Mit der Dokumentation „Afghanische Frauen am Steuer“ von Sahraa Karimi startete die Arte- Filmnacht der 17. Karlsruher Gespräche. Spannende Dokus und überraschende Reportagen standen auf dem Programm. Johanna Fischer war da und fasst den Abend zusammen.
„Das kann mir keiner mehr nehmen!“, sagt die 30-jährige Soheyla stolz in die Kamera. Gemeint ist damit ihr Führerschein, den die Afghanin trotz aller Widrigkeiten gemacht hat. Autofahren ist für sie gleichbedeutend mit Freiheit. Sie erzählt von ihrem Traum: Ein Auto und eine endlose Straße vor sich. Niemand der sie einschränkt. Nur sie und ihr Auto. Die absolute Freiheit.
Die Dokumentation begleitet vier Frauen auf ihrem Weg zum Führerschein. Eine Etappe auf dem Weg zur Emanzipation. Die Frauen kommen aus völlig verschiedenen Gesellschaftsschichten. Malihe, die Ärztin, die nicht mehr ihren Nachbarn fragen will, ob er sie zur Arbeit fährt, wenn ihr Mann nicht zuhause ist. Sodeje, deren Mann im Krieg ein Bein verloren hat und die einen Job sucht um ihre neunköpfige Familie zu unterstützen. Sina, die Lehrerin und Soheyla, eine alleinerziehende Mutter, die sich den Traum vom Führerschein schon verwirklicht hat.
Das Musical von der Verdammnis
Revolutionär geht es weiter mit „Missionare im Gleichschritt – die Jesus Revolution Army“ einer Dokumentation von Britta Mischer und Haike Stuckmann. Begleitet werden junge Menschen während ihrer Ausbildung zu Missionaren. Der Alltag ist militärische organisiert. Sechs Uhr: Aufstehen. Noch vor dem Frühstück eine Stunde Meditation mit Gott. Nach dem Frühstück drei Stunden Tanztraining für die anstehende Konzertreise durch ganz Europa. Hier führen die Missionare ihr Musical „The End of the Ages“ auf. Prophezeit wird den Zuschauern die Verdammnis. Die einzige Rettung: Jesus Christus. Am Ende der Vorstellung sieht man weinende Kinder, die erleichtert sind, dass Jesus sie retten wird.
Vier Monate dauert die Ausbildung zum Missionar, danach kommen acht Monate Missionarsarbeit dazu. Umsonst ist das ganze natürlich nicht: 750 Euro pro Monate sind von den Teilnehmern zu entrichten. Stephan Christiansen, der Gründer der Jugendbewegung, zieht die Jugendlichen bei seinen Auftritten in seinen Bann. Man sieht Anhänger die im Gottesdienst vom heiligen Geist beseelt, unbekannte Wörter von sich geben. Bei aller Anstrengung modern und jugendlich zu erscheinen, ist der Kern der religiösen Bewegung eine fundamentale Auslegung der Bibel. Für Homosexualität, Sex vor der Ehe oder gar die Evolutionstheorie ist hier kein Platz.
Erst häkeln dann beichten
Für eindeutig mehr Sympathien im Publikum sorgen „Sündige Maschen made in Polen“. Dorothe Dörholt führt die Zuschauer in das polnische Bergdorf Koniaków. Weltweit bekannt für sein traditionelles Handwerk in Form von gehäkelten Tischdecken. Aber die Tischdecken verkaufen sich nicht mehr und die Frauen des Dorfes waren gezwungen auf andere Weise das Überleben ihrer Familien zu sichern. „Stringis“ lautet die sündige Antwort auf das Problem. Frauen jeden Alters häkeln hier inzwischen Unterwäsche und verschicken sie in die ganze Welt. Und sie passen sich ihrer Klientel an. Große Größen für die USA, kleine für Japan.
Die Älteren des Dorfes sehen das nicht gern – vor allem die Männer. Für den Papst hätten sie gehäkelt, ihre Tischdecken liegen in Königshäusern und jetzt bedecken sie Hintern, empört sich der Ehemann einer 75-jährigen Stringishäklerin. Trotzdem übernimmt er inzwischen die Hausarbeit, während seine Frau häkelt. Die Frauen häkeln weiter, auch wenn manch eine nach jedem fertigen „Stringi“ erst mal zur Beichte geht.
Pop Islam steht als nächstes auf dem Programm. Die Dokumentation von Ismail Elmokadem aus dem Jahre 2010 zeigt den steinigen Weg des religiösen Musiksenders „4Shbab“. Kann man moderner Musikliebhaber und trotzdem ein guter Muslim sein? Das ist die Frage, der die Dokumentation nachgeht. Der Gründer des Musiksenders ist davon fest überzeugt. Stößt dabei aber immer wieder auf Widerstand von religiösen Würdenträgern. Aber er kämpft weiter für seine Idee, auch wenn er sich manchmal fragt: „Wenn Gott allmächtig ist, warum macht er es mir dann nicht ein bisschen leichter?“
Die Suche nach der verlorenen Zeit
Wen diese Eindrücke hungrig gemacht haben, der konnte sich im Foyer bei Suppe, Brot und Wein beim vorgezogenen Mitternachtsimbiss stärken. Um Mitternacht ging die Filmnacht mit „Speed- Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ in die letzte Runde. Der Dokumentarfilmer Florian Opitz hat sich die Frage gestellt, warum er immer weniger Zeit hat. Auf der Suche nach Antworten begegnet er Zeitmanagement-Gurus, Burnout-Experten oder Zukunftsforschern. Als Gegenpol besucht er unter anderem die Bergbauernfamilie Batzli im Berner Oberland oder den Minister für Bruttonationalglück in Bhutan. Die Lösung, auf die Florian Opitz am Ende kommt, ist eigentlich ganz unkompliziert: Einfach mal öfter Rechner und Smartphone ausschalten.