Abstracts der Vorträge

Evangelikanischer Aktivismus am Beispiel der jüngsten USA-Wahl und dessen Einfluss auf Politik und Ökonomie

Prof. Dr. Marcia Pally

Evangelikanische Christen, Amerikas größte Wählergruppe, stehen schon seit Langem mit der politischen Rechten in Verbindung, mit weitreichendem Einfluss auf die amerikanische Ökonomie sowie die Innen- und Außenpolitik. Im Laufe der letzten acht Jahre zeigten sich bei dieser Gruppe jedoch tiefgreifende Veränderungen hinsichtlich politischer Ethik und politischem Aktivismus, weg von einer Orientierung an der politischen Rechten, hin zu Umweltschutz, ökonomischer Gerechtigkeit und Immigrationsreform. Ich werde diese Veränderungen unter Berücksichtigung der Präsidentschaft Obamas und des demographischen Wandels in den USA beschreiben und ihre politischen Auswirkungen diskutieren.

 

Jüdische Erinnerung und die kosmopolitische Ordnung

Prof. Dr. Natan Sznaider

Mein Paper geht von der Annahme aus, dass Europa zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf der Suche nach einer gemeinsamen kulturellen Symbolik ist, die der krisengeplagten Euro-Währung ein kulturelles Rückgrat zu verleihen vermag. Wie könnte diese kulturelle Symbolik aussehen?
Wiederholt wurde die grundlegende Rolle des Holocaust als fundamentales Ereignis für eine solche gemeinsame Vergangenheit benannt. Dieses Szenario bildet lediglich den Ausgangspunkt für meine Betrachtungen der Möglichkeiten für ein neues Europa sowie dafür, wie diese mit der Erinnerung an den Holocaust zusammenhängen und welche kosmopolitischen Aussichten damit verbunden sind.
Zusätzlich möchte ich die Frage aufwerfen, was in dieser neuen weltbürgerlichen Ordnung mit den jüdischen Stimmen geschehen ist. Und bei der Betrachtung Europas aus einem jüdischen Blickwinkel: Welche Bedeutung kommt dem zukünftigen Europa zu?
Mein Vortrag befasst sich folglich mit jüdischer Erinnerung. Ich entwickle eine Genealogie, die es mir erlauben wird, die Idee des ‚verwurzelten Kosmopolitismus‘ in die stetige Entwicklung der Geschichte zurückzuführen – dort, wo sie hingehört. Ich werde versuchen, einen der fundamentalsten Widersprüche der Moderne aufzulösen, zwischen einerseits dem Gedanken, dass wir tief im Innern alle gleich sind – dem Schlüsselgedanken der Moderne – und andererseits der Existenz unserer jeweiligen spezifischen Identität, die viel von dem definiert, was uns wichtig ist, und die uns von vielen Menschen abzugrenzen scheint. Bei der Betrachtung jüdischer Erinnerung tritt eine Art Reiseerinnerung zutage. Diese Art der Erinnerung basiert oft auf Erfahrungen, die ihren räumlichen Ursprung in Osteuropa haben, doch sich dann durch Reisebewegungen in den Westen Europas, die USA, nach Südafrika, Lateinamerika und Israel verlagert haben, während zugleich die Möglichkeit einer Rückkehr nach Osteuropa bestand. Meine These ist, dass diese Art der weltbürgerlichen Erinnerung eine Herausforderung für jene Auffassungen darstellt, die Geschichte und Grenzen als streng in sich abgeschlossen sehen, und die Möglichkeit eröffnet, dass Territorialität nicht das einzige in Frage kommende Mittel für sozialen und symbolischen Zusammenhalt darstellt.

 


Das Paradies zu Füßen der Frauen

Francesca Caferri

An dem Tag, an dem eine Gruppe bewaffneter Männer in einem entlegenen Tal Pakistans auf einen Bus aufsprang und einer jungen Studentin in den Kopf schoss, ahnten die Täter nichts von den Konsequenzen ihrer Handlung. Sie dachten, dass sie Malala Yousafzai für immer zum Schweigen bringen würden. Stattdessen entfachten sie eine Revolution in Pakistan und weiteren islamischen Ländern.

Heute befindet sich Malala Yousafzai in einem Krankenhaus in Großbritannien in Behandlung. Ihre Familie und ihre Ärzte sagen, dass die junge Frau so bald wie möglich wieder für ihre Überzeugungen kämpfen möchte: für die Schulbildung junger Frauen.

Malala Yousafzai ist ein mächtiges Symbol einer Revolution, die in islamischen Ländern nun schon seit Jahren stattfindet, in der westlichen Welt jedoch erst seit 2011 im Zuge des Arabischen Frühlings wahrgenommen wurde: die Revolution der Frauen.

In den letzten 20 bis 30 Jahren haben Frauen in der islamischen Welt erstaunlich viel erreicht. Im Vergleich zu früheren Generationen haben junge Frauen heute sowohl bessere Chancen, zu studieren, zu arbeiten und erst später zu heiraten, als auch ein größeres Mitspracherecht in den politischen und sozialen Institutionen ihrer Länder. Sie haben außerdem weniger Kinder, wodurch sich ihnen und den Kindern, für die sie sich schließlich entscheiden, bessere Bildungschancen und ein besserer Zugang zur Gesundheitsversorgung eröffnet. Dieser Wandel hat weitreichende Konsequenzen, etwa eine Erhöhung des Bildungsgrades bei Frauen, eine Verringerung des Bildungsunterschieds zwischen den Geschlechtern und einen größeren Anteil von Frauen an der Arbeitswelt.

Parallel zum Rückgang der Geburtenrate wächst die Anzahl der Mädchen, die zur Schule gehen, besonders in den wohlhabenderen Ländern der Region. Mittlerweile besuchen 90% aller Mädchen die Grundschule, in 12 Ländern sind 80% in einer weiterführenden Schule eingeschrieben und mehr als die Hälfte der besten Schüler ist weiblich. Schaut man sich die Zahlen dazu an, wie viele Frauen arbeiten oder sich in der Politik engagieren, sehen die Trends ähnlich aus.

Die westlichen Medien waren überrascht darüber, dass Frauen bei der Revolution auf dem Tahrir-Platz in Kairo eine führende Rolle spielten. Ebenso überrascht waren sie darüber, dass Tawakkul Karman, eine konservative Frau aus dem ärmsten Land des Mittleren Ostens, dem Jemen, 2011 den Friedensnobelpreis gewann.

Ich sage dazu immer: Da gibt es nicht viel Grund zur Überraschung. Frauen wie Tawakkul stehen an der vordersten Front einer Bewegung, die viele Gesichter hat, der es aber gelingt, das Gesicht der islamischen Welt zu verändern, und die dies in Zukunft sogar noch weitreichender tun wird. Diese Frauen nehmen Einfluss in Büros und Universitäten, auf den Plätzen, wo sie demonstrieren, und in den Parlamenten, wo ihnen die Durchsetzung von für Frauen positiveren Gesetzen gelungen ist.

Diese Bewegung hat ihre eigenen Ursprünge, ihre eigenen Traditionen, ihre eigene Religion und imitiert nicht lediglich die westliche Welt. Wir müssen ihren Kampf verfolgen, wenn wir verstehen wollen, wohin sich die islamische Welt in Zukunft entwickeln wird.

 


Belastungsprobe für die Zivilgesellschaft in China: Veränderungsprozesse in globalen Zeiten

Prof. Dr. Jude Howell

Dieser Beitrag befasst sich mit drei Phänomenen des frühen neuen Jahrtausends, welche die Zivilgesellschaft als Idee und empirische Praxis auf eine Belastungsprobe stellen. Diese Phänomene betreffen: erstens, den ,globalen Krieg gegen den Terrorismus‘; zweitens, die weltweite Rezession; und drittens, Chinas zunehmende Bedeutung als wirtschaftliche und politische Weltmacht. Mein Beitrag widmet sich hauptsächlich den Auswirkungen des ,globalen Kriegs gegen den Terror‘ auf die Zivilgesellschaft. Diese haben nicht nur eine Neubewertung der Zivilgesellschaft im neuen Jahrtausend mit sich gebracht, sondern auch die bewusstere Gestaltung einer bestimmten Vision von Zivilgesellschaft, die deren Unterordnung unter die funktionalen und politischen Interessen des Staates vorsieht. Eine solche Vision von Zivilgesellschaft feiert deren funktionale Rolle bei der Dienstbereitstellung und der Bewahrung der sozialen und politischen Ordnung, auf Kosten einer eher emanzipatorischen Vision von Zivilgesellschaft, die durch zivilgesellschaftliche Praktiken der Solidarität und der Emanzipation gekennzeichnet ist.
Dieser Beitrag untersucht zunächst zwei konkurrierende und doch komplementäre Dynamiken, die der ,globale Krieg gegen den Terrorismus‘ hinsichtlich der Beziehung zwischen Staat und Zivilgesellschaft mit sich bringt, nämlich eine Dynamik des Misstrauens, der Überwachung und der Unterdrückung einerseits, und eine Dynamik der Kooption andererseits. Einer Darstellung des historischen Hintergrunds dieser Dynamiken folgt eine Beleuchtung der Situation nach dem 11. September. Nationale Regierungen und internationale Institutionen erließen zahlreiche Maßnahmen, Gesetze und Bestimmungen zur Eindämmung der Aktivitäten bestimmter Teile der Zivilgesellschaft. Dies betraf insbesondere muslimische Gemeindeorganisationen, wohltätige Vereinigungen sowie in Konfliktgebieten und im Nahen Osten tätige internationale Entwicklungs-NGOs. Diskutiert werden auch Versuche der Regierungen, bestimmte zivilgesellschaftliche Gruppen durch finanzielle Unterstützung, Gespräche und Kooperation in ihre Sicherheitsagenda mit einzubinden. Beispiele für diese Dynamik werden ebenso behandelt wie die Reaktionen von Teilen der Zivilgesellschaft und die Auswirkungen dieser Dynamik auf die Entwicklung der Zivilgesellschaft.
Abschließend wird die Verbindung zwischen diesen Entwicklungen und zwei Parallelerscheinungen hergestellt: der weltweiten Rezession, welche die Staatshaushalte seit 2008 erheblich belastet, und dem Aufstieg Chinas zum wirtschaftlichen und politischen Global Player. Zusammengenommen deuten diese Tendenzen auf herausfordernde globale Zeiten für die Zivilgesellschaft hin, während Staaten versuchen, ihre Beziehung zu organisierten Bürgerinnen und Bürgern strategischer zu gestalten.

 

Zwischen Tradition und Globalisierung: Afrikas Mühe mit der ,Moderne‘

Prof. Dr. Elísio Macamo

Es gibt zwei Begriffe von ‚Moderne‘. Es gibt die ,nackte‘ Moderne, d. h. eine Moderne ohne Anführungsstriche. Sie hebt den Zwischenraum auf, der sich zwischen Tradition und Globalisierung eingeschlichen und dadurch Afrika zum Dauerproblem gemacht hat. Es ist eine Moderne der Möglichkeiten, die sich noch nicht erschöpft hat und sich immer noch im Begriff befindet, sich selbst zu erfüllen, wie auch Jürgen Habermas feststellt. Die andere Moderne kann man nur unter Anführungsstrichen betrachten. Es ist eine Moderne, an deren Anfang die Aufklärung steht. Es ist eine Moderne, welche die Zukunft, um es mit Peter Wagner zu sagen, zum sozialen Projekt erklärt hat. Diese Moderne hat eine teleologische Vorstellung von Geschichte durchgesetzt, die Afrika zum Verhängnis geworden ist. Durch ihre Überzeugung, wonach Europa ausgerufen worden sei, sich die Welt und alle deren Kulturen untertan zu machen, hat sie die afrikanische Geschichte zur Fußnote degradiert. Diese fristet ihr Dasein in den Zwischenräumen einer großen Erzählung, die über kein geeignetes Vokabular verfügt, um Afrika ohne Bezug auf die Geschichte der ,Moderne‘ verständlich zu machen.
Afrikas Mühen mit der ‚Moderne‘ sind die Mühen, die vorenthaltene Versprechen auslösen. Die afrikanische Erfahrung der Moderne ist zunächst die Erfahrung des Kolonialismus. Diese gründet auf einem Spannungsverhältnis zwischen Versprechen und Vorenthaltung. Überall dort, wo der Kolonialismus sein Unwesen trieb, versprach er zum einen die Teilhabe an den Früchten der Zähmung der Zukunft durch die Vernunft und die Wissenschaft. Zum anderen aber enthielt er einem beträchtlichen Teil der Menschheit diese Teilhabe an Fortschritt, Autonomie, Wohlstand sowie Emanzipation von den Zwängen der Tradition vor. Die Vorenthaltung basierte auf einer Unterscheidung zwischen Europäern und Afrikanern. Der Bürger war das Subjekt einer selbstbewussten Geschichte, die ihn mit Handlungsfähigkeit und Zukunftsentwürfen ausstattete. Der Untertan dagegen war (und ist nach wie vor) Gegenstand der Geschichte als soziales Projekt: der edle Wilde. Afrika ist inzwischen unabhängig geworden, aber die Grundeinstellung ihm gegenüber hat sich kaum geändert.
Afrikas Erfahrung der Moderne hat sich immer in diesem Zwischenraum bewegt. Es ist immer ein Balanceakt gewesen, sich Wege im Spannungsverhältnis von Versprechungen und Vorenthaltung zu bahnen. In Historical Ontology (2002) schreibt der kanadische Philosoph Ian Hacking über die Möglichkeit, Mensch zu sein (making up people), als Grundmotiv des historischen Geschehens. Afrikaner haben nichts anderes getan als sich immer wieder neu zu erfinden und dadurch die Geschichte der Zwischengesellschaft zu proklamieren.
Afrikas Mühe mit der ‚Moderne‘ ist die Mühe, die wir alle haben sollten, wenn wir uns mit der Möglichkeit einer wahrhaftigen Beschreibung der Welt befassen. Jack Goody hat dieses Problem sehr prägnant in seiner Brandschrift gegen die ‚Moderne‘ (The Theft of History, 2007) zum Ausdruck gebracht: Die stark ausgeprägte westliche Neigung dazu, Urheberrechte auf die Moderne zu beanspruchen, hätte zu der Unzulänglichkeit moderner Begrifflichkeit geführt, andere (kulturelle) Wirklichkeiten zu beschreiben. Vor diesem Hintergrund muss der Anspruch auf Universalismus, der im Rahmen der ‚Moderne‘ immer wieder erhoben wurde, mit Skepsis betrachtet werden, da er immer auf der Abweisung anderer Erfahrungen basierte. Das Chaos, das uns immer wieder begrüßt, wenn wir Richtung Afrika blicken, ist ein Ergebnis der Unzulänglichkeit unserer Begrifflichkeit, europäische Erfahrungen in lokale Sprachen zu übersetzen.
Tradition und Globalisierung sind Begriffe, bei denen sich die ‚Moderne‘ zuhause fühlt, wenn sie sich über Afrika Gedanken macht. Die ‚Moderne‘ hat sich selbst kastriert, indem sie sich auf die Illusion eingelassen hat, die Zukunft begrifflich zähmen zu können. Afrika befreit sie, indem es anstelle einer teleologischen Auffassung der Geschichte zu bedenken gibt, dass sich unsere Existenz am seidenen Faden der Kontingenz konstituiert. Nicht die Zähmung der Geschichte und der Zukunft ist die Antwort auf diese Situation, sondern die Zuversicht, welche immer größer wird, wenn man sich von Übermut befreit.

 

Glokalität: Jenseits der binären Kategorien ,Moderne‘ und ,Tradition‘

Prof. Dr. Roland Robertson

Derzeitige und scheinbar erfolgreiche Versuche, die Unterscheidung zwischen dem Lokalen und dem Globalen zu überwinden, resultieren in der Anerkennung der Bedeutsamkeit der ‚Glokalität’ als dem primären Aspekt der Charakterisierung der heutigen menschlichen Existenz. Dieser Beitrag stellt die Ursprünge und die Verbreitung des Konzepts der Glokalität dar und verbindet diese mit der aktuellen Debatte in der Gesellschafts- und Kulturtheorie. Dabei werden die extremen Einschränkungen, die reduktionistische, fundamentalistische, metaphorastische und unidimensionale Ansätze mit sich bringen, herausgearbeitet.

 

Kulturerbe zwischen Tradition und Moderne: Das Beispiel Bhutan

Prof. Dr. Susanne von der Heide

Im Herzen des Himalajas liegt Bhutan, ein kleines Land mit ca. 750.000 Einwohnern. Es befindet sich südlich der tibetischen Region Chinas und grenzt mit drei Seiten an die nordöstlichen indischen Bundesstaaten an. Traditionell wurde über diese Grenzen Handel mit Heilkräutern, Korn, Wolle, Gewürzen und teilweise mit Gold getrieben. Über die Jahrhunderte führte dies zur Errichtung wichtiger Kloster, Dzongs, Tempel und Stupas entlang der Handelsrouten, sodass sich eine bedeutsame buddhistische kulturelle Landschaft formte.

Das reiche Kulturerbe Bhutans ist in großem Maße nicht lediglich ein Überbleibsel der Vergangenheit, sondern eine lebendige Kultur, in der uralte Traditionen noch vorhanden sind und eine große Bedeutung im täglichen Leben des bhutanischen Volkes haben. Das Kulturerbe mit all seiner Vielfalt wird als das Fundament angesehen, auf dem die Identität des bhutanischen Volkes gründet. Staatsreligion ist der Buddhismus der tibetisch-lamaistischen Tradition. In manchen der diversen Gemeinden wird außerdem noch die vorbuddhistische, schamanische Bön-Religion praktiziert.

Vor kurzem wurde das ehemalige buddhistische Königreich im Zuge eines friedlichen Prozesses in eine konstitutionelle Monarchie mit einem demokratischen System umgewandelt. Dieses Jahr werden zum zweiten Mal Wahlen im Land abgehalten. Der Vortrag wird die Veränderungen und Herausforderungen beleuchten, die seit der Einführung der Demokratie in Bhutan aufgetreten sind, insbesondere in Bezug auf das Kulturerbe des bhutanischen Volkes.