Antikenromane und antikes Wissen im europäischen und deutschsprachigen Mittelalter

Inhalt

Erst die Neuzeit 'erfand' die drei aufeinanderfolgenden Epochen Antike, Mittelalter und Neuzeit. Das Mittelalter sah sich dagegen in Kontinuität zur Antike und definierte sich im 12. Jh. als 'Zwerg auf den Schultern der Riesen', d.h. der überragenden antiken Philosophen und Dichter.

Westeuropa übernahm die lateinische Sprache, aus der sich die romanischen Sprachen bildeten. Im Französischen wie im Deutschen stehen drei große antike Stoffe am Beginn einer neuen literarischen Gattung: des höfischen Romans. Die drei Stoffe und die ersten deutschen Texte stehen im Zentrum der Vorlesung:

- Lambrechts 'Alexander', die romanhafte Geschichte Alexanders des Großen;

- Heinrichs von Veldeke 'Eneas', eine Geschichte von Flucht und Migration, Liebe, Gewalt, sowie

- Herborts von Fritzlar 'Liet von Troye', der erste deutschsprachige Trojaroman.

Voran gehen den dreien zwei Texte, die sich als Wunderkammern antiker Sage und Mythologie präsentieren: das anonyme Annolied (entst. um 1080) und die Regensburger Kaiserchronik (um 1150), ein Erzählzyklus in 55 (meist fiktiven) Biographien römischer Imperatoren. Und nicht zuletzt gab es schon um 1200 Albrechts von Halberstadt Gesamtbearbeitung der 'Metamorphosen' Ovids, von der sich Bruchstücke und eine frühneuzeitliche Modernisierung erhielten.

Eingebettet sind diese 'Klassiker' antik-mittelalterlicher Literatur in die bis heute fortdauernde Kontinuität (vor-)moderner Antikenrezeption, die neben der Literatur und Sprache auch Wissen und Wissenschaft, die Künste, das Welt- und Geschichtsbild umfasst. Die Vorlesung will über die zentralen literarischen Texte hinaus Antikenrezeption auch als Kontinuität und stete Erneuerung antiken Wissens präsentieren. Sie wird dabei auch einen Grundriss zentraler Autoren und Themen der Antike vermitteln, die zur Grundlage der europäischen Kultur und Literatur bis heute wurden.

Literaturhinweise

Textgrundlagen (Anschaffung): Die Kaiserchronik. Eine Auswahl. Mhd./nhd., hg., übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Mathias Herweg. Stuttgart (Reclam) 2014. Pfaffe Lambrecht, Alexanderroman. Mhd./Nhd., hg., übers. und kommentiert von Elisabeth Lienert. Stuttgart (Reclam) 2007. Heinrich von Veldeke, Eneasroman (mhd./nhd.), hg. von Dieter Kartschoke. Stuttgart (Reclam) ²1997.

Ein-/weiterführende Literatur: Elisabeth Lienert, Deutsche Antikenromane des Mittelalters. Berlin 2001 (Grundlagen der Germanistik 39). Manfred Kern/Alfred Ebenbauer (Hgg.), Lexikon der antiken Gestalten in den deutschen Texten des Mittelalters. Berlin 2003.