Neue Nationalismen – Folge einer globalisierten Welt?

Colloquium Fundamentale im Wintersemester 2016/17

Der Ausgang des Brexit Votums im Juni 2016 war für die meisten proeuropäisch eingestellten Bürger sehr überraschend. Die große Mehrheit der Öffentlichkeit hatte trotz der knappen Umfragewerte nicht mit dem mehrheitlichen Ausstiegswillen der Briten gerechnet. Der Brexit kann als Weckruf an die europäischen Eliten verstanden werden, die eine tatsächliche Renationalisierung einzelner Länder bis zuletzt nicht für möglich hielten. Eine immer stärker globalisierte Welt bedeutete für sie die zwangsläufige Relativierung nationaler Gestaltung. Inzwischen aber gibt es seit mehreren Jahren in fast allen europäischen Ländern Formen neuer nationalistischer Bestrebungen, die bis in die Mitte der Gesellschaft dringen. Der Beginn eines politischen Umdenkens zeichnet sich ab, dessen Ende bislang nicht abzusehen ist. Im Wintersemester 2016/17 wendet sich das Colloquium Fundamentale daher den in den letzten Jahren verstärkt aufkommenden Renationalisierungstendenzen in Europa zu. Welche Ursachen haben trotz der weltweiten Internationalisierung zu einer Rückkehr nationalistischer Tendenzen geführt? Seit wann agieren rechtspopulistische Bewegungen in Europa? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede besitzen sie und welchen Stand haben sie bereits in der Mitte der Gesellschaft erreicht? Welche Rolle kommt den Medien, insbesondere den sozialen Medien, in der Erstarkung der nationalistischen Bewegungen zu? Diese und weitere Fragen werden interdisziplinär und kontrovers besprochen. Das Colloquium Fundamentale möchte einen vielfältigen Einblick in die Ursprünge, Ausprägungen sowie Auswirkungen neuer nationalistischer Bestrebungen geben.

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Konzept und wissenschaftliche Leitung:
Prof. Dr. Caroline Y. Robertson-von Trotha, Direktorin des ZAK

 

Organisatorin:
Dipl.-Angl. Christine Melcher

 

Das Colloquium Fundamentale wird durch die Karlsruher Universitätsgesellschaft e.V. gefördert.

 

Veranstaltungsübersicht

Bitte beachten Sie, dass das Colloquium Fundamentale ab diesem Semester nicht mehr im NTI-Hörsaal stattfindet, sondern im Redtenbacher-Hörsaal (KIT Campus Süd, Geb. 10.91, Engelbert-Arnold-Str. 4, EG). – Lageplan

Sollten Sie einen barrierefreien Zugang benötigen, melden Sie sich bitte jeweils bis 12 Uhr des Veranstaltungstags bei uns unter veranstaltungen∂zak.kit.edu oder Tel: 0721/608-44384.

 

Eröffnungsvortrag: Brexit und der neue Nationalismus: 'There's nothing glorious about isolation.‘

20.10.2016 – 18:00 Uhr, Redtenbacher-Hörsaal, KIT Campus Süd, Geb. 10.91, Engelbert-Arnold-Str. 4, EG

Prof. Dr. Julia Angster

Prof. Dr. Julia Angster

Inhaberin des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte, Universität Mannheim

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Der Vortrag behandelt das britische Votum für den Ausstieg aus der Europäischen Union („Brexit“) als Beispiel für den Versuch, die Handlungsfähigkeit des Nationalstaats zurückzugewinnen, die durch Entwicklungen wie die europäische Integration, die Globalisierung und die wachsende Migration bedroht erscheint. Hierzu betrachtet der Vortrag auch die Entstehung des Nationalstaats im 19. Jahrhundert und seine derzeitige Krise, und zwar jeweils im Zusammenhang mit der Geschichte der Globalisierung. Die These des Vortrags ist, dass der Brexit, wie das Phänomen der neuen Nationalismen insgesamt, als Teil der Krise des Nationalstaats, und nicht als seine Wiederkehr zu interpretieren ist. Denn der Brexit mag als Rückkehr zum Modell des autonomen Nationalstaats gelten, jedoch droht dabei die britische Nation in ihre ethnischen und regionalen Bestandteile zu zerfallen. Zugleich wird durch das Referendum die Souveränität des Parlaments in Frage gestellt.

