Twitter, Blogs und Foren – Die Demokratie geht online

Bei den Wahlen im Iran 2008 ist das Internet zum Demokratiehelfer ausgerufen worden. Bei den Aufständen in Tibet gegen China ebenfalls. Aber kann das World Wide Web dem Anspruch an Demokratisierung gerecht werden?

„Ich bin bereit zum Märtyrertum“, twittert der iranische Präsidentschaftskandidat Mussawi. Die Wahlen im Iran 2009, die mit einem Wahlsieg von 63 Prozent der Stimmen für Ahmadinedschad enden, haben für Unruhen und Proteste im Land gesorgt.

Sie lenkten die weltweite Aufmerksamkeit auf eine Wahlfarce: Mehr als 100 Prozent der Bevölkerung soll in einigen Wahlkreisen abgestimmt haben. Ahmadinedschads Gegner wurden schon vor der Auszählung der Stimmen interviewt, was sie ihren Anhängern raten, sollten sie die Wahl verlieren. Die staatlichen Sender strahlten diese Aufzeichnungen direkt nach Verkündigung des Wahlergebnisses aus, um die Bevölkerung zu beruhigen.

Über das Internet verbreiteten die Iraner ihre Proteste gegen Wahlmanipulation in der ganzen Welt, sodass selbst in Vancouver Menschen auf die Straßen gingen. (Quelle: flickr, Vancouver is United4Iran /Human Chain - Iran Election Protest/ von Susan Gittins)

Doch die Menschen wollen nicht beruhigt werden. Sie wollen Gerechtigkeit. Überall im Land gehen sie auf die Straßen, ohne auf das Verbot der Regierung zu achten. Es kommt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die iranische Regierung unterbindet die Berichterstattung durch ausländische Medien. Das einzige Tor zur Welt für die Bevölkerung ist ihre Internetverbindung.

Twitter als Nachrichtenquelle

Und selbst die schränkt ihnen der Staat ein. Der Iran schirmt sich mit einer Firewall gegen den Rest der Welt ab. Er sperrt Seiten und verringert die Geschwindigkeit der Verbindung künstlich. Am Ende wirft die Regierung dem Ausland sogar einen Cyberkrieg vor: Regierungsseiten und Ahmadinedschads Blog werden angegriffen und zeitweise lahmgelegt.

Trotz der Zensur und des strengen Verbots halten die Demonstranten Kontakt zueinander und zum Ausland. Auffällig viele der Tweets sind in Englisch abgefasst, nicht in Farsi. Und sie stammen alle aus den Reihen der Oppositionellen. Es sind die einzigen Nachrichtenquellen aus dem Land.

Ohne Journalisten vor Ort sind belegte Fakten unmöglich zu bekommen, doch im Iran droht eine Revolution. Übernehmen die ausländischen Medien die einzigen Meldungen aus dem Iran nicht, unterstützen sie damit die Zensur. Andererseits vermitteln sie so das einseitige Bild eines Aufstandes, dessen genaue Ausmaße und Fronten sie nur aus Blogs, Twitter und einigen, durch das engmaschige Netz der iranischen Filter gedrungenen Videos kennt. Gerüchte und Übertreibungen mischen sich mit harten Fakten. Der Einfluss der regierungskritischen Blogger ist gewaltig.

Geschwätziger David gegen schweigenden Goliath

China ist da bereits ein Schritt weiter. Die Regierung ersetzte Twitter durch einen chinesisch kontrollierten Konkurrenzdienst. Für den Moment schuf nicht mehr die Meldung die Aufmerksamkeit sondern die Aufmerksamkeit erzwang die Meldung. Während der Aufstände in Tibet 2008 gelangten Informationen trotzdem in alle Welt. Die Tibeter zwitscherten wie ein Schwarm Spatzen und beeinflussten durch ihre Berichterstattung die Medien, während China ausländischen Reporter aussperrte.

Die Zensur in China ist kein Geheimnis. Im Internet kann man überprüfen, ob die eigene Website von der Chinese Great Firewall herausgefiltert wird. (Quelle: flickr, Great Firewall of China von Ken Ishikawa)
Die Zensur in China ist kein Geheimnis. Im Internet kann man überprüfen, ob die eigene Website von der "Chinese Great Firewall" herausgefiltert wird. (Quelle: flickr, "Great Firewall of China" von Ken Ishikawa)

Es gab sogar Situationen, in denen das Internet die traditionellen Medien in China öffentlich zur Aufgabe gezwungen hat: 1998 kam es zu Übergriffen an chinesisch stämmigen Bürgern in Thailand. Die offizielle Berichterstattung schwieg über die Vorfälle, doch im Internet kursierten Informationen und Gerüchte.

Immer mehr Menschen gingen online, um sich über die Geschehnisse zu informieren. Foren stopften das Informationsloch, das fehlende offizielle Meldungen gerissen hatten. Als eine chinesische Website eine Solidaritätskampagne startete und das Hongkonger Phoenix-TV darüber berichtete, mussten die staatlichen Medien nachziehen, um ihr Gesicht nicht zu verlieren.

