Politik in der Wissenschaft. Vom Zweck der Forschung in modernen Gesellschaften

Colloquium Fundamentale im Sommersemester 2022

Wissenschaftliche Erkenntnisse haben unzählige Innovationen ermöglicht und zu einer stetigen Verbesserung unserer Lebensverhältnisse beigetragen. Darum wird die öffentliche Förderung der Wissenschaft häufig mit ihrem gesellschaftlichen Nutzen legitimiert. Doch wie kann der gesellschaftliche Nutzen der Forschung gewährleistet werden? Und worin besteht der Nutzen? Über diese Fragen wird in der Forschungspolitik und in der Wissenschaft zum Teil kontrovers diskutiert. Einige Akteure argumentieren, dass Wissenschaft zu gesellschaftspolitischen Zielen beitragen sollte. Sie wollen dafür gezielt Fördergelder bereitstellen – zum Beispiel, um die Energie- oder die Mobilitätswende zu bewerkstelligen, die Verbreitung von Falschinformationen in Sozialen Medien einzudämmen oder die Pandemie zu managen. Andere Akteure zweifeln, dass sich wissenschaftliche Erkenntnis steuern und ein gesellschaftlicher Nutzen der Forschung gezielt herbeifördern lasse. Der konkrete gesellschaftliche Nutzen wissenschaftlicher Erkenntnis ergebe sich häufig erst im Nachhinein. Ein Beispiel ist die mRNA-Corona-Impfung, die ohne jahrzehntelange Grundlagenforschung nicht hätte entwickelt werden können. 
Wie ergibt sich also der gesellschaftliche Nutzen der Forschung? Wie sollten Anreize gesetzt werden und wie können sie gesetzt werden, ohne die Forschungsfreiheit einzuschränken? Welche Potenziale und welche Gefahren bringen politisch gesetzte Anreize im Wissenschaftssystem? Und was ist der Auftrag der Wissenschaft in modernen Gesellschaften? Diese Fragen stehen im Zentrum des Colloquium Fundamentale im Sommersemester 2022. Es schließt damit an das Colloquium Fundamentale des Wintersemesters 2021/22 „Wissenschaft in der Politik. Von den Potenzialen und Problemen einer komplexen Beziehung“ an (weitere Informationen | zu den Aufzeichnungen der Vorträge).

Das Colloquium Fundamentale wird durch den KIT Freundeskreis und Fördergesellschaft e.V. gefördert.

Konzept und Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. Senja Post
Organisation: Mareike Freier M.A

Veranstaltungsübersicht

 

Gelenkt oder geschenkt? Zum Verhältnis von Politik und Wissenschaft in Krisenzeiten

Donnerstag, 28. April 2022, 18 Uhr, Redtenbacher-Hörsaal, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Geb. 10.91, Engelbert-Arnold-Straße 4, EG

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© Suhrkamp Verlag

Prof. Dr. Michael Hagner

Professor für Wissenschaftsforschung an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich

Die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung und Lehre gehört in den demokratischen Ländern zu jenen höchsten Gütern, die immer wieder beschworen werden. Allerdings zeigt sich in Krisensituationen – Klimakatastrophe, Corona-Pandemie, Kriegssituation – immer wieder, dass diese Freiheit prekär wird; sei es, dass der Staat bestimmte Forschungsergebnisse erwartet, sei es, dass die Wissenschaften sich öffentlich in einer Weise äußern, die zum politischen Ondit im Widerspruch steht. Was aber ist unter wissenschaftlicher Freiheit zu verstehen? Wie kann sie begründet werden? Wie kann sie in Gefahr geraten? Und welche Ansprüche der Politik an die Wissenschaft sind legitim? Diesen Fragen widmet sich der Vortrag von Prof. Dr. Michael Hagner und argumentiert, dass Freiheit in den Wissenschaften – wie auch in der Gesellschaft – kein einmal erworbenes Gut ist, sondern immer wieder neu befragt, begründet und verteidigt werden muss.


