Karlsruher Gespräche 2014

Prof. Dr. Zoe Trodd

Referentin

Prof. Dr. Zoe Trodd

Prof. Dr. Zoe Trodd hat den Lehrstuhl für amerikanische Literatur der Fakultät für Amerikanistik und Kanadistik an der Universität Nottingham inne. Zuvor lehrte sie an der amerikanischen Columbia Universität. Trodd erwarb einen Bachelorabschluss an der Universität Cambridge sowie einen Master- und einen Doktortitel an der Universität Harvard. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Geschichte, der Literatur und der visuellen Kultur von Protestbewegungen, insbesondere von historischen und zeitgenössischen Bewegungen gegen die Sklaverei. Zu ihren Büchern über Sklaverei und Abolitionismus gehören Picturing Frederick Douglass: The Most Photographed American of the Nineteenth Century (in Kürze erscheinend), The Tribunal: Responses to John Brown and the Harpers Ferry Raid (2012), Modern Slavery: The Secret World of 27 Million People (2009), To Plead Our Own Cause: Personal Stories by Today’s Slaves (2008) und Meteor of War: The John Brown Story (2004). Trodd schrieb weitere Bücher, u.a. über den US-amerikanischen Bürgerkrieg, die Bürgerrechtsbewegung und amerikanische Protestliteratur. Außerdem veröffentlichte sie zahlreiche Artikel über Sklaverei, Abolitionismus und sozialen Protest, einschließlich Artikel über zeitgenössische Sklaverei und die moderne Antisklavereikultur. Trodd erhielt Stipendien von der British Academy, dem American Council of Learned Societies, dem Gilder Lehrman Center for the Study of Slavery, Resistance, and Abolition der Universität Yale, dem Center for the Study of the American South der Universität North Carolina in Chapel Hill und dem Weatherhead Center for International Affairs der Universität Harvard. Im Juli 2013 sprach sie zum Thema Antisklavereipolitik der EU vor dem Unterausschuss für Menschenrechte des Europaparlaments. Außerdem ist sie an Antisklavereikampagnen von Nichtregierungsorganisationen beteiligt, wobei sie sich besonders auf deren Gebrauch visueller Kultur und geschichtlicher Erinnerung konzentriert

 

Das ZAK bat Prof. Dr. Zoe Trodd folgende Frage zu beantworten: 

Führt die Weltmarktgesellschaft zu neuen Formen des Menschenhandels oder kann sie eine Chance für die Durchsetzung internationaler Standards für menschenwürdige Arbeitsverhältnisse sein?