 

Ursachen und Folgen (rechts)populistischer Strömungen

17.11.2016 – 18:00 Uhr, Redtenbacher-Hörsaal, KIT Campus Süd, Geb. 10.91, Engelbert-Arnold-Str. 4, EG

Prof. em. Dr. Karin Priester

Prof. em. Dr. Karin Priester

Institut für Soziologie, Universität Münster

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„Populismus“ hat seine mediale Karriere erst um 1989 angetreten, aber das Phänomen ist, auch in Europa, älter und geht schon auf die 1970er Jahre zurück. Dabei lassen sich eine nationalpopulistische und eine nationalliberale Variante unterscheiden. Der Vortrag versucht, den Ursachen auf soziostruktureller, politischer und kultureller Ebene nachzugehen und fragt im Anschluss daran nach den Folgen rechtspopulistischer Strömungen: Renationalisierungstendenzen, wachsende EU-Skepsis oder Rückkehr zu nationalstaatlichen oder regionalen Alleingängen (Brexit, Abwehr der Quotierung von Asylbewerbern durch die Visegrad-Staaten).

Deutschland galt lange als populismusresistenter Sonderfall, muss aber inzwischen, auch durch die Verschiebung des politischen Mainstream zur Mitte hin, mit einem Newcomer am rechten Rand rechnen.

 

Populismus und seine vielfältigen Ausprägungen in Europa – Ein Überblick

08.12.2016 – 18:00 Uhr, Redtenbacher-Hörsaal, KIT Campus Süd, Geb. 10.91, Engelbert-Arnold-Str. 4, EG

Prof. Dr. Frank Decker

Prof. Dr. Frank Decker

Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie, Universität Bonn

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Als vor etwa dreißig Jahren ein neuartiger Parteientypus in Westeuropa die politische Bühne betrat, den man in der Wissenschafts- und Alltagssprache mit dem Attribut „rechtspopulistisch“ belegte, war man geneigt, ihn als ein kurzfristiges Protestphänomen abzutun. Inzwischen finden sich diese Parteien in fast allen europäischen Ländern. Im Vortrag soll gezeigt werden, welche Entstehungsursachen dem neuen Populismus zugrunde liegen, wie dieser in ideologisch-programmatischer Hinsicht zu qualifizieren ist und welche Auswirkungen er auf Parteiensysteme, Regierungspolitiken und die Demokratie hat.

 

Politisierter Diaspora-Nationalismus: Ein neues Phänomen?

15.12.2016 – 18:00 Uhr, Redtenbacher-Hörsaal, KIT Campus Süd, Geb. 10.91, Engelbert-Arnold-Str. 4, EG

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Jun. Prof. Dr. Jannis Panagiotidis

Jun. Prof. Dr. Jannis Panagiotidis

Inhaber der Juniorprofessur für Russlanddeutsche Migration und Integration am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS), Universität Osnabrück

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Im Januar 2016 demonstrierten bundesweit tausende russlanddeutsche Spätaussiedler anlässlich des „Falls Lisa“, der angeblichen Vergewaltigung eines russlanddeutschen Mädchens durch Flüchtlinge in Berlin. Da die Gerüchte maßgeblich durch russische Medien gestreut worden waren, rückte bald die Rolle des Kremls in den Fokus. Viele Kommentatoren vermuteten eine gezielte Einflussnahme Moskaus auf die „russischsprachige Diaspora“ in Deutschland. In der Tat hat Russland in den vergangenen Jahren die Versuche intensiviert, „seine“ Diaspora stärker als bisher zu organisieren. Entgegen des gelegentlich erweckten Eindrucks, dass es sich hier um ein neuartiges Phänomen handele, wird dieser Vortrag in historischer Perspektive zeigen, dass der politisierte Diaspora-Nationalismus eine Konstante des nationalen Zeitalters war und auch in einer globalisierten Welt nichts von seiner Relevanz verloren hat.