Kurzbiographie ⊻

Michael Hagner studierte Medizin und Philosophie an der Freien Universität Berlin. Nach der Promotion zum Dr. med. arbeitete er als Neurophysiologe, bevor er sich 1989 der Wissenschaftsgeschichte zuwendete. Er forschte und lehrte in London, Lübeck und Göttingen, bevor er 1995 ans Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin ging. Seit 2003 ist er Professor für Wissenschaftsforschung an der ETH Zürich.  2008 wurde er mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet. Seine jüngste Monografie erschien 2021: „Foucaults Pendel und wir. Anlässlich einer Installation von Gerhard Richter.

 

Wissenschaftsfreiheit in autoritären Regimen. Das Beispiel der Volksrepublik China.

Donnerstag, 12. Mai 2022, 18 Uhr, Redtenbacher-Hörsaal, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Geb. 10.91, Engelbert-Arnold-Straße 4, EG

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Dr. Alexandra Kaiser

Postdoc beim BMBF-Drittmittelprojekt "Wissenschaftsfreiheit in der Volksrepublik China", Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Das Recht auf Wissenschaftsfreiheit in China operiert in einem autoritären System. Obwohl das nationale Recht Chinas international anerkannte Elemente des Konzepts der akademischen Freiheit kodifiziert hat, unterlag das Recht auf Wissenschaftsfreiheit in der VR China immer Grenzen. Diese normativen und/oder faktischen bzw. willkürlichen Grenzen können sich jederzeit verschieben. In der Ära Xi Jinpings wird die individuelle Wissenschaftsfreiheit durch neue Regularien und Vorschriften allerdings noch weiter eingeschränkt. Auch die universitäre Autonomie, die durch die parteiliche Aufsicht bereits stark beschnitten war und somit durch eine duale Organisationsstruktur gekennzeichnet ist, wird durch politische Entscheidungen, die ideologische und politische Arbeit an Hochschulen zu stärken, noch stärker beschränkt und hat einen chilling effect, auch auf die wissenschaftliche Zusammenarbeit.


Kurzbiographie ⊻

Alexandra Kaiser ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem BMBF-Projekt „Wissenschaftsfreiheit in der Volksrepublik China“ am Institut für Politische Wissenschaft (Professur von Prof. Dr. Katrin Kinzelbach). Zuvor hat sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für chinesisches Recht in Köln in einem Forschungsprojekt zum chinesischen Verfassungsrecht gearbeitet. Gefördert durch die Taiwan Foundation for Democracy hat sie zu China und Interpol geforscht. Kaiser hat in Köln Regionalstudien China / Rechtswissenschaften studiert und dort in 2021 ihr Promotionsprojekt abgeschlossen. In ihrer Doktorarbeit befasst sie sich mit dem Einfluss des offiziellen Menschenrechtsdiskurses sogenannter „nationaler Bedingungen“ auf die Anerkennung und Institutionalisierung der Unschuldsvermutung im chinesischen Strafverfahren. Während ihres Studiums hat Kaiser an der Tamkang University in Taipeh, der China University of Political Science and Law in Peking, der Nanjing Universität, dem Menschenrechtsinstitut der Central South University in Changsha und am King’s College London studiert und geforscht.

 

Chancen und Herausforderungen von Innovationspolitik in einer turbulenten Welt

Donnerstag, 30. Juni 2022, 18 Uhr, Redtenbacher-Hörsaal, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Geb. 10.91, Engelbert-Arnold-Straße 4, EG

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Prof. Dr. Jakob Edler

geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI, Karlsruhe


Die Innovationspolitik befindet sich in einem radikalen Veränderungsprozess. Über Jahrzehnte hat Innovationspolitik hauptsächlich dazu gedient, das Innovationssystem effizienter und effektiver zu machen, um damit Wirtschaftswachstum und der allgemeinen Wohlfahrt zu dienen. Seit geraumer Zeit aber wird Innovationspolitik explizit auch dafür mobilisiert, Innovationsgeschehen gezielt auf die großen notwendigen Transformationen wie Energiewende oder Mobilitätswende hin auszurichten. Zudem haben sich durch geo-politische Entwicklungen unter dem Schlagwort der "Technologiesouveränität" für die Innovationspolitik neue Anforderungen ergeben. Es gilt, das Verhältnis zwischen eigener Erstellung von Technologien und internationaler Vernetzung neu auszurichten. Der Vortrag beschreibt diese Entwicklungen und analysiert die Herausforderungen, die sich für zukunftsfeste Innovationspolitik und für die sie beratende Wissenschaft ergeben.


