Karlsruher Gespräche 2014

Globale Ungleichheiten und Staatsbürgerschaft. Zur Vererbung eines knappen Gutes

Prof. Dr. Manuela Boatcă

Referentin

Manuela Boatca

Prof. Dr. Manuela Boatcă wurde 2011 an die FU Berlin berufen und ist seit Januar 2012 Professorin für die Soziologie globaler Ungleichheiten am dortigen Lateinamerika-Institut und Institut für Soziologie. Nachdem sie 1997 ihr Diplom-Studium der Anglistik und Germanistik erfolgreich abschloss, forschte sie von 1998 bis 2002 unter anderem in den Bereichen feministische Theorie, Soziolinguistik und Sprachsoziologie sowie Theorien sozialen Wandels, bevor sie 2002 mit summa cum laude im Fach Soziologie promovierte. Danach folgten akademische Tätigkeiten an der Katholischen Universität Eichstätt, am Instituto Universitário de Pesquisas do Rio de Janeiro und am Lateinamerika-Institut der FU Berlin. Zu Boatcăs allgemeinen Forschungsschwerpunkten zählen die Weltsystemanalyse und historisch-vergleichende Soziologie, sozialer Wandel und Ungleichheit sowie die internationale politische Ökonomie. Neben ihrer Tätigkeit an der FU Berlin ist sie seit 2010 Mitherausgeberin der Reihe Zentrum und Peripherie beim Hampp Verlag und Gutachterin des österreichischen Kulturministeriums.

 

Ihre Publikationen umfassen u.a.: Des Fremden Freund, des Fremden Feind. Fremdverstehen in interdisziplinärer Perspektive (mit Claudia Neudecker und Stefan Rinke, 2006), Decolonizing European Sociology. Transdisciplinary Approaches (mit Encarnación Gutiérrez Rodríguez und Sérgio Costa (Hrsg.), 2010) und Global Inequalities. A Relational Perspective (im Erscheinen).

 

Das ZAK bat Prof. Dr. Manuela Boatcă folgende Fragen zu beantworten:

 

1. Befördert oder behindert die Weltmarktgesellschaft die Erreichung globaler humanitärer Lebensverhältnisse?

Die Logik des Weltmarkts ist dem Streben nach globalen humanitären Lebensverhältnissen diametral entgegengesetzt. Zu sagen, dass sie deren Erreichung behindert, wäre deshalb eine Untertreibung. Keine Logik der Profitmaximierung einiger weniger kann das Wohl aller herbeiführen, auch nicht als Zufallsprodukt. Im Oxfam-Bericht von Januar 2014 wird dies anhand der wachsenden Ungleichheit deutlich: Die 85 reichsten Menschen der Welt besitzen so viel wie die ärmsten 3,5 Milliarden zusammengenommen – die Hälfte der Weltbevölkerung. So hoch war die Ungleichheit, soweit wir wissen, noch nie in der Menschheitsgeschichte.

 

 

2. Wie viel Privatheit bleibt uns zwischen staatlicher Überwachung und kommerzieller Profilerhebung und was ist sie uns wert?

Die staatliche Überwachung ist nur ein Teil der zunehmenden Überwachung durch Kreditunternehmen, staatliche und nicht-staatliche Institutionen und Konzerne, Versicherungsgesellschaften und Medien. Vieles geben wir selbst mehr oder weniger bewusst preis, z.B. in sozialen Netzwerken, durch Teilnahme an Bonus-Programmen der Fluggesellschaften, Kaufhäuser und Restaurants, durch Nutzung der EC- oder Kreditkarte oder Nennung der Postleitzahl im Einzelhandel. Indem wir den uns bewussten Teil eingrenzen oder ausschalten, werden wir den Trend zum gläsernen Bürger und zur gläsernen Bürgerin nicht umkehren, sondern nur verlangsamen. Spätestens, wenn wir online einkaufen, sind wir wieder transparent.

 

 

3. Führt die Weltmarktgesellschaft zu neuen Formen des Menschenhandels oder kann sie eine Chance für die Durchsetzung internationaler Standards für menschenwürdige Arbeitsverhältnisse sein?

Weder noch, oder sowohl als auch. Die Weltmarktgesellschaft ist die Generalisierung der Tendenz, alles zur Ware werden zu lassen und daraus Gewinn zu erzielen. Neue Formen des Menschenhandels sind deshalb nur alte Formen von Kommodifizierung, die vor neuen Grenzen keinen Halt machen (und auch keine ganzen Menschen mehr zur Ware machen müssen, sondern einzelne menschliche Organe oder Föten). Da aber die Weltmarktgesellschaft auf global vernetzte Warenketten angewiesen ist, bietet die Einführung von menschenwürdigen Mindeststandards im Hinblick auf Arbeitsplatzsicherheit, Mindestarbeitsalter, Mindestlohn, das Recht auf gewerkschaftliche Organisation usw. an einigen Stellen die Chance, weitere Glieder der multinational vernetzten Ketten darauf zu verpflichten, um externer Überprüfung standzuhalten. Dass die Standards vielerorts nicht weiterhin nur auf dem Papier bestehen werden, kann jedoch gegenwärtig bei Weitem nicht garantiert werden.