Diaspora- und Migrationsgeschichte. Zur Zeit ist Bueltmann Vize-Dekanin der Faculty of Arts, Design and Social Sciences. 

 

Statements

1. Welche Bereiche des Zusammenlebens (Wirtschaft, Politik, Gesellschaft) sind Ihrer Meinung nach am stärksten von einem Mangel an Verantwortungsübernahme betroffen

In Großbritannien auf jeden Fall die Politik! In Kontinentaleuropa hat man, glaube ich, immer noch nicht so ganz verstanden, wie extrem destruktiv das EU-Referendum und der Brexit schon jetzt gewirkt haben. Befürworterinnen und Befürworter des Brexit, aber auch Premierministerin Theresa May und der Oppositionsführer Jeremy Corbyn lügen weiterhin jeden Tag die Bürgerinnen und Bürger an. Fakten, Wahrheit und Realität — die hat der Brexit fast völlig ausgehebelt. Verantwortung will niemand übernehmen. Und Schuld sind immer die anderen.

 

2. Sehen Sie einen anhaltenden Trend dahingehend, dass demokratische Mehrheiten immer öfter unsere Werte einer toleranten Gesellschaft abwählen? Wenn ja, wie ist damit umzugehen?

Ja, leider sehe ich den ganz klar. In Großbritannien hebelt sich die Demokratie gerade selbst aus und das geschieht vor allem deshalb, weil der Brexit als einzige Lösung für die ‚Migrationskrise‘ — auf Großbritannien bezogen ist das eine frei erfundene Krise — gesehen wird. Nur darum geht es eigentlich. ‚Cool Britannia‘ ist nun ‚Cold Britannia‘, und mit Ausnahme von Schottland und London ist es um die Toleranz im Land sehr schlecht bestellt.

 

3. Welche Umstände stehen Ihrer Ansicht nach der Übernahme von Verantwortung entgegen? Ist der Hauptgrund hierfür in einem Verlust von sicher geglaubten Werten, Normen und Regelungen zu suchen?

Sicherlich liegt es auch daran, dass es grundsätzlich einen Verlust von Normen und Werten gibt. Aber vielleicht eher als Unfall — meine Uroma würde das jetzt so ausdrücken: „Euch geht es zu gut”. Viele haben sich einfach so sehr an bestimmte Dinge gewöhnt, dass sie einfach nicht glauben, sie könnten wegfallen. Aber Demokratie und Offenheit sind harte Arbeit. Dazu kommt aber auch, dass es vielen in der Gesellschaft eben nicht gut geht. Entweder, weil dem wirklich so ist, oder, weil es ihnen so vorkommt. Und da finden Populistinnen und Populisten natürlich leider den perfekten Nährboden.