Karlsruher Gespräche 2015

Big Data + Small Data = Smarter Cities & Citizens

Priya Prakash

Referentin

Priya Prakash ist Designerin und Gründerin von D4SC (Design for Social Change). D4SC entwickelt und produziert kooperative urbane Dienstleistungen und Plattformen, die Menschen dazu einladen, mittels ihrer sozialen Daten und Aktivitäten bei der Entwicklung intelligenterer Städte mitzuwirken.

Das D4SC-Team hat einen branchenübergreifenden Hintergrund – die Teammitglieder kommen aus den Bereichen soziale Netzwerke, Telekommunikation, Medien und Verlagswesen, Start-ups und Einzelhandel – und verfügt über 15 Jahre Erfahrung bei der Markteinführung preisgekrönter Produkte weltweit.

,Changify‘ von D4SC – eine mobile Echtzeit-Plattform für die Humanisierung intelligenterer Städte – wurde in Wired, Ted City 2.0, in der BBC und beim Smart City Expo World Congress vorgestellt und 2014 für den Zumtobel Applied Innovations Award nominiert. ,Changify Smarter Streets‘ gewann die Connected Cities Design Challenge und soll nun als Pilotprojekt zusammen mit dem Infrastruktur-Serviceprovider Amey städtischen Dienstleistern dabei helfen, unmittelbar auf die Bedürfnisse der Bürger zu reagieren.

Prakash generiert gerne neue Gewohnheiten und Verhaltensweisen. Sie verfügt über 14 Jahre Produkt- und Führungserfahrung und bringt Produktteams zusammen, bei Start-ups genauso wie bei etablierten Unternehmen. Sie ist Sprecherin beim SXSW, bei der O’Reilly ETech sowie der Interaction Design Association (IxDA) und ist Gasttutorin am University College London (UCL), dem Royal College of Art (RCA), der London School of Economics and Political Science (LSE) und der Syracuse University.

Infolge ihrer Innovationen im Bereich der intelligenteren Stadt wurde Prakash auf der Liste der ,Tech City Insider 100‘ 2014 aufgeführt. Sie ist Fellow an der Royal Society of Arts (FRSA) und hat einen Masterabschluss in Computer Related Design vom Royal College of Art. Sie besitzt Patente für den iPlayer und die Nokia-Asha-Smartphones.

 

Statements

1. Welchen Beitrag zur Lebensqualität und Lebendigkeit einer Stadt kann die Zivilgesellschaft durch aktive Partizipation der Bürgerinnen und Bürger leisten?

Zuerst sollte der Begriff der aktiven Partizipation genauer definiert werden, bevor wir die darin liegende Gestaltungskraft für die Lebensqualität und die Lebendigkeit der Zivilgesellschaft nutzbar machen können. Es gibt mehrere Stufen der Beteiligung, die sich im Einsatz digitaler Technologien und im Grad der Unmittelbarkeit unterscheiden. Schaut man sich den Weg hin zu einer aktiven Bürgerbeteiligung an, kann dieser folgendermaßen dargestellt werden:

  • Stufe 1: Hören/Lesen/Kommentieren, z.B. eines Artikels auf Facebook;
  • Stufe 2: Anschauen, z.B. eines YouTube-Videos zu einer bestimmten Thematik;
  • Stufe 3: Geld spenden, z.B. für eine regionale Angelegenheit;
  • Stufe 4: Informationen Bereitstellen, z.B. durch Teilnahme an einer lokalen Umfrage;
  • Stufe 5: Präsenz Zeigen, z.B. durch Teilnahme an einer Befragungsrunde;
  • Stufe 6: Zeit Investieren, z.B. durch ehrenamtliche Tätigkeit für ein lokales Projekt;
  • Stufe 7: ein Projekt Gründen, z.B. einen urbanen Garten anlegen.

Die ersten beiden Stufen werden zunehmend massenhaft produziert und können als ‚Slacktivism‘ (Wortbildung aus engl. slack = ‚nachlässig‘ und activism) bezeichnet werden. Die Stufen 3 bis 7 hingegen besitzen mehr und mehr Nischencharakter. Die Herausforderung besteht darin, die den Stufen 1 und 2 eigene Einfachheit und breite Beteiligung mit den nachfolgenden Stufen zu kombinieren. Wenn uns das gelingt, dann können die Lebensqualität und Vitalität der Stadt dank dieser Art der engagierten, aktiven Bürgerbeteiligung einen großen Schub erhalten.
 

2. Welche Verantwortung trägt die Stadt für das Zusammenleben der Kulturen und die Herausbildung einer kollektiven Identität?

Städte sind seit jeher Schmelztiegel für unterschiedliche Gemeinschaften, Religionen, Sprachen, Speisen, Kulturen und Erwerbstätigkeiten. Noch immer besteht die beste vom Menschen geschaffene Lösung für das Erreichen sozialen Zusammenhalts in der Verteilung von Ressourcen, Wohlstand und Chancen. Diese Verteilung sollte auf möglichst effiziente und dynamische Art und Weise erfolgen, bei gleichzeitiger Bewahrung des kulturellen Pluralismus und der Identitäten.

Städte wie London oder San Francisco haben jedoch zunehmend Schwierigkeiten damit, sicherzustellen, dass alle in diesen Städten arbeitenden und zu deren Wachstum beitragenden Bürger die Lebenshaltungskosten tragen können. Dies wird zu einer Herausforderung für Politik und Governance im Hinblick auf das Funktionieren der Stadt. Städte sollten sicherstellen, dass Menschen unterschiedlicher sozioökonomischer Herkunft in ihnen leben, arbeiten und ihre Freizeit genießen können – ohne dass sie von zu weit her pendeln müssen. Letzteres würde unfreiwillig zur Entstehung von Wirtschaftsmigranten und zur Herausbildung spezifischer kultureller Identitäten führen.

Erste Anzeichen dafür sieht man in London, wo sich viele Menschen keine Wohnung in der Stadtmitte (Zonen 1-4) leisten können und daher weiter außerhalb in die Vororte ziehen. Diese Entwicklungen in London und anderswo lassen Ghettos entstehen und führen zu politischen und sozialen Unruhen (wie die Ausschreitungen in Peckham 2011 deutlich machten) und zu religiös motivierter Gewalt (wie dieses Jahr in Paris und in Kopenhagen).

Gute Städte schaffen die Voraussetzungen für eine Akkulturation anstelle einer pauschalen Assimilation. Dadurch ermöglichen sie ihren Bürgern nicht nur die Bewahrung ihrer Identitäten, sondern auch eine aktive Teilnahme an der Bereicherung des kulturellen Stadtgefüges durch ihre Küche, ihre Unterhaltungskultur, ihre Musik, Herkunft und andere kulturelle Dimensionen. Also ja, Städte tragen in der Tat eine Verantwortung dafür, die richtigen Bedingungen dafür zu schaffen, dass eine Koexistenz verschiedener Kulturen ermöglicht wird und eine kollektive Identität herausgebildet werden kann.
 

3. „Wenn Bürgermeister die Welt regierten” (Benjamin R. Barber) …
Wie könnten sie Probleme nationalstaatlicher Blockaden internationaler Politik lösen oder relativieren und neue Formen interkultureller Verständigung auf den Weg bringen?

Indem sie Best-Practice-Modelle für die Lösung komplexer Probleme‘ (‚wicked‘ problems) untereinander austauschen, können Bürgermeister neue Formen transnationaler Partnerschaften bilden und eine gemeinsame Zukunftsvision gestalten. Wenn Bürgermeister mithilfe einer gemeinsamen ‚Muster‘-Sprache für Probleme und Lösungen an Städte herangehen, können sie den Weg in die Zukunft durch die Schaffung neuartiger ökonomischer Chancen und Kollaborationen aufzeigen. Diese können Wachstum, Innovation und das Zugehörigkeitsgefühl der Bürger für eine gemeinsame urbane Zukunft bzw. Bürgerschaft fördern. Initiiert werden kann dies durch allgemein kompatible städtische Infrastrukturen, die um Systeme herum aufgebaut werden, in denen urbane Daten und Aktivitäten vermessen, analysiert und geteilt werden können. Dies soll dazu dienen, Fehler zu beheben, zukunftssichere Lösungen zu finden und Vorhersagen zu treffen sowie Innovationen zu fördern mit dem Ziel, schnelles urbanes Wachstum nachhaltig zu gestalten.