Kurzbiographie ⊻

Prof Dr. Jakob Edler ist geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe und Professor für Innovationspolitik und Strategie an der Universität Manchester. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Analyse von Governance und Politik in Innovationssystemen.

Der Deutsch-Brite ist Mitglied der ACATECH, des österreichischen Rates für Forschung und Technologische Entwicklung sowie der Royal Society for the Encouragement of Arts, Manufactures and Commerce (UK) und war bis 2021 Präsident der europäischen akademischen Vereinigung Eu-SPRI.

 

 

Inwiefern und zu welchem Zweck ist die Wissenschaft frei?

Donnerstag, 21. Juli 2022, 18 UhrFoyer des Präsidiumsgebäudes, Engelbert-Arnold-Str. 2, Geb. 11.30, KIT-Campus Süd

In Kooperation mit KIT Academy for Responsible Research, Teaching and Innovation (ARRTI)

Das Verhältnis von Politik und Wissenschaft wird oft als spannungsreich beschrieben. Vor allem die politische Instrumentalisierung von wissenschaftlicher Praxis und Erkenntnis zu ihr fremden Zwecken wird als reales Problem gesehen. Dabei sind Politik und Wissenschaft nicht nur eigenständige Praxen, sondern auch in vielfältiger Weise miteinander verbunden und aufeinander angewiesen. 

Die Wissenschaft bedarf demnach offenbar einer ihr eigenen Freiheit und ist zugleich doch eingebunden in ein Gesellschaftsganzes. Wenn wir Wissenschaftsfreiheit als Wert anführen, müssen wir uns also fragen, zu welchem Zweck wir uns auf sie berufen. Die Antwort auf diese Frage ist Voraussetzung für eine Gestaltung der Beziehung von Wissenschaft und Politik, in der die Ansprüche der einen an die jeweils andere Seite als angemessen gelten können.

In dieser letzten Veranstaltung der Reihe wollen wir Vertreter*innen von Politik und Universität ins Gespräch miteinander bringen. Gemeinsam wollen wir darüber sprechen, wie Wissenschaftsfreiheit verstanden werden muss, um eine angemessene Gestaltung des Verhältnisses zwischen Wissenschaft und Politik zu ermöglichen.

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 © Dirk Brzoska

Prof. Dr. Pirmin Stekeler-Weithofer

Seniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Universität Leipzig


Kurzbiographie ⊻

Pirmin Stekeler-Weithofer wurde 1992 als Gründungprofessor für Theoretische Philosophie an die Universität Leipzig berufen, wo er bis 2021 lehrte, die letzten drei Jahre als Seniorprofessor. Er ist seit 1998 Ordentliches Mitglied, seit 2016 Leiter der Kommission für Wissenschaftsgeschichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, deren Präsident er von 2008 bis 2015 war. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Philosophie der Sprache und der Wissenschaften, der Logik und Mathematik gerade auch in ihren geschichtlichen Entwicklungen. Einschlägige Veröffentlichungen: Philosophie des Selbstbewusstseins. Hegels System als Formanalyse von Wissen und Autonomie (Suhrkamp 2005); Hegels Phänomenologie des Geistes, 2 Bde. Hamburg (Meiner 2013), Hegels Wissenschaft der Logik: Die Logik des Seins (Meiner 2018), Die Logik des Wesens (Meiner 2020), Die Logik des Begriffs (Meiner 2022), Hegels Rechtsphilosophie (Meiner 2021), Kritik der reinen Theorie (Mohr-Siebeck 2018).  

Viola von Cramon-Taubadel

Politikerin und Mitglied des Europäischen Parlaments

(Leider musste Viola von Cramon-Taubadel aus Termingründen absagen.)


Kurzbiographie ⊻

Viola von Cramon-Taubadel wurde 2019 ins Europäische Parlament gewählt. Seitdem sitzt Sie als Mitglied der Fraktion der Grünen/Europäischen Freien Allianz als ordentliches Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten (AFET). Dabei ist sie auch Berichterstatterin des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments für den Kosovo, nachdem sie während der Parlamentswahlen 2019 Chefbeobachterin der EU-Wahlbeobachtungsmission im Kosovo war.