Das vom Menschen Gemachte. Kulturwissenschaft gestern und morgen

Colloquium Fundamentale im Wintersemester 2020/21

Die Kulturwissenschaft ist ein interdisziplinärer Forschungsbereich zur Analyse komplexer sozialer Zusammenhänge. Zur Eigenständigkeit dieser Disziplin haben zahlreiche Fächer beigetragen: von der Kultursoziologie von Max Weber zur Kulturökologie von Julian Steward über die Kunstgeschichte Aby Warburgs bis hin zur Queer-Theorie von Judith Butler. Aber auch kulturwissenschaftlich motiviertes Handeln ist bedeutend: Kulturpolitik, Kulturmanagement, Kulturkritik, Aktivismus oder die Öffentliche Wissenschaft gehören zu jenen Kulturtechniken, die unsere Gesellschaft nachhaltig beeinflussen und prägen. Die unscharfe Trennlinie zu anderen klassischen universitären Disziplinen und die dadurch schwierige Definition der Kulturwissenschaft als Einzelwissenschaft, ruft nach wie vor Kritik hervor. Oftmals wird der Vorwurf laut, die Kulturwissenschaft sei nur ein Sammelsurium verschiedener Einzeltheorien und der ‚Cultural Turn‘ das Ende jeder wissenschaftsdisziplinären Differenziertheit. Aber ist diese Kritik überhaupt gerechtfertigt?

Das Colloquium Fundamentale wird durch den KIT Freundeskreis und Fördergesellschaft e.V. gefördert

Konzept und wissenschaftliche Leitung: Dr. Dr. Jesús Muñoz Morcillo
Organisatorin: Vanessa Mittmann M.A.

Veranstaltungsübersicht

Kulturwandel

Donnerstag, 12. November 2020, 18 Uhr  Live-Stream-Aufzeichnung

Prof. Dr. Julika Griem
Direktorin des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen (KWI)

 

Kurzbiographie ⊻  

Julika Griem war zuletzt Professorin für Anglistische Literaturwissenschaft an der GoetheUniversität Frankfurt/Main. Nach ihrer Promotion an der Universität Freiburg habilitierte sie sich an der Universität Stuttgart. Von 2005 bis 2012 lehrte und forschte sie als Professorin für Anglistische Literaturwissenschaft an der Technischen Universität Darmstadt. Seit 2016 ist sie Vizepräsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Zum April 2018 übernahm Griem die Leitung des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen (KWI). Ihr Forschungsinteresse gilt u. a. der Analyse des gegenwärtigen Literaturbetriebs und seiner sich wandelnden Formate und Rituale sowie den Methoden seiner Erforschung; ein weiteres der Wissenschaftspolitik und den Institutionen, die Literatur und Literaturwissenschaft überhaupt erst ermöglichen.

 

 

Lumbung und die Kunst: Paradigmenwechsel in der Kulturpolitik

Donnerstag, 26. November 2020, 18 Uhr, Live-Stream-Aufzeichnung

Prof. Dr. Julius Heinicke
Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls „Kulturpolitik für die Künste in Entwicklungsprozessen“, Universität Hildesheim

 

Das indonesische Künstler*innenkollektiv Ruangrupa, welches die documenta fifteen kuratiert, stellt die Kunstausstellung unter das Motto „lumbung“, eine Reisscheune, in welcher die überschüssige Ernte für die Gemeinschaft gelagert wird. Das Motto stellt viele Prozesse und Kriterien der documenta auf den Kopf.
In den letzten Jahren haben Forderungen nach solidarischen Arbeitsweisen, jedoch auch postkoloniale Befragungen von Hierarchien und tradierten Strukturen die Kunstlandschaften aufgewühlt. Der Vortrag geht diesen Prozessen nach und fragt, ob nicht auch Paradigmenwechsel innerhalb der Kulturpolitik an der Zeit sind.

 

Kurzbiographie ⊻  

Prof. Dr. Julius Heinicke

ist Professor für Kulturpolitik an der Universität Hildesheim und Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls „Kulturpolitik für die Künste in Entwicklungsprozessen“ (UNESCO Chair in Cultural Policy for the Arts in Development). Von 2017-2020 war er Professor für „Angewandte Kulturwissenschaften“ an der Hochschule Coburg und leitete das Wissenschafts-und Kulturzentrum. Von 2012-2016 forschte und lehrte Heinicke als Wissenschaftlicher Mitarbeiter (PostDoc) am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität in Berlin zu den Themenfeldern angewandtes Theater, internationale Kulturpolitik und kulturelle Diversität in Deutschland und im südlichen Afrika. Nach dem Studium der Kultur-und Theaterwissenschaften / kulturelle Kommunikation promovierte er an der Humboldt-Universität zu Berlin über Theater, Kunst und Politik in Zimbabwe mit einem Stipendiumder Heinrich-Böll-Stiftung.

