Das Spiel der Freiheit

Prof. Volker Demuth ist Essayist, Medienwissenschaftler und arbeitet zurzeit als freier Schriftsteller. In diesem Jahr erschien sein Werk „Stille Leben“. Am 24. Februar war er Gast bei den 17. Karlsruher Gesprächen. Sarah Müller sprach mit ihm über Religion, Moderne und die Gegenwart als neue Zukunft.

Prof. Volker Demuth bei den 17. Karlsruher Gesprächen (Foto: Maren Müller)
Prof. Volker Demuth bei den 17. Karlsruher Gesprächen (Foto: Maren Müller)

„Prof. Demuth, wie geht es Ihnen als Gast der Karlsruher Gesprächen 2013?“

Volker Demuth: „Es ist eine ehrenvolle Aufgabe, hier mit an einer Diskussion teilzunehmen, die ein sehr aktuelles Problem versucht neu zu beschreiben – unter dem Motto ´die Zwischengesellschaft. Tradition und Moderne im Wiederspruch.` Es ist kein neues Thema, aber vielleicht gewinnen wir unter dem Titel neue Aspekte hinzu, die dann vielleicht helfen, die Gegenwart oder die Sicht auf unsere Gegenwart etwas klarer zu machen.“

„Stimmt, das Thema `Moderne und Tradition´ ist kein neues. Aber was genau verstehen Sie unter dem Begriff der Moderne? Und was ist die Zwischengesellschaft?“

Volker Demuth: „Eine mögliche Interpretation beruht auf der Beobachtung von Gesellschaften, die noch in dem Stadium sind, typische Prozesse der Moderne durchzuführen. Da kann man ein paar wichtige Punkte nennen, etwa die Entwicklung eines Rechtsbewusstseins, speziell des Rechts der Freiheit und der entsprechenden Individualrechte wie dem Recht der Meinungsfreiheit. Das Zweite ist, dass wir den Begriff einer für alle verbindliche Wahrheit problematisieren und diese einem Begriff von Wahrheit gegenüberstellen, der auf dem Konzept von Wissen und Wissenschaft beruht. Jenes ist forschend und geht davon aus, dass wir es nicht besitzen, sondern dass wir es irgendwann vielleicht erreichen können. Der Prozess ist nie abgeschlossen: Niemand hat in diesem Bereich die Wahrheit. Viele der alten Systeme beanspruchen die Wahrheit zu besitzen. In einem modernen Konzept löst sich dies jedoch auf. Der dritte Punkt ist, der Bereich der Öffentlichkeit. Hier bekommen auch andere Modernisierungsprozesse ihre Bühne. Hier wird das Spiel der Differenz durchgeführt. Der Prozess der Moderne ist immer unabschließbar und wird immer wieder neu verhandelt werden müssen. Der Begriff der Zwischengesellschaft beschreibt eben das Dazwischenstehen und Neubedenken der Situation, die da ist, und eines vielleicht besseren Entwurfes.“

„Das Spiel der Differenz – meint das auch, dass wir nicht immer alles ganz ernst nehmen müssen?“

Volker Demuth: „Zu diesem Spiel gehört in der Tat ein souveräner Umgang mit unseren Meinungen. Wir dürfen uns ohne weiteres stets selbst die Frage stellen, weil wir immer davon ausgehen müssen, dass wir morgen schon eine andere Sicht von den Dingen haben als noch heute. Das heißt, es entsteht eigentlich ein sehr schöner, kultureller Spielraum: wir führen durchaus Ironie, Polemik, auch eine Art von Theatralik in unsere eigene Lebensführung ein. Wir können ganz unterschiedliche Lebensstile fast zur gleichen Zeit ausagieren. Wir können in einer ironischen Weise, eigene Positionen vertreten und sie dann wiederrum auch in Frage stellen. Das gehört zu der Möglichkeit dieses freien Lebens dazu.“

„Sie meinen mit dem Begriff des Spiels also auch eine Art von Selbstreflexion in der Moderne?“

Volker Demuth: „Richtig. Die Moderne bedenkt sich permanent selbst. Ich glaube, um auf den Begriff der Zwischengesellschaft zurückzukommen, dass wir momentan in der westlichen Kulturrealität dort angelangt sind, wo wir neu bedenken müssen, wie wir dieses Spiel der Differenz aufstellen. Zu diesem modernen Spiel gehörte immer unser Glaube, die Zukunft müsse sich von der Gegenwart abgrenzen und unterscheiden. Daraus hat die Zukunft ihren Glanz gewonnen. Die Faszination, die von der Zukunft ausging und die dann die Gegenwart mit ihrer Kraft versehen hat, ist, glaube ich, verbraucht. Wir alle, wenn man vielleicht etliche Techniker oder Technikwissenschaftler außen vor lässt, sind eigentlich nicht mehr sehr erpicht auf die Zukunft. Wenn man sieht, was uns da versprochen wird, von der Nanotechnologie über die Mensch-Computer-Schnittstellenentwicklung bis hin zu Tissue Engineering: Die Zukunft macht uns nicht wirklich Spaß. Seit gut einem Jahrzehnt reagiert die Kultur darauf. Und jetzt beginnt ein neues Spiel: Nämlich Zwischengesellschaft so zu beschreiben, dass sie gar nicht mehr in die Zukunft will, sondern dass sie immer in diesem Dazwischen bleibt.“

„Die Zwischengesellschaft ist ihrer Meinung nach heutzutage also nicht mehr zukunfts-, sondern gegenwartsbezogen?“

Volker Demuth: „Genau. Die Gegenwart selbst wird als ein Zustand aufgefasst, der von einer Zwischengesellschaft bestimmt wird, die sich auch im Grunde als sehr positiv entwickelt. Ein Indiz dafür könnte sein, dass wir seit einer gewissen Zeit nicht mehr die Avantgarde haben. Das Konzept der Avantgarde ist weitgehend gestorben. Was wir haben sind Retrospektive. Das heißt, wir nehmen die Tradition in das Spiel der Differenz hinein. Wir ziehen Trachten an und gehen aufs Oktoberfest, ohne konservativ zu sein. Wir spielen sozusagen durch rekursive Aufnahmen von Vergangenheitsmöglichkeiten und Gegenwartsmöglichkeiten das Spiel der Zwischengesellschaft.“

„Bei den Karlsruher Gesprächen stand auch das Thema Religion im Programm. Welche Rolle weisen Sie nicht nur der Tradition, sondern der Religion in der Moderne zu? Wie wichtig ist der Glaube in der heutigen Zeit?“

Volker Demuth: „Zunächst einmal ist für mich erstaunlich, dass in diesen drei Tagen hier sehr viel von Religion die Rede war – in einem Maß, das ich schon lange nicht mehr erlebt habe. Das stimmt mich ein Stück weit bedenklich, denn Religion ist immer Teil einer modernen Gesellschaft gewesen. Religion an sich ist noch nie traditionell gewesen und auch überhaupt nicht vormodern. Religion gehört zu jeder Gesellschaft, die sich als modern definiert, und zwar deshalb, weil auch Religion in dem Feld des Spiels der Freiheit seinen akzeptierten Platz hat. Man kann konservativer oder auch aufgeschlossener in seinem Religionsverständnis sein. Insofern sehe ich die Religion immer als einen wichtigen Teil einer Gesellschaft, aber eben auch als etwas, über das wir in einer offenen Weise diskutieren müssen.

„Haben sie eine persönliche Verbindung zur Religion?“

Volker Demuth: „Ja. Ich stamme aus einem süddeutschen, stark christlich-katholischen Elternhaus. Klassischerweise war ich religiös engagiert und habe kurzzeitig auch mal ein Priesterseminar besucht, um die Priesterlaufbahn einzuschlagen Was ich jedoch ganz schnell aufgegeben habe, nachdem ich die Realität dort kennen lernte. Ich habe mich dann dem Studium der Literatur und der Philosophie zugewendet. Hier sah ich auch schnell die Differenz: In der Philosophie versuche ich offen zu denken. Sobald ich innerhalb eines religiösen Systems bin, dann habe ich schon ein geschlossenes Interpretationsmodell vor mir liegen, gegen das ich dann nur noch ein Stück weit angehen, was ich aber nicht vollständig über Bord werfen kann.“

„Zum Abschluss würde ich gerne wissen, wie Ihnen die Karlsruher Gespräche 2013 insgesamt gefallen haben.“

Volker Demuth: „Für mich waren es drei sehr interessante Tage mit vielen Denkanstößen. Es gab viele interessante Vorträge und Diskussionen. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass gerade die Fragestellungen der Diskussionsrunden etwas offener gestaltet und nicht auf ein spezielles Thema fixiert gewesen wären.“

„Ich bedanke mich für ihre Zeit!“

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Islam und Popmusik

Lassen sich muslimischer Glaube und westliche Moderne im Alltag vereinbaren? Der Film „Pop Islam“ zeigt einen Konflikt in dem sich derzeit viele Muslime befinden. Die Dokumentation läuft bei der Arte-Filmnacht während der Karlsruher Gespräche. Irina Brombacher stellt sie vor.

Moderner Islam: Das Model Yasmine Mohsen und ihre TV-Sendung (Bild: ZDF)
Moderner Islam: Das Model Yasmine Mohsen und ihre TV-Sendung (Bild: ZDF)

Der kanadisch-ägyptische Regisseur Ismail Elmokadem thematisiert in seiner Doku „Pop Islam“ aus dem Jahr 2010 wie junge Muslime ihre Religion mit einem modern geführten Leben in Einklang bringen wollen. Das Filmteam begleitet das ägyptische Topmodel Yasmine Mohsen und Ahmed Abu Haiba, den Gründer des ersten muslimischen Musiksenders „4Shbab“ in Kairo. Beide versuchen auf unterschiedliche Weise ihren Lebensstil mit dem Glauben zu vereinbaren und ihren Mitmenschen einen Weg zwischen strikt antimodernistischem und liberal-verwestlichtem Islam zu zeigen.

„4Shbab“ bedeutet übersetzt „für die Jugend“ und genau diese soll sich von den Videoclips zu arabischen Popsongs mit religiösen Texten angesprochen fühlen. Der Sender, der sich selbst als die „neue Stimme des Islams“ bezeichnet, will mit den im westlichen Stil gedrehten Videos junge Muslime auf eine neue Weise ihrer Religion näher bringen. So handeln etwa die Lieder nicht von der Liebe zwischen Mann und Frau, sondern von der Liebe zu Allah.

Die Reaktionen auf das Projekt sind zweigeteilt. Während streng konservative Muslime jede Annäherungsform an westliche Lebensgewohnheiten ablehnen und den Sender als „Abklatsch von MTV“ verurteilen, kommt das Konzept bei der jüngeren Generation größtenteils