„Wir Frauen leben ja nicht auf einem anderen Stern“

„Frauen sind die ersten Opfer der Islamisierung“, meint Alice Schwarzer. In ihrer Rede bei den Karlsruher Gesprächen kritisierte die Journalistin und Feministin, dass Frauen in islamistischen Ländern in „Zeiten des dramatischen Rückschritts“ leben. Dem politischen Westen wirft sie gar vor, in Ländern wie Afghanistan über Jahrzehnte aktiv dazu beigetragen zu haben. Im Gespräch mit Amin Mir Falah verrät die EMMA-Herausgeberin warum vor allem islamistische Staaten Frauen gezielt unterdrücken und widmet sich auch Themen, die hierzulande für Gesprächsstoff sorgen.

Frau Schwarzer, welche Merkmale zeichnen die „moderne“ Frau des 21. Jahrhunderts aus?

Die „moderne Frau“ ist auch nur ein Produkt ihrer Möglichkeiten, der individuelle Spielraum hat Grenzen. Das heißt, eine moderne Frau sieht heute in Ägypten oder Kenia anders aus als in Deutschland. Doch reden wir von Deutschland. Ich würde lieber „bewusst“ statt „modern“ sagen. Also, die bewusste Frau von heute im Westen weiß um ihre Chancen und Rechte – und Pflichten. Aber sie ahnt auch ihre Grenzen, das heißt, macht sich keine Illusionen. Konkret: Wenn sie ein Kind plant, weiß sie, dass es schwierig werden kann mit dem Beruf. Sie wird also vorher mit dem Vater reden, ihn in die Pflicht nehmen, absprechen, wer wann welchen Part übernimmt. Sie ist bereit zu Kompromissen – aber die müssen gegenseitig sein. Die bewusste Frau versteht ihr Frausein weder als Vorteil, noch als Schicksal, sondern als eine Realität in einer immer noch männerdominierten Gesellschaft, die jedoch überwindbar ist. Die bewusste Frau weiß auch, dass sie es alleine niemals wirklich schaffen wird. Sie wird sich verbündete Frauen suchen – und sich auch für die Verbesserung der Lage weniger „moderner“ Frauen einsetzen.

Was ist auf dem Weg zur absoluten Gleichberechtigung beider Geschlechter wirksamer – die aktive Frauenbewegung oder ein Entgegenkommen der Männer?

Das ist keine Alternative, sondern bedingt sich gegenseitig. Erst die Frauenbewegung hat die Männer wirklich nachdenklich gemacht. Und das ist gut so. Wir Frauen leben ja nicht auf einem anderen Stern. Emanzipieren können wir uns nur zusammen. Aber das ist oft eben keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Machtfrage. Warum sollten die Männer auch freiwillig ihre Privilegien aufgeben – da ist es ganz gut, wenn ein wenig nachgeholfen wird. Ganz davon abgesehen, dass es ja auch gerade für die Männer viel zu gewinnen gibt: Endlich nicht mehr Macho sein müssen, sondern Mensch sein dürfen.

Die Causa Brüderle/Himmelreich hat hohe Wellen geschlagen und die Sexismus-Debatte neu entfacht. Wo verläuft für Sie die Grenze zwischen peinlicher Anmache und ernstzunehmendem Sexismus?

Da gibt es keine Grenze. Schon die „peinliche Anmache“ ist sexistisch. Weil sie Frauen beschämt, in die Enge treibt, auf das Objektsein zurückwirft. Eine Grenze gibt es nur zwischen dem Flirt – auf Augenhöhe und gegenseitig! – und dem Sexismus: Anmache von oben nach unten, vom blöden Spruch bis zur Vergewaltigung.

Neben der Sexismus-Debatte wird hierzulande auch die Einführung einer gesetzlich geregelten Frauenquote heiß diskutiert. Gegner dieser Quote sehen die Entscheidungsgewalt der Unternehmen dadurch beeinträchtigt. Firmen könnten durch die Quote verpflichtet sein, kompetenteren männlichen Bewerbern abzusagen. Wie entgegnen Sie diesem Argument?