 

Kultur, Macht, Geschlecht. Positionen und Kontroversen der feministischen Kritik

Donnerstag, 10. Dezember 2020, 18 Uhr, Live-Stream-Aufzeichnung

Prof. Dr. Ina Kerner
Professorin für Dynamiken der Globalisierung, Universität Koblenz-Landau

 

Was genau im Blick ist, wenn feministische Kultur- und Gesellschaftskritik betrieben wird, ist alles andere als selbstverständlich. Seit Beginn feministischen Denkens und Handelns gibt es hier ganz unterschiedliche Positionen. Manche dieser Positionen sind komplementär, aus anderen ergeben sich Konflikte und Kontroversen. Der Vortrag gibt zunächst einen Überblick über vorliegende feministische Kritikansätze und ihre jeweiligen Schwerpunktsetzungen. In einem zweiten Teil geht es um eine aktuelle Kontroverse, die Fragen von Internationalismus, Postkolonialismus und Religionskritik betrifft.

 

Kurzbiographie ⊻  

Prof. Dr. Ina Kerner

ist Professorin für Dynamiken der Globalisierung und Leiterin des Seminars Politische Wissenschaft im Institut für Kulturwissenschaft der Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz. Zuvor war sie nacheinander an den drei Berliner Universitäten (FU, TU, HU)tätig, hatte Gastprofessuren in New York und in Islamabad und war Gastwissenschaftlerin an Universitäten und Forschungszentren in New York, Kapstadt, Berlin, London, Brasilia und Duisburg. Das Wintersemester 2020/21 verbringt sie als Fellow der Forschungsgruppe „Global Contestations of Women’s and Gender Rights“ am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung (ZIF) in Bielefeld. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Politischen Theorie und der transdisziplinären Geschlechterforschung, derzeit vor allemauf dem Gebiet postkolonialer politischer Theorien und transnationaler feministischer Solidarität.

 

Kopfgeldjäger und Hurensöhne. Zur politischen Kultur im Western der Gegenwart

Donnerstag, 21. Januar 2021, 18 Uhr, Live-Stream-Aufzeichnung

Dr. Anja Peltzer
Vertretungsprofessorin für Mediensoziologie, Universität Trier

 

Der Western ist ein ebenso altes wie gegenwärtiges Filmgenre. Aber: Was macht den Western mit seinen schlichten heiteren Geschichten über treffsichere Cowboys, Indianer und Viehherden so aktuell? Ausgehend von den Western, die in den letzten fünfzehn Jahren produziert wurden, nimmt dieser Vortrag eine ganz bestimmte Figur in den Fokus: den Kopfgeldjäger. Eine Figur, die wie kaum eine andere dazu einlädt über Grenzsetzungen zwischen kapitalistischer Logik, Recht und Gewalt nachzudenken. Dabei wird sich zweierlei zeigen: (1.) Es ist eben diese für das Genre konstitutive Frage nach Grenzsetzungen – von Recht und Unrecht, Heimat und Fremde, Identität und Alterität – die dessen Aktualität und kritische Perspektiven auf die politische Kultur der Gegenwart anleitet. (2.) Die Gesellschaftsentwürfe des Western stellen sich der vermeintlich politischen Evidenz von Grenzziehungen geradezu entschlossen entgegen.

 

Kurzbiographie ⊻  

Dr. Anja Peltzer

ist seit 2018 Vertretungsprofessorin für Mediensoziologie an der Universität Trier. Sie studierte Medien- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Augsburg und promovierte sich 2010 mit Auszeichnung an der Universität Mannheim. In der Arbeit setzte sie sich mit der globalen Kompatibilität der Heldenidentitäten im Blockbuster-Kino auseinander. Ihre Forschungsschwerpunkte lauten: Film-, Medien- und Kultursoziologie; Ästhetik und Politik Digitaler Kommunikation; Digitale Literacy sowie qualitative Methoden der Sozialforschung. Zuletzt von Ihr erschienen ist eine Studie zum digitalen Nachbeben des sogenannten Ibiza-Videos von HC-Strache in den Sozialen Medien (mit Dr. Elena Pilipets); eine Studie zu gegenwärtigen Erinnerungsangeboten an den Holocaust in Form von digitalen Zeitzeugen (mit Dr. Vivien Sommer) und eine Publikation zur Aktualität des Western „Die Politik der Grenze. Interdisziplinäre Perspektiven auf die Frontier im Western der Gegenwart“ befindet sich in Vorbereitung und wird im Sommer 2021 bei Herbert von Halem erscheinen (mit Prof. Dr. Jörn Ahrens). Bereits 2015 ist ein Artikel von Ihr zum Western erschienen mit dem Titel „Die Ästhetik des Beiläufigen. Zur Gewaltdarstellung in Coens ›True Grit‹“. In: A. Keppler; F. Popp; M. Seel: Gesetz und Gewalt im Kino. Frankfurt/New York 2015: Campus.