Im Laufe der Geschichte hat sich die Sklaverei mühelos an eine sich wandelnde Welt angepasst. Das ist auch heute noch so. Mit den Worten der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sind Sklaverei und Menschenhandel die „Schattenseite der Globalisierung“. Durch neue Formen der Unfreiheit breiten sich Sklaverei und sklavereibasierte Tätigkeiten ohne nennenswerte staatliche Kontrolle rund um die Welt aus. Durch die globalisierten Finanzsysteme und eine mangelnde Arbeitsmarktregulierung fließen die durch Sklaven erwirtschafteten Gewinne problemlos über nationale Grenzen hinweg. Für Regierungen ist es schwierig, wenn nicht gar unmöglich, diesen Geldfluss zu stoppen. Die Gesetze eines Landes reichen bis zu dessen Grenzen, doch der weltweite Sklavenhandel fließt über und unter diesen Grenzen hindurch wie Wasser durch ein Sieb. Viele Menschenhändler nutzen die globale Reichweite des Internets für die Suche nach neuen Kunden und den Abschluss von Geschäften. Da Sklaverei jedoch überall illegal ist, müssen alle Sklavenhalter auf ähnlich verborgene Weise handeln, ihre Sklaven verstecken und ihre Einnahmen verschieben. Eingeschlossen in eine globale Wirtschaft, in der Geld, Waren und Menschen in viele Richtungen fließen, führen Sklavenhändler ihre ,Geschäfte‘ zunehmend in ähnlicher Weise. Die Ströme der Sklaverei verschmelzen und kreuzen sich. In Brasilien werden Sklaven in dicht bevölkerten, wirtschaftlich schwachen Regionen ‚angeworben‘ und dann über 1.000 Meilen weit in Wälder verfrachtet, wo sie Holzkohle herstellen. Die Holzkohle wird zur Verwendung in Stahlwerken wiederum weitere 1.000 Meilen weit transportiert. Der gewonnene Stahl wird nach Kanada und in die USA verkauft. Die Europäische Union importiert jährlich fast eine Million Tonnen brasilianischen Stahls zur Herstellung aller Arten von Produkten wie Autos, Baumaterial und Spielzeug. Frauen aus Burma oder Laos werden nach Thailand, Japan oder Europa in die Prostitution verkauft. Kapital aus Hongkong finanziert die Bordelle in Thailand und Investitionen aus Europa unterstützen die Holzkohlebetriebe in Brasilien. Obwohl der Großteil der heutigen Sklavenarbeit auf den Verkauf oder den Konsum vor Ort abzielt, finden sich von Sklaven hergestellte Waren in der gesamten globalen Wirtschaft. Millionen von Sklaven in Indien bauen Lebensmittel an, arbeiten im Steinbruch oder produzieren andere Güter, die in ihren eigenen Städten oder Dörfern genutzt werden. Doch von Kindersklaven in Indien, Pakistan und Nepal hergestellte Teppiche werden hauptsächlich nach Europa und in die USA exportiert. Das Phänomen der Globalisierung bedeutet, dass die von uns gekauften Waren zunehmend in anderen Teilen der Welt zusammengebaut werden, und dies aus Einzelteilen, die aus der ganzen Welt stammen. Zur Herstellung eines Produkts sind zahlreiche Schritte und Einzelteile nötig – die Sklaverei kann sich in jeden beliebigen bzw. jedes beliebige davon einschleichen. Sklaven werden zur Herstellung vieler unserer Bedarfsgüter genutzt. Dokumentierte Fälle von Sklaverei bei Teppichen, Kakao, Baumwolle, Bauholz, Rindfleisch, Tomaten, Salat, Äpfeln und anderem Obst, Garnelen und anderen Fischprodukten, Gold, Weißblech, Diamanten und anderen Edelsteinen, Schuhen, Kleidung, Feuerwerkskörpern, Seilen, Läufern, Reis und Ziegelsteinen kommen aus zahlreichen unterschiedlichen Ländern. Kaffee wird mitunter in Sklavenarbeit angebaut und Zucker wird zum Teil von Sklaven geerntet. Im Kongo zwingen bewaffnete Banden lokale Dorfbewohner dazu, nach einem Mineral namens Tantal zu graben. Die Banden verkaufen das Tantal an Exporteure, die es zur Produktion von Handys und Computern nach Europa und Asien verschicken. Auch schleicht sich die Sklaverei in Kapitalanlagen ein. Rentenfonds oder Investitionsfonds können Aktien von Unternehmen beinhalten, die andere Unternehmen beschäftigen, welche wiederum Sklavenarbeit einsetzen.

