Karlsruher Gespräche 2016

Was hält Mitteleuropa zusammen? Neue Herausforderungen aus Polen

 

Prof. Dr. Ireneusz Pawl Karolewski

Referent

Ireneusz Paweł Karolewski ist seit 2009 Professor für Politikwissenschaft am Willy Brandt Zentrum für Deutschland- und Europastudien der Universität Wrocław und seit 2008 Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität Potsdam. Er studierte Politikwissenschaft (1990 bis 1995), promovierte („Osterweiterung der EU“) und habilitierte sich („Citizenship and Collective Identity in Europe“) an der Universität Potsdam, wo er auch von 1999 bis 2008 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politische Theorie war. Seit 2007 war er mehrmals Gastprofessor und Gastwissenschaftler in Europa, Nordamerika und Asien, unter anderem an der Harvard Universität, der Universität Montreal, der New York Universität, der Hebräischen Universität Jerusalem, der Universität von Kalifornien in Santa Barbara und der Pondicherry Universität in Indien sowie am Institut des Sciences Politiques in Lille. Karolewskis Arbeitsgebiete sind europäische Integration, Nationalismus in Europa, kollektive Identitäten, Bürgerschaft/Bürgergesellschaft sowie EU-Außenpolitik. Er ist Autor und Mitherausgeber mehrerer Bücher, z. B. European Identity Revisited (2016), Extraterritorial Citizenship in Postcommunist Europe (2015), The Nation and Nationalism in Europe (2011).

 

Statements

 

1. Welche Werte halten für Sie die Europäische Union zusammen? Wie kann eine gemeinschaftliche europäische Identität zukünftig besser vermittelt werden?

Die Europäische Union leidet unter einem Wertepluralismus, der insofern problematisch ist, als die EU ihre normativen Konturen nicht klar genug definiert. Die Europäische Union müsste sich deutlicher als Partikulargemeinschaft definieren, die ihre Identität über „wertvolle Besonderheiten” (precious differences) anstelle kosmopolitischer Impulse vermittelt.


2. Sind andere Modelle – wie etwa ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten oder eine Europäische Föderation der Regionen – vorstellbar?

Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten ist längst Wirklichkeit, von der das Schengen-System und die Eurozone die bekanntesten Beispiele sind. Die EU hat sich vor allem seit dem Beginn der 1990er-Jahre asymmetrisch entwickelt und diese Entwicklung wird ihre Zukunft auch weiter bestimmen. Eine Föderation von Regionen ist völlig unrealistisch, denn Regionen haben in der EU nur beschränkte oder gar keine politische Akteursfähigkeit.


3. Halten Sie die derzeitigen nationalistischen Bestrebungen für ein sich aus den Krisen ergebendes kurzfristiges Phänomen oder für den Beginn einer langfristigen Entwicklung?

Die derzeitigen nationalistischen Bestrebungen ergeben sich vor allem aus der Legitimationskrise der EU sowie aus der Krise der spezifischen Varianten des Kapitalismus in Südeuropa und Mittelosteuropa. Vor diesem Hintergrund wird der Nationalismus die Zukunft Europas mittelfristig bestimmen.