Der Grundpfeiler der chinesischen Politik „Was die Medien nicht berichten, gibt es nicht“ geriet dadurch deutlich ins Wanken. Für den Moment schuf nicht mehr die Meldung die Aufmerksamkeit sondern die Aufmerksamkeit erzwang die Meldung.

Regieren und das World Wide Web

Heute hat der chinesische Staat das Potential des Internet erkannt. Er kann seine Bevölkerung nicht aus dem Netz heraushalten, also steuert er ihren Zugriff auf dieses neue Massenmedium. Es gibt offizielle Blogs, in denen jeder seine Meinung veröffentlichen kann. Ob die Einträge echt und frei von Zensur sind, ist fraglich.

Menschen, die sich staatlicher Manipulation in privaten Blogs widersetzen wollen, müssen damit rechnen, diskriminiert und festgenommen zu werden. Regierungskritische Websites werden oft innerhalb weniger Tage vom Netz genommen.

Woher soll man also wissen, ob die staatlichen Medien die Wahrheit verbreiten? Vielleicht streuen sie von politischen oder wirtschaftlichen Interessen gelenkt Unwahrheiten und ignorieren unangenehme Themen?

Print, Radio und Fernsehen lassen sich leicht beeinflussen. Das Internet dagegen lässt sich nicht kontrollieren. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel bemerkte: „Durch das Internet ist das Regieren schwieriger geworden.“ Es ist nicht durch einen Regierungsapparat zu stoppen, ja nicht einmal einzuschränken, wenn man gelernt hat, Online-Barrikaden zu umschiffen. Viele Menschen schleusen sich inzwischen an der virtuellen Hafenmauer Chinas oder des Irans vorbei in das globale Meer der Informationen.

Ob das Internet bei all seiner Freiheit auch eine demokratiefördernde Wirkung entfalten kann, muss sich aber erst noch beweisen. Dass es Menschen solidarisiert und ihnen ein gewisses Maß an Macht verleiht, zeigt sich jedenfalls deutlich. Einer der Grundsteine der Demokratie ist damit gelegt.

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Twitter: Blau und doch vielfarbig

Twitter ist ehrlich, verlogen, heikel und langweilig zugleich. Steven Colling entwirft Karikaturen, die den Microblogging-Dienst vielschichtig darstellen und vorgefertigte Meinungen zu Twitter aufrütteln.

Dass der 2006 ins Leben gerufene Mikroblogging-Dienst stark polarisiert, ist nichts Neues. Kolumnisten schreiben, wie toll Twitter doch sei, wie schlecht doch Leute sind, die Twitter toll finden und wie schlecht Leute sind, die Leute, die Twitter toll finden, schlecht finden. Ich möchte mich hier nicht einreihen, denn ich finde es grundsätzlich toll, bei einem Internetphänomen wie Twitter dabei zu sein und finde es nicht schlecht, dass Leute einen Weg gefunden haben, nervigen Smalltalk in einen Bereich zu verlegen, den ich ignorieren kann.

Twitter ist heikel
Twitter ist heikel
Twitter ist ehrlich
Twitter ist ehrlich

Die vier Karikaturen zeigen die Gegensätze von Twitter auf. Sei es die Ehrlichkeit, dass Protestierende im Iran die Internetzensur umgehen und die Vorwürfe verfälschter Wahlergebnisse aussprechen. Die Opposition organisierte mit Twitter ihre Proteste und dokumentierte die Straßenschlachten.

Dagegen werden in den USA mittels Twitter, Followers politische Initiativen vorgespielt. Es wäre außerdem doch unsinnig, sich als Sicherheitsbehörde zur vorbeugenden Informationsbeschaffung nur auf Telefongespräche zu beschränken. Die Ergiebigkeit Twitters hinsichtlich privater Angelegenheiten ist kaum zu übersehen. Fleißige Menschen twittern ihr aktuelles Gewicht, bzw. grob verallgemeinert den berühmten Sack Reis aus China – und für China scheint sich die USA schließlich zu interessieren. Umgekehrt gesehen ist es nicht anders. Wie ehrlich kann ein Medium sein, wenn eine Unterscheidung zwischen echt und unecht nur unter Aufwand möglich ist?

Jenseits des Reissacks bietet Twitter aber auch heikle Momente, die durchaus zum Nachdenken anregen. Sei es der Chirurg, der live aus dem OP-Saal twittert oder der Bezirksstaatsanwalt, der verhaftete – aber (noch) nicht verurteilte – alkoholisierte Fahrer per Twitter samt Namen öffentlich anprangert. Dass Wahlergebnisse vor offizieller Bekanntgabe veröffentlicht  werden, ist ebenso fragwürdig.

Ein Jemand schrieb über Twitter, dass Twittern wie Pupsen sei: Es erleichtert den, der es macht und der Mehrwert für andere tendiert grundsätzlich gegen Null.

Twitter ist langweilig
Twitter ist langweilig
Twitter ist verlogen
Twitter ist verlogen

Da bleibt nur zu hoffen, dass vor schierer Erleichterung der blaue Vogel nicht noch grün wird, denn ich bin es schon – und zwar vor Neid auf den Gehaltscheck der Erfinder.

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