Jedoch können Regierungen und die Industrie eingreifen. Unternehmen können der Sklaverei Einhalt gebieten, indem sie Verantwortung übernehmen und ihre Produktionsketten säubern. Beispielsweise könnte die EU innerhalb Europas ein Gesetz ähnlich dem ‚California Transparency in Supply Chains Act‘ von 2010 erlassen, von dem zurzeit eine Version als ‚Transparency in UK Company Supply Chains (Eradication of Slavery) Bill‘ dem britischen Parlament vorliegt. Nach diesem Gesetz sind alle Unternehmen ab einer bestimmten Größe dazu verpflichtet, Informationen über die Anstrengungen zu veröffentlichen, die gegen moderne Sklaverei in ihren Lieferketten unternommen werden. Eine EU-Richtlinie zur Transparenz in Lieferketten, die auf in der EU agierende Unternehmen mit einem jährlichen Bruttoumsatz über 100 Millionen Euro abzielt, könnte die Rechenschaftspflicht der Unternehmen steigern und sie dazu animieren, das Problem der Sklaverei durch Compliance-Systeme proaktiv anzugehen. Unternehmen wären dazu verpflichtet, diese Informationen in ihren Jahresberichten und auf ihren Webseiten zu veröffentlichen. Die EU könnte die gute Arbeit von Unternehmen, die eine sklavenfreie Lieferkette sichergestellt haben, positiv hervorheben und würde Unternehmen so zum ethischen Einkauf anregen.
Zusätzlich könnten kleine Veränderungen bei der Gewerbesteuer verantwortungsbewusst handelnde Unternehmen bedeutend unterstützen. Gleichzeitig könnte die EU zivilgesellschaftliche Gruppen dazu einladen, unterstützend mit Unternehmen zusammenzuarbeiten, um Sklaverei in deren Liefer- und Subunternehmerketten zu identifizieren und unabhängige Prüfungen der Unternehmensprogramme durch Dritte durchzuführen. Die EU könnte auch all diejenigen an einen Tisch bringen, die von einer Säuberung der Produktkette einer Ware oder eines Produkts profitieren würden, ähnlich wie bei der International Cocoa Initiative (ICI). Regierungen können in diesem Prozess als Kuppler zwischen konkurrierenden Unternehmen und der Anti-Sklaverei-Bewegung auftreten und sollten die verschiedenen Interessengruppen aktiv zusammenbringen.
Auf einer höheren Ebene kann und sollte das Problem der Sklaverei in der Lieferkette in der Regierungsführung des internationalen Handels behandelt werden. Auf elementarster Ebene und mit den Handelsbestimmungen der Welthandelsorganisation (WTO) absolut vereinbar steht das einfache Verbot, dass keine von Sklaven hergestellten Güter oder Produkte in die EU eingeführt werden dürfen. Dann sollte die EU – zusätzlich zu ihrer Arbeit mit den Unternehmen – Handelsvereinbarungen mit Nicht-EU-Ländern aushandeln, die die Zirkulation von in Sklavenarbeit hergestellten Gütern verbietet. Sie könnte ein Gesetz verabschieden und durchsetzen, nach dem von Sklaven hergestellte Güter nicht in die EU importiert, aus der EU exportiert oder innerhalb der EU gehandelt werden dürfen. Die Sklaverei selbst ist sowohl für den Handel wie auch für die nationalen Wirtschaften ein Hemmnis, also sollte deren Auslöschung ein Schlüsselelement des Gewerberechts sein.
Die EU könnte außerdem jährlich eine länderspezifische Liste von Gütern erstellen und veröffentlichen, die durch Zwangsarbeit in Nicht-EU-Ländern hergestellt wurden, und verlangen, dass das Problem deutlich reduziert (wenn nicht beseitigt) werden muss, um es von der Liste zu streichen. Ein nützliches Modell hierfür ist die ‚List of Goods Produced by Child Labor or Forced Labor‘ des US-amerikanischen Arbeitsministeriums. Falls die Regierungen nicht reagieren – beispielsweise durch Einführung eines Systems von Inspektionen und Schutzvorkehrungen –, sollte die EU die Einfuhrkontingente dieser Länder reduzieren.
Letztendlich müssen Regierungen ihre eigenen Gesetze gegen die Sklaverei erlassen. Um das umzusetzen, muss jedes Land begreifen, dass es aktiv werden muss, da es andernfalls gravierendem Druck ausgesetzt wird. Die EU könnte EU- und Nicht-EU-Länder zur Einrichtung von Sklaverei-Aufsichtsbehörden animieren und innerhalb Europas als gutes Beispiel für Nicht-EU-Länder vorangehen, möglicherweise indem die Sklaverei-Aufsichtsbehörden zu einem Bestandteil der bestehenden Systeme der nationalen Arbeitsaufsichtsbehörden gemacht werden. Diese könnten durch die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz unterstützt werden. Sie sollten dabei besonders auf die Branchen und Wirtschaftssektoren ausgerichtet sein, bei denen der Einsatz von Sklaven am wahrscheinlichsten vorkommt. Ein Inspektionsverfahren könnte Sklaven ausfindig machen und ‚Arbeitgeber‘ von deren Einsatz abschrecken. Die Inspektoren würden bei der Sammlung von Daten für die jährliche Liste der von Sklaven hergestellten Waren helfen. Das Urteil der Sklaverei-Inspektoren sollte von den Regierungen gesetzlich anerkannt werden, damit – zusätzlich zur Strafverfolgung der Einzelpersonen, die im Menschenhandel und der Versklavung tätig waren – Wirtschaftseinheiten die Handelsgenehmigung entzogen und ihr Eigentum konfisziert werden kann, bis sie die Verwendung von Sklavenarbeit einstellen. Privatbanken sollten dazu angeregt werden, diesen Unternehmen keinen Kredit zu gewähren, bis die Sklavenarbeit eingestellt wurde. Ein nützliches Modell für diese ‚Schwarze Liste‚ ist die Lista Suja do Trabalho Escravo (Schwarze Liste der Sklavenarbeit) Brasiliens.