Demokratisch, parlamentarisch, gut? Herausforderung Demokratie

Logo CFDas deutsche Grundgesetz wird 60 Jahre nach dessen feierlicher Verkündung durch den Parlamentarischen Rat als Basis der Demokratie und Hort der Freiheit verstanden. Dass seit der Entstehung des Grundgesetzes bis heute ungefähr fünfzig Änderungen, u. a. in den Bereichen Asylrecht, Europäische Union und Regelung der Deutschen Einheit, beschlossen wurden, scheint daran nichts zu ändern – im Gegenteil. Die Anpassungsfähigkeit der Verfassung bei Beibehaltung der zugrundeliegenden Prinzipien zeichnet das Grundgesetz gerade aus. Aber inwiefern ist unser demokratisches System für den Wandel offen? Ist unsere Demokratie jeder Herausforderung gewachsen?

Der Mauerfall, das wichtigste Ereignis der jüngeren deutschen Geschichte, wird je nach Perspektive als Aufbruch in die Demokratie oder als Wiedervereinigungsakt gedeutet. 20 Jahre danach ist der Umgang mit der DDR-Geschichte immer noch ein sehr umstrittenes Thema. Die Geschichtsaufarbeitung der SED-Diktatur hat für viele nicht wirklich stattgefunden. „Man wollte Gerechtigkeit und bekam den Rechtsstaat“, so der bekannte Satz der DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley. Wie viel innere Einheit ist angesichts der Veränderungen im Wirtschafts- und Sozialsystem, der politischen Ordnung und des Alltagslebens heute in Deutschland möglich oder gar nötig?

Ein ganz anderes Phänomen stellt die ‚westliche Revolution‘ der 68er dar, die kollektive Selbstverwaltungsformen jenseits der parlamentarischen Demokratie forderte. Diese stellte damals eine paradigmatische Herausforderung für die bestehende Gesellschafts- und Verfassungsordnung dar. Inzwischen ist die Studentenrevolte Gegenstand sehr viel kritischerer Bewertung geworden: Welche Vorstellungen von Verantwortung gegenüber der Demokratie hatte die 68er-Bewegung? Hatte sich die Bewegung durch die eigene Ideologisierung in eine Gewalt-Spirale mit antidemokratischen Folgen begeben? Welche Kritikpunkte der 68er-Bewegung sind heute noch aktuell?

Vor diesem geschichtlichen Hintergrund befasst sich die Vortragsreihe mit aktuellen Problemen und Herausforderungen der Demokratie in Zeiten der Globalisierung: Wirtschaftskrise und Ökologie, Bildung und Chancengleichheit, Diaspora und Global Politics, Moderne Kriminalität und Extremismus, Rechtslage der Neuen Medien, Sicherheitspolitik und nicht zuletzt Föderalismus und Europa werden einige der zu erörternden Schwerpunkte sein. In diesem thematischen Zusammenhang bilden die Fragen nach dem Grundkonsens der Gesellschaft und dem Selbstverständnis unserer Demokratie die Leitgedanken der Reihe.

Gefragt werden soll auch nach der Zukunft der Europäischen Union. Wenn die EU die Funktion eines Friedensgaranten und Gewährleisters von großräumigen Handelsbeziehungen, Wirtschaftsstrukturen und Kulturwerten übernimmt, liegt die Frage nahe, was dies für die Identität, die Verantwortungsbereitschaft und für die Verhaltensweisen unseres demokratischen Zusammenlebens bedeutet.

 

Die Veranstaltung ist Teil des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung initiierten Wissenschaftsjahres 2009, in dem Karlsruhe der "Treffpunkt der Wissenschaft – Herausforderung Demokratie“ ist. Die bundesweit zehn Treffpunkte der Wissenschaft werden von der Robert Bosch Stiftung gefördert und in Kooperation mit dem Deutschen Städtetag realisiert: staedte-im-wissenschaftsjahr.de.

 

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Konzept und wissenschaftliche Leitung:

Prof. Dr. Caroline Y. Robertson-von Trotha, Gründungsdirektorin des ZAK

Organisation: Jesús Muñoz Morcillo M.A.

Pressearbeit: Sigrid M. Heneka-Peters M.A.

Ort: NTI-Hörsaal, Geb. 30.10, Engesserstr. 5, EG

Termine: Donnerstags (s.u.), 18h00 – 19h30

 

Veranstaltungsübersicht

29.10.2009

Eröffnungsvortrag: Parlamentarische Demokratie, Politikverdrossenheit und Demokratiereform

Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus von Beyme
Emeritus für Politikwissenschaft, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

BeymeDie negative Einstellung der Bürger zur Politik, ihr Desinteresse und Ablehnung von politischem Handeln führt heutzutage zur mangelnden Partizipation an politischen Prozessen. Dieses Phänomen kann man vor allem an den seit etwa 1990 kontinuierlich sinkenden Zahlen der Parteimitglieder aller Fraktionen beobachten. Die Gründe hierfür sind unterschiedlicher Natur: Ein nicht gehaltenes Wahlversprechen, das Eigeninteresse der Politiker, mangelnde Bildung der Bürger oder Vertrauensverlust durch oberflächliche Medienberichterstattung. Im Eröffnungsvortrag wird Professor von Beyme die Zusammenhänge zwischen Parlamentarismus und Politikverdrossenheit erläutern sowie die Auswirkung der jetzigen demokratischen Strukturen auf diese Situation. In dieser Hinsicht stellt sich auch die Frage nach der Notwendigkeit einer Demokratiereform, die den Wandel aus der Machtelite zu einer Funktionselite ermöglicht.