Jun. Prof. Dr. Jannis PanagiotidisFoto: Kerim Arpad, DTF Stuttgart

Dr. Yaşar Aydın

Dozent an der HafenCity Universität und der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit & Diakonie, Hamburg

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Das Interesse und der Einsatz der türkischen Regierung für die Türkeistämmigen in Deutschland ist Teil einer politischen Strategie, die auf die Stärkung der Diasporaorganisationen gerichtet ist. Aus der Sicht Ankaras zwingt die Globalisierung die Türkei dazu, sich im Parkett der internationalen Beziehungen neu zu positionieren und die Potentiale der weltweit verstreuten Türkeistämmigen für das Land nutzbar zu machen. Aus der Diasporapolitik Ankaras ergeben sich sowohl Herausforderungen für die deutsche Außenpolitik, als auch Chancen für die hiesige Integrationspolitik. Dies zu zeigen, ist das Ziel des Vortrages. Resümierend wird auch versucht eine plausible Antwort auf die Frage zu geben, ob die neue türkische Diasporapolitik als eine transnationale oder doch eine fern-nationalistische zu bezeichnen ist.

 

Das Problem der identitären Verschiebung: Zum Rechtspopulismus in den Medien

19.01.2017 – 18:00 Uhr, Redtenbacher-Hörsaal, KIT Campus Süd, Geb. 10.91, Engelbert-Arnold-Str. 4, EG

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PD Dr. Paula Diehl

Leiterin des Projekts „Symbolik der Demokratie“, Institut für Sozialwissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

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Der Populismus ist mit den Massenmedien besonders kompatibel. Politische Akteure, die sich dem Populismus bedienen, haben daher höhere Chancen, Medienaufmerksamkeit zu erzeugen. Im Fall des Rechtspopulismus führt diese systemische Begünstigung des Populismus dazu, dass rechtsradikale Ideologeme Akzeptanz bekommen, wenn sie populistisch verpackt werden. Rechtspopulismus ist immer eine Mischung aus Rechtsextremismus und Populismus. Er dient als Eintrittstür für rechtsradikale Botschaften in die demokratische Öffentlichkeit. Dies kann zur Verschiebung der demokratischen Öffentlichkeit führen.

Im Anschluss an den Vortrag von PD Dr. Paula Diehl wird eine Diskussion mit Tobias Roth stattfinden.

Tobias Roth

Tobias Roth

Stellv. Redaktionsleiter für Politik, Badische Neueste Nachrichten (BNN)

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Herausforderungen der Demokratie in Zeiten der Konfusion

26.01.2017 – 18:00 Uhr, Redtenbacher-Hörsaal, KIT Campus Süd, Geb. 10.91, Engelbert-Arnold-Str. 4, EG

Prof. Dr. Helmut Willke

Prof. Dr. Helmut Willke

Professor für Global Governance, Vizepräsident für Forschung, Zeppelin Universität, Friedrichshafen

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Campus Report Interview mit Prof. Willke (Autor: Stefan Fuchs)

Thema des Vortrags ist die Transformation der Demokratie in einer Epoche der Konfusion. Die Entzauberung der Demokratie hat mit den globalen Krisen, mit der Wahl von Trump zum US-Präsidenten und einem Europa-weiten Populismus eine systemgefährdende Qualität erreicht. Die Herausforderungen sind Globalisierung, Wissensgesellschaft und organisierte Komplexität. Es geht um Konfusion als Vermischung unterschiedlicher Ebenen und Realitäten in einer kommunikativ globalisierten Welt, um Konfusion im Sinne fundamentaler Verwirrung von Personen und Organisationen infolge einer Überforderung ihrer kognitiven Kapazitäten und um die Konsequenzen einer „post-faktischen“ Epoche. Abhilfe verspricht ein differenziertes Modell von Demokratie, das Delegation von Aufgaben an kompetente Institutionen ernst nimmt.

 

 

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