Karlsruher Gespräche 2015

Esra Nilgün Mirze

Referentin

Esra Nilgün Mirze ist Gründerin und Vorsitzende der 41° 29° Istanbul Association for Art and Design. Sie erhielt 2010 den Kulturpreis Europa des KulturForum Europa e.V. und ist Trägerin des Silbernen Kreuzes von Ungarn.

1973 machte Mirze ihren Abschluss am TED Ankara College und studierte anschließend an der Universität Istanbul. Nach dem Bachelor- und Masterabschluss in englischer Literatur an der Fakultät für Literatur war sie bis 1989 als Dozentin an der Universität Istanbul tätig. Im Anschluss daran arbeitete Mirze bei der Istanbuler Stiftung für Kultur und Kunst (IKSV), von 1989 bis 2003 als Presse- und PR-Leiterin, von 2003 bis 2006 als Leiterin der Unternehmenskommunikation. Daneben organisierte und unterstützte sie diverse internationale Projekte. Von 2006 bis 2010 war Mirze Beraterin des Vorsitzenden der IKSV.

Im Jahr 2000 war sie eine von fünf Vertretern von Nichtregierungsorganisationen, die das Projekt ,Istanbul – Europäische Kulturhauptstadt 2010‘ ins Leben riefen. Sie war bis 2006 Generalkoordinatorin des Projekts und Vizepräsidentin des Lenkungsausschusses. Nach der Gründung der Agentur ,Istanbul – Europäische Kulturhauptstadt 2010‘ arbeitete Mirze dort bis Ende 2010 als Direktorin für internationale Beziehungen.

Mirze leitete das türkische Netzwerk der Anna Lindh Stiftung im Auftrag der Istanbuler Stiftung für Kultur und Kunst (IKSV). Sie ist Gründerin und Vorstandsmitglied der Heybeliada Association for Musical Sciences, die in Zusammenarbeit mit der griechischen Nichtregierungsorganisation Bosphorus ins Leben gerufen wurde. Daneben war Mirze als Beraterin für kulturelle Angelegenheiten der Stadtverwaltung von Beyoglu tätig sowie als Dozentin für Kulturpolitik an der Kültür Universität Istanbul.

 

Statements

1. Welchen Beitrag zur Lebensqualität und Lebendigkeit einer Stadt kann die Zivilgesellschaft durch aktive Partizipation der Bürgerinnen und Bürger leisten?

Die Kultur einer Stadt ist ihre Stimme, ebenso wie die Zivilgesellschaft. Das Ziel der Zivilgesellschaft ist es, auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens ein bestimmtes Bewusstsein zu schaffen; die Wahrnehmung ihrer Bürger zu formen und zu beeinflussen; Bewusstsein und Wahrnehmung zu stärken – nicht nur auf lokaler, sondern auch auf globaler Ebene. Mit anderen Worten: die Zivilgesellschaft ebnet den Weg für den notwendigen mentalen Übergang von einer ,Monophonie‘ zu einer ,Polyphonie‘ und schließlich zu einer ,Harmonie‘, die ich als ,Kultur des Zusammenlebens‘ bezeichne. Wenn sich jede Stimme frei ausdrücken kann, dann können wir auf allen Ebenen des kreativen und sozialen Bereichs von einem pulsierenden Leben sprechen.
 

2. Welche Verantwortung trägt die Stadt für das Zusammenleben der Kulturen und die Herausbildung einer kollektiven Identität?

Ich persönlich spreche in diesem Zusammenhang ungern von ,Koexistenz‘, da dieser Begriff suggeriert, es sei möglich, dass zwei Dinge auf ewig in ein und demselben Raum nebeneinander existieren können, ohne miteinander zu interagieren. Daher habe ich ernsthafte Zweifel, ob ,Koexistenz‘ wirklich als Ziel für Entwicklungen definiert werden sollte, bei denen es um die Herausbildung einer kollektiven Identität in einer globalisierten Welt geht.

Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass auch der Begriff ,kollektive Identität‘ einer weiteren Definition bedarf; zumindest muss sein Kontext geklärt werden. Was ist unser Bezugspunkt bei der Verwendung des Begriffs? Meinen wir ,kollektive Identität‘ in einem engen, lokalen Sinn? Oder verwenden wir den Begriff in einem weiter gefassten, grenzüberschreitenden Sinn? Die Antwort auf diese Fragen hängt davon ab, wie stark das ,kollektive Bewusstsein‘ in einer bestimmten Gesellschaft ausgeprägt ist; und dies ist meiner Meinung nach von höchster Relevanz für die anzuwendende Kulturpolitik.

Kurz gesagt: Ja, die Städte können Verantwortung dafür übernehmen, dass ein ,kollektives Bewusstsein‘ für eine Kultur des Zusammenlebens entsteht, das auf gegenseitigem Verständnis und Respekt basiert. Sie können dies so lange, wie ihre Kulturpolitik für eine sichere Verwaltung mit maximaler Beteiligung der Bürger sorgen kann.
 

3. „Wenn Bürgermeister die Welt regierten” (Benjamin R. Barber) … Wie könnten sie Probleme nationalstaatlicher Blockaden internationaler Politik lösen oder relativieren und neue Formen interkultureller Verständigung auf den Weg bringen?

Wenn ich nach meiner persönlichen Erfahrung gehe, muss ich sagen: Wenn sie nur wüssten, was sie nicht wissen – dann wären sie vielleicht in der Lage, solche Probleme zu beheben.