 

Wie wollen wir in Zukunft leben? Der Wert der Literatur in der Kultur des 21. Jahrhunderts

Donnerstag, 28. Januar 2021, 18 Uhr, Live-Stream-Aufzeichnung

Literaturliste zum Vortrag (PDF ca. 250 KB) 

Prof. Dr. Dr. h.c. Ansgar Nünning 
Professor für englische und amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaft, Universität Gießen

 

Wenn heutzutage die Frage erörtert wird, wie wir in Zukunft wohl leben werden, so stehen zumeist materielle und technische Innovationen (z. B. autonomes Fahren, Smart Homes, neue Kommunikationstechnologien) im Mittelpunkt. Der Vortrag verfolgt das Ziel, möglichst konkret darzulegen, worin der Wert der Literatur besteht und warum das langsame Lesen literarischer Werke gerade in der von Beschleunigung und digitalen Medien geprägten Kultur des 21. Jahrhundert lebenswichtig ist. Mit ihrer „kunstvollen sprachlichen Vergegenwärtigung von Erfahrungen“ (Peter Bieri) entwerfen literarische Texte nicht nur alternative Lebensformen und Welten, sondern auch Gedanken- und Lebensexperimente. Der affektive und kognitive Wert literarischer Werke besteht u. a. darin, dass sie den „Möglichkeitssinn“ (Musil) und das Vorstellungsvermögen von Leser/innen erweitern und ihnen Gelegenheit geben, ihre Empathie und Fähigkeiten zur Perspektivenübernahme auszubilden. Gerade wenn man das große Thema ‚Literatur‘ aus kulturwissenschaftlicher Perspektive behandelt, lässt sich zeigen, wie wichtig literarische Werke für unsere Vorstellungen von einem gelungenen Leben und für eine lebenswerte Zukunft auf unserem Planeten sind.

 

Kurzbiographie ⊻  

Prof. Dr. Dr. h.c. Ansgar Nünning 

ist seit 1996 Professor für englische und amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Gießen. Er ist Gründungsdirektor der Gießener Graduiertenschule für Geisteswissenschaften und des Internationalen Graduiertenzentrums für Kulturwissenschaften (GCSC) sowie der akademische Direktor des International PhD Program (IPP) "Literary and Cultural Studies" und Mitglied des Sonderforschungsbereichs "Memory Cultures". 2007 wurde er vom Ministerium für Hochschulbildung, Forschung und Kunst des Landes Hessen und der Hertie-Stiftung mit dem Preis „Exzellenz in der Lehre“ ausgezeichnet. Er hat viel über englische und amerikanische Literatur, Erinnerungskulturen, Narratologie sowie Literatur- und Kulturtheorie veröffentlicht. 


Zu seinen jüngsten Veröffentlichungen zählen Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie (Metzler, 2008), Einführung in das Studium der narrativen Fiktion (mit Birgit Neumann, Klett, 2008), Einführung in die Kulturwissenschaften (herausgegeben von Vera Nünning, Metzler, 2003), Metzler Handbuch Promotion: Forschung - Förderung - Finanzierung (herausgegeben von Roy Sommer, Metzler, 2007), Eine Einführung in das Studium der englischen und amerikanischen Literatur (mit Vera Nünning, Klett, 2007), Kulturwissenschaftliche Literaturwissenschaft (herausgegeben von Roy Sommer, Narr, 2004), Erzähltextanalyse und Gender Studies 
(herausgegeben von Vera Nünning, Metzler, 2004) und Cultural Ways of Worldmaking: Media and Narratives (mit Vera Nünning und Birgit Neumann, 2010).


Er ist Herausgeber der Reihe Uni Wissen Anglistik / Amerikanistik, Uni Wissen Kernkompetenzen, WVT-Handbücher zum literaturwissenschaftlichen Studium und ELCH: Englische Literatur- und Kulturgeschichte (beide mit Vera Nünning), MCM: Medien- und Kulturgedächtnis / Medien und soziale Erinnerung (mit Astrid Erll) und WVT-Handbücher zur Literatur- und Kulturdidaktik (mit Wolfgang Hallet).