Inge Bell- Referentin des Colloquium Fundamentale im WS 06/07 "Schattenseiten des Internets"

Inge Bell, freie Fernseh- und Hörfunkautorin mit Länderschwerpunkt Bulgarien und Rumänien für die ARD und das ZDF und Mitglied im Aktionsbündnis gegen Frauenhandel, war am 11. Januar 2007 zu Gast am ZAK und berichtete in der Vortragsreihe des Colloquium Fundamentales "Schattenseiten des Internets" über den Frauenhandel und die Prostitution im Internet. Unser Mitarbeiter Daniel Meithert sprach mit Frau Bell über Ihre Erfahrungen mit dem Internet.

Frauenhandel und Prostitution im Internet - Ein Gespräch mit Inge Bell

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Frau Bell während ihres Vortrags "Frauenhandel und Prostitution"
 

Zwangsprostitution und Frauenhandel
in Deutschland

Der aktuelle Bericht des Bundeskriminalamts zur Lage des Menschenhandels in Deutschland verzeichnet für das Jahr 2005 insgesamt 642 Menschenhandelsopfer zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung. Allerdings muss, so das BKA, im Bereich des Frauenhandels weiterhin von einem Dunkelfeld ausgegangen werden, das diese Zahl um das Mehrfache übersteigt. Die meisten Opfer stammen aus Rumänien, Deutschland, Russland, Bulgarien, Polen und der Ukraine. Weit über die Hälfte der Frauen ist zwischen 18 und 24 Jahre alt, acht Prozent sogar noch jünger.

Quelle: Bundeslagebild Menschenhandel 2005, Bundeskriminalamt

Frau Bell, Frauenhandel ist ein über die Landesgrenzen hinweg organisiertes Verbrechen. Wie sehr kommt das Internet diesem System der Versklavung zu Gute?
Das Internet wird sicherlich nicht primär für den Menschenhandel als solchem genutzt, sondern vielmehr von den Nutznießern des Menschenhandels, nämlich den Kunden. Wo tummeln sich Männer die anonym bleiben wollen? Im Internet. Auf diese Weise hat das Internet schon zu einem großen Teil die ganze Zeitungsinseratszene abgelöst. Hat ein Mann, den die Lust überkommt, früher die Zeitung in die Hand genommen, wird jetzt schon eher mal im Internet recherchiert. Denn es gibt ja wirklich tausende Seiten in Deutschland, in denen die ganz normale Bordellszene und Wohnungsbordellszene inseriert.

Welche Konsequenz hat dieses Verschwinden der Annoncen aus der Öffentlichkeit in die Anonymität des unüberschaubaren virtuellen Netzes?
Alles, was im Internet abläuft, ist ja in der Regel nicht zensiert. War es in Anzeigenblätter nicht ohne weiteres möglich, tabulosen Sex, also beispielsweise Sex ohne Kondom, anzubieten, gibt es diesen Ehrenkodex im Internet nicht. Da kann man also durchaus mal schreiben „Ich mach’s dir tabulos“ und beispielsweise Küsse oder Girlfriendsex anbieten. Diese Dienstleistungen bieten „professionelle“ Prostituierte nicht an. Zwangsprostituierte kennen solche Standards gar nicht und können sich diesen Dingen auch nicht verweigern. Die müssen zwangsläufig tun was der Mann will, weil sie gar keine Wahl haben. Insofern leistet das Internet sehr wohl Vorschub, weil nun plötzlich alles zu haben ist. Welcher Mann will denn dann noch zu einer 200 Euro teuren deutschen Hure, die keine Küsse und auf keinen Fall Sex ohne Kondom akzeptiert, wenn er es dank Internet auch anders und vor allem billiger haben kann. Das heißt zwar noch lange nicht, dass das alles auch Zwangsprostituierte sind. Aber hier bleibt es dann ausschließlich dem Freier überlassen zu entscheiden, ob die Frau es auch freiwillig macht.

Laut einem EU-Bericht wurde schon 2001 70% des im Internet ausgegebenen Geldes in Pornographie investiert. Das Internet ist also nicht nur ein Anzeigenmarkt, sondern selbst eine Plattform, auf der sich mit pornographischen Inhalten viel Geld verdienen lässt. Ist das Internet nicht auch hier gerade im Bezug auf illegale Inhalte eine Triebfeder für Menschenhandel und Zwangsprostitution?
In der Tat ist es so, dass Frauen und auch Kinder für pornographische Zwecke ausgebeutet werden – ohne dass sie dabei jemals die Grenzen ihres Landes verlassen. Dies ist sogar oft förderlich, da man in Osteuropa seinem Handwerk oft ungestörter nachgehen kann. Ein Pornofilmer, der irgendwo in Bulgarien dreht und dabei Frauen und Kinder aufs Schändlichste missbraucht, muss der Polizei nur mal eben einen „Fufi“ rüberschieben und schon ist es still. Er hat dort noch größere Freiheiten, weil einfach die Verbrechensbekämpfung und auch das Bewusstsein für das Verbrechen an den Menschen nicht so ausgeprägt ist.

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Frau Bell während ihres Vortrags "Frauenhandel und Prostitution"

Das Internet hat wohl aber auch seine „guten“ Seiten. Sie selbst machen es sich zu Nutzen, indem sie Aufklärungsarbeit bei Freiern leisten.
Vor 3 Jahren haben wir uns gedacht, wir würden gerne eine eigene Website zur Zwangsprostitution aufmachen. Wir haben deshalb die Website ww.ex-oriente-lux.org ins Leben gerufen. Dort wollen wir ohne erhobenem Zeigefinger die Freier über Zwangsprostitution aufklären.

Nehmen die Freier das Angebot an?
Ja, wir haben 800 Klicks pro Woche und bekommen viele Zuschriften. Wir schreiben dann in einer bewusst flapsigen Sprache zurück und bei ein paar merkst du richtig, wie ein Gedankenprozess in Gang kommt und er das nächste Mal, wenn er in einen Puff geht, schon mal nachfragen und genauer hinschauen wird. Und dann erhalten wir viele Zuschriften und Signale von Freiern, die etwas bemerkt haben, sich aber auf keinen Fall an die Polizei wenden wollen. Dann konnten wir auch immer nur raten: „Mensch, wende dich an eine Hilfsorganisation oder gib uns den Tipp, wir geben es weiter.“ Viele von unseren permanenten Kontakten sind „sensible“ Freier, die helfen möchten oder sogar Befreiungsaktionen starten. Die Unbelehrbaren schneien einmal vorbei, geben ihren Senf ab und melden sich nie wieder.

Sehr geehrte Frau Bell, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.