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05.11.2009

20 Jahre Mauerfall - Was hat sich verändert?

Bärbel Bohley
Mitbegründerin des Neuen Forums, DDR-Bürgerrechtlerin und Malerin

Beyme„Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat.“ Die Bürgerrechtlerin und Malerin Bärbel Bohley bringt damit die Enttäuschung vieler Bürger über die unzureichende Aufarbeitung des DDR-Unrechts in der Bundesrepublik auf den Punkt. 20 Jahre nach dem Mauerfall ist sie davon überzeugt, dass es auch in der Demokratie notwendig ist, Widerstand zu leisten. In ihrem Vortrag referiert Bohley über die Erfahrungen im Herbst 1989, deren umstrittene Wirkung auf das geeinte Deutschland und den Traum von Demokratie im Osten und fragt: Was hat sich seit dem Mauerfall verändert? Die Demokratie sei weder ein Exportartikel noch das Ergebnis einer Entwicklung, sondern durchlebe selbst einen ständigen Entwicklungsprozess. „Eine Demokratie ohne ausgeprägte direkte Demokratie“, so Bohley, „verkommt zur Schablone in entwickelten Gesellschaften“.

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12.11.2009
Die Revolution der 68er – Was war links?
Filmvorführung mit anschließender Diskussion

Andreas Christoph Schmidt
Regisseur und Drehbuchautor
Dr. Wolfgang Kraushaar
Politikwissenschaftler, Hamburger Institut für Sozialforschung
Prof. Dr. Klaus Meschkat
Emeritus für Soziologie, Leibniz Universität Hannover

Links war im Deutschland der 60er, 70er und 80er Jahre mehr als nur eine politische Orientierung – es prägte vielmehr das Selbstbewusstsein einer jungen deutschen Generation. Welche Ideen hinter diesem „linken“ Lebensgefühl standen, wie es zur Politisierung der Jugendlichen kam und welche Lebenspraxis sich aus diesen Ideen ergab, dieser Frage wird in dem vierteiligen Dokumentarfilm „Was war links?“ nachgegangen. Die Spur der Entwicklung und Ausprägung der linken Weltanschauung, die Regisseur Schmidt in seiner Dokumentation legt, soll in einer Diskussion aufgenommen werden. Laut Dr. Kraushaar lässt sich heute politisch nicht mehr an die 68er-Linke anknüpfen: „1968 war Vorgriff und Rückfall zugleich. Jedes 68er-Resümee muss deshalb ambivalent bleiben.“ Hingegen hält Professor Meschkat dagegen, dass „gerade angesichts der modischen Überbetonung der kulturellen Dimensionen der Protestbewegung von 1967/68 an ihre politische Orientierung zu erinnern ist.“

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10.12.2009
Demokratie – Integration – Bildung: Was ging schief, was ist zu tun?

Prof. Dr. Werner J. Patzelt
Lehrstuhlinhaber für Politische Systeme und Systemvergleich, Technische Universität Dresden

PatzeltDemokratie beruht auf vielerlei Voraussetzungen, die ohne sorgsame Pflege nicht unbeschadet überdauern. Weil demokratischer Pluralismus auf Streit und Mehrheitsentscheide setzt, muss auch eine belastbare gesellschaftliche Integration gelungen sein, die vor solchen Konflikten ein Auseinanderfallen des Gemeinwesens verhindert. Integration ist aber nur mit einem gemeinsinnigen Willen zum Zusammenhalt möglich. Hierzulande kann Bildung die notwendige Neigung und Fähigkeit zur Demokratie sowie jenen Gemeinsinn vermitteln, der ein Staatswesen zusammenhält. Im Vortrag soll bilanziert werden, was im Laufe bundesdeutscher Demokratiegeschichte hier gelang oder misslang. Der Bogen spannt sich von der Entwicklung politischer Bildung in Deutschland über die Schwierigkeiten, in diesem Land zu einem nachhaltig integrierenden Patriotismus zu finden, bis hin zu den Herausforderungen und Chancen, welche Friedliche Revolution und Wiedervereinigung für Bildung, Integration und Demokratie in Deutschland zeitigten.

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17.12.2009
Extremismus und Sicherheitspolitik: Zusammenhänge und Widersprüche?


Kay Nehm
Generalbundesanwalt a.D.

Nehm

 

Wesentliches Merkmal unserer demokratischen Verfassung ist das Recht auf freie Meinungsäußerung. Das Grundgesetz gibt somit grundsätzlich auch radikalen politischen Auffassungen Raum zur Artikulation - solange die Grundprinzipien der Verfassungsordnung nicht angetastet werden. Wo Meinungsfreiheit in eine Propagierung verfassungsfeindlicher Ziele und antidemokratischer Ideologien umschlägt, spricht man von politischem Extremismus, der oft von Gewaltanwendung begleitet wird. Die Sicherheitspolitik verfolgt das Ziel, die Sicherheit und den Schutz der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten und steht somit im Kampf gegen extremistische Aktivitäten und Bewegungen vor immer neuen Herausforderungen. Sie bewegt sich hierbei auf einem schmalen Grad, dessen Überschreitung die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit allzu leicht durcheinanderbringen kann. Der Vortrag beschäftigt sich u.a. mit der Frage, wie der Extremismus zu bekämpfen ist ohne dabei die Prinzipien des Rechtsstaats zu verletzen.

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14.01.2010
Streitgespräch: EU-Verfassung und Grundgesetz: Auf dem Weg zum Bundesstaat oder zum Staatenbund?

Tomuschat

 

Murswiek

Der Vertrag von Lissabon trat am 1. Dezember dieses Jahres in Kraft. Er soll die europäische Integration vorantreiben und die Europäische Union für die Bewältigung globaler Herausforderungen rüsten. Die Ratifizierung des Vertrags wurde durch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht hinausgezögert. Infolge der Klage entstanden vier Begleitgesetze zur Regulierung der parlamentarischen Beteiligungsrechte auf EU-Ebene. Professor Murswiek, Sprecher der Kläger, sieht in dem nun ratifizierten Vertragswerk die Eigenständigkeit der Mitgliedsstaaten zwar garantiert, die demokratische Legitimation der EU bleibe indes aber weiterhin unzureichend. Professor Tomuschat, der den Vertrag für die Bundesregierung verteidigte, bewertet das Urteil als Schieflage: Es spreche dem Europäischen Parlament eine echte demokratische Legitimation ab und versäume eine zukunftsweisende Positionierung Deutschlands innerhalb des europäischen Integrationsprozesses.

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21.01.2010
Finanzkrise: Ursachen und Folgen?

Gerhard Stratthaus
Finanzminister a.D. von Baden-Württemberg,
Mitglied des Leitungsausschusses der Finanzmarktstabilisierungsanstalt,
Präsident der Führungsakademie Baden-Württemberg

Stratthaus

Laut Gerhard Stratthaus befinden wir uns in der tiefsten Rezession seit der Weltwirtschaftskrise von 1929.
Die aktuelle Krise entstand auf den Finanzmärkten und hat in der Zwischenzeit die Realwirtschaft erfasst. Sicher ist, weltwirtschaftliche Ungleichgewichte und Überkapazitäten hätten in jedem Fall zu einer Anpassungskrise geführt, aber nicht in dieser Geschwindigkeit und Schärfe. „Das Platzen der Kreditblase in den USA führte“, so Stratthaus, „zu einem scharfen Rückgang des Konsums und zu einem prozentual noch schärferen Rückgang des Welthandels“. Aber ist alles so schief gelaufen wie in den Jahren der großen Depression? Und was kommt noch auf uns zu? In seiner Rede wird Stratthaus nicht nur über die dunkle Seite der Wirtschaftskrise und über die politischen Gefahren, die sie birgt, referieren. Vielmehr zieht er auch eine positive Bilanz hinsichtlich vermiedener Fehler und gibt Antworten auf die Frage nach weiteren Handlungserfordernissen. Der Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft liegt für Stratthaus in der Sozialen Marktwirtschaft.


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28.01.2010
Podiumsdiskussion: Europäische Demokratie(n) oder Demokratisierung Europas?

Dr. Jochen Bittner
Dr. Jochen Bittner
Europa- und NATO-Korrespondent, Die Zeit
 
Dr Marianne Kneuer
Prof. Dr. Marianne Kneuer
Politologin, Technische Universität Darmstadt
 
Dr. Martin Nettesheim
Prof. Dr. Martin Nettesheim
Lehrstuhlinhaber für Staats- und Verwaltungsrecht, Europäisches Gemeinschaftsrecht, Völkerrecht und Auswärtige Politik, Eberhard Karls Universität Tübingen
 
Foto: Jenny Posener
Alan Posener
Korrespondent für Politik und Gesellschaft, Welt am Sonntag

Foto: Jenny Posener

Die demokratische Legitimation der EU wird heutzutage oft hinterfragt. Es scheint, als ob Demokratie auf supranationaler Ebene nur mit Einschränkung der nationalen Demokratien möglich sei. Manche behaupten sogar, dass die EU sich langsam in einen imperialen Staatenbund verwandelt. Wenn es so ist, wie soll dann Europa nach innen wie nach außen Demokratie fördern? Die EU hat in der Tat als Exporteur von Demokratie bereits im Rahmen des Erweiterungsprozesses gewisse Regeln und demokratische Prinzipien vorgegeben. In der Podiumsdiskussion wird sowohl nach den Implikationen des Integrationsprozesses für die einzelnen Staaten als auch nach den Folgen der Integration auf internationaler Ebene gefragt.

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Illustration: Cécile Noël / www.framboise-noel.eu