Quoten sind immer Krücken. Und es ist ja auch rein rechtlich nicht ganz unproblematisch, Sonderrechte für eine Menschengruppe einzuführen. Ich habe also ein durchaus kritisches Verhältnis zur Quote. Aber die letzten Jahrzehnte vergeblichen Argumentierens und Bittens in Politik wie Wirtschaft haben uns belehrt: Es geht nicht ohne Quote. Führen wir sie also ein – und hoffen, dass sie bald überflüssig wird.

Alice Schwarzer am Rednerpult der 17. Karlsruher Gespräche: In ihrem Vortrag widmete sich die Feministin den Rechten der Frauen in islamischen Ländern. (Foto: Maren Müller)
Alice Schwarzer am Rednerpult der 17. Karlsruher Gespräche: In ihrem Vortrag widmete sich die Feministin den Rechten der Frauen in islamischen Ländern. (Foto: Maren Müller)

Ihre Rede bei den Karlsruher Gesprächen handelte von der Unterdrückung der Frauen in islamisierten Ländern wie dem Iran. Warum scheinen es islamistische Staaten „einfacher zu haben“, Frauen bewusst zu unterdrücken?

Das ist eine reine Machtfrage. Zum einen gelten in den islamischen Staaten, die den Gottesstaat und die Scharia eingeführt haben oder für erstrebenswert halten, Frauen als Menschen zweiter Klasse: juristisch wie gesellschaftlich. Sie haben keine vollen Bürgerrechte und sind laut Familienrecht relative Wesen: abhängig von Vater, Bruder oder Ehemann. Zum zweiten regiert in diesen Gesellschaften die nackte Gewalt. Nicht nur über die Frauen, über alle, die nicht mindestens fünfmal am Tag auf die Knie fallen. Nur mit Gewalt kann zum Beispiel der Iran seine Schreckensherrschaft aufrecht erhalten. Ein Teufelskreis, zu dessen Durchbrechung der Westen bisher wenig beigetragen hat. Im Gegenteil. Leider.

Sie haben davon gesprochen, dass verunsicherte Männlichkeit ein Nährboden für Frauenfeindlichkeit sein kann. Wie kann es gelingen, die Rolle der Frau zu stärken, ohne die des Mannes dabei zu schwächen?

Eine gute Frage. Und eine schwierige. Solange Männlichkeit damit identifiziert wird, dass ein „echter“ Mann der „echten“ Frau überlegen sein muss – stärker sein, mehr verdienen, nie weinen etc. – solange haben wir eine Schieflage. Für Männer wie Frauen. Ich meine, wir sollten uns in der Mitte treffen: einfach Menschen sein, Individuen eben mit wechselnden Stärken und Schwächen. Und in die Richtung muss auch die Erziehung der Jungen und Mädchen gehen: also bei beiden keine Bestärkung der jeweiligen eh schon tief geprägten Männlichkeit bzw. Weiblichkeit, sondern eine Erziehung zur Menschlichkeit.

Sie fordern die Frauenrechtlerinnen in unserer heutigen Zeit dazu auf, stolz auf ihre feministischen Vorgängerinnen zu sein. Inwiefern erfüllt es Sie selbst mit Stolz, wenn Sie auf Ihre bisherigen Verdienste zur Stärkung der Frauenrolle zurückblicken?

Wenn man anfängt, stolz auf sich selber zu sein, sollte man sich gleich begraben lassen. Sicher, mit einigem, was ich erreicht oder überlebt habe, bin ich zufrieden. Aber gleichzeitig sind für mich die Dinge im Fluss. Gerade ist die aktuelle EMMA erschienen – schon stecke ich in der Planung für die nächste Ausgabe. Und nebenher bereite ich die Herausgabe eines Buches über den „Sexismus im Beruf“ vor („Es reicht!“ erscheint Mitte April bei Kiepenheuer & Witsch). Sie sehen: Eher Ausblick als Rückblick.

Weitere Informationen: www.aliceschwarzer.de

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Zwei Frauen haben das erste Wort

Am Freitag, 22. Februar 2013, starten die 17. Karlsruher Gespräche. International und interdisziplinär kommen sie daher – am Eröffnungsabend auch gerne streitbar, wie Amin Mir Falah beschreibt.

Tradition und Moderne stehen in unserer heutigen Gesellschaft im Widerspruch. „Unser Leben entrinnt uns, die Flüchtigkeit der Zeit fragmentiert unser Dasein in immer schnellere Episoden“, hat der Soziologie Zygmunt Bauman festgestellt. Die Kurzlebigkeit sozial-gesellschaftlicher Prozesse stellt die Menschen vor immer kurzfristigere Entscheidungen. Dabei bleibt kaum Zeit, traditionelle Wertvorstellungen zu berücksichtigen. Die fortschreitend globalisierende Moderne erschwert die Rückbesinnung auf herkömmliche Alltagsroutine.

Unter dem Motto „Zwischengesellschaft – Tradition und Moderne im Widerspruch“ finden vom 22. Bis 24. Februar 2013 die 17. Karlsruher Gespräche statt. Das Zentrum für Angewandte Kulturwissenschaft und Studium Generale (ZAK) eröffnet die dreitägige Veranstaltung, die zahlreiche Vorträge, Diskussions- und Gesprächsrunden umfasst, am Freitag, den 22. Februar 2013, im SpardaEvent-Center um 19:30 Uhr.

Analytischer Diskurs ergänzt durch kulturelle Vielfalt

Angesehene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Vertreterinnen und Vertreter des öffentlichen Lebens aus aller Welt erörtern bei den Karlsruher Gesprächen Fragen nach der Beziehung zwischen Moderne und traditionellen Werten. Sie beschäftigten sich mit den dialektischen Kräften und Zerreißproben einer „Zwischengesellschaft“, die sich darum bemüht, Tradition und Moderne in Einklang zu bringen. Begleitend dazu bereichern literarische, filmische und dramaturgische Aufführungen von Schriftstellern und Regisseuren den analytischen Diskurs.

Die Rolle der „modernen“ Frau

Shinkai Karokhail und Alice Schwarzer zur Gast bei der 17. Karlsruher Gesprächen (Bild: ZAK)
Shinkai Karokhail und Alice Schwarzer zur Gast bei der 17. Karlsruher Gesprächen (Bild: ZAK)

Nach einleitenden Begrüßungsworten von Repräsentanten der Stadt und des ZAK wird am Eröffnungsabend die Journalistin, Schriftstellerin und aktive Frauenrechtlerin Alice Schwarzer – bekannt als Herausgeberin der Zeitschrift EMMA – das Rednerpult mit einem Beitrag zum Thema „Frauen zwischen Tradition und Moderne“ einweihen.

Anschließend berichtet Shinkai Karokhail, afghanische Parlamentsabgeordnete und Gründungsmitglied des Afghan Women’s Educational Center (AWEC), von ihren Erfahrungen als Feministin und der Frauenrolle in ihrem muslimischen Heimatland.

In Zeiten schwelender Sexismus-Debatten und Diskussionen um Frauenquoten bieten die beiden Aktivistinnen Einblicke in die Erfahrungen, Bemühungen und Wünsche der „modernen“ Frau im 21. Jahrhundert. Können wir in Europa eine tatsächliche Gleichberechtigung der Geschlechter beobachten? Kann die Rolle der Frau in Ländern wie Deutschland als Vorbild für Frauenbewegungen außerhalb der westlichen Kultur dienen? Die Vorträge der beiden Rednerinnen wollen hierzu passende Antworten liefern.

Feurige Flamenco-Sounds

Der spanische Pianist David Bermudez begleitet den Abend musikalisch. Der in Barcelona geborene Klavierspieler hat sich als musikalischer Leiter der argentinischen Produktionsfirma RGB einen Namen in der Kunst des Flamenco-Piano gemacht. Seine einzigartigen Kompositionen verbinden die Leidenschaft des spanischen und latein-amerikanischen Flamencos mit den Klängen klassischer Piano-Musik.

Weitere Infos zum Eröffnungsabend gibt es auf der ZAK-Homepage. Eine Anmeldung (ebenfalls über die ZAK-Homepage) ist erforderlich.

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