Karlsruher Gespräche 2013

Die ‚Zwischengesellschaft‘: Tradition und Moderne im Widerspruch

Prof. Dr. Volker Demuth

Referent

Demuth

Prof. Dr. Volker Demuth, 1961 in Süddeutschland geboren, ist Lyriker, Essayist und Medienwissenschaftler. Er studierte Philosophie, Literaturwissenschaft und Geschichte an den Universitäten Oxford und Tübingen, wo er über den Sturm-und-Drang-Dichter J. M. R. Lenz promovierte.

Seit 1993 arbeitet er als freier Schriftsteller. Neben seiner Tätigkeit beim Südwestrundfunk, bei der eine Reihe von Hörspielen entstand, hatte Demuth von 2000 an eine Professur für Medientheorie an der Fachhochschule Schwäbisch Hall inne, die er 2004 aufgab, um sich dem literarischen Schreiben zu widmen.

Seit Ende der 90er-Jahre entwickelte er mit dem ,RaumPoem‘ eine neue, räumliche Form der Lyrik, bei der verschiedene Medien in einer installativen Sprachform verwendet werden. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher und publiziert in unterschiedlichen Zeitschriften und Zeitungen (u. a. Lettre International, Neue Rundschau, Die Welt). Seine Gedichte wurden ins Französische, Englische und Russische übersetzt. Er ist Mitglied des deutschen PEN-Zentrums und erhielt für seine Werke mehrere Auszeichnungen, zuletzt die Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung 2012.

Seine jüngsten Publikationen umfassen: Das angekreidete Jahr (2007), Lapidarium (2010), Zyklomoderne. Ein Essay (2012), Stille Leben (2013). Er lebt als freier Schriftsteller in Zwiefaltendorf (Donau) und Berlin.

 

Das ZAK bat Prof. Dr. Volker Demuth folgende Fragen zu beantworten:

 

Bewahrung im Wandel: Was heißt dies aus Ihrer Sicht vor dem Hintergrund von Prozessen der Globalisierung und Glokalisierung?

Die Postmoderne hat unser altmodernes Verhältnis zu Vergangenheit und Zukunft stark verändert. Das zeigt sich an einer kulturellen Konfiguration, die ich vor wenigen Jahren als Zyklomoderne beschrieben habe. Die Zukunft hat ihren utopischen Glanz eingebüßt, die kulturelle Ordnungsbildung vollzieht sich nach rekursiven, zyklischen Modellen. Dadurch wird die Gegenwart neu interpretierbar und erfahrbar. In dieser Situation gewinnen Zwischenraum und Zwischenzeit wachsende Bedeutung und historischen Eigenwert. Tatsächlich waren Intervall und Schwelle schon immer prägende raumzeitliche Markierungen. Heute stehen wir vor der Aufgabe, dieser Liminalität ein neues kulturelles Gewicht beizumessen und – anstelle des Futurs – die Poesie des ,Schwellenzaubers‘ zurückzugewinnen.

Was führt eine Gesellschaft angesichts wachsender Orientierungslosigkeit im Zeitalter der Globalisierung zusammen und was treibt sie auseinander?

Von jedem Einzelnen wird Subjektivität heute vor allem als Schwellenphänomen und Übergangserscheinung erlebt: ambivalent und bilateral, wenn nicht sogar multilateral. Damit stellt sich die Frage: Wie lässt sich das Ich nicht als harter Kern und festes Zentrum, sondern als Schwelle und offene Beziehung begreifen? Ich möchte dafür plädieren, die nicht lediglich in der europäischen Tradition bislang dominierenden Kräfte von Grenzen – der Festigkeit, Abgeschlossenheit, Definition – durch eine Kultur der Schwelle – des Übergangs, der Durchlässigkeit, der Diabasis – auszutauschen. Ein solcher Wandel, bei dem künstlerischen Modellen eine gewichtige Rolle zukommt, stellt sich nicht bloß für die Formatierung unseres Ich-Begriffs als grundlegend dar. Auch angesichts einer ihre Bedeutung immer deutlicher offenbarenden Schwellenstruktur globaler Verhältnisse werden wir kaum umhinkommen, uns auf literarische Texterfahrungen zu besinnen, welche Lebenswelten als Transfer- und Transformationsgebiete, als Räume von Übergang und Verwandlung, als Bühnen dramatischer Freiheit und der geteilten Verbindlichkeit des Dialogs, des Fremden und des Eigenen inszenieren. Wir dürfen uns die Zwischengesellschaft als eine glückliche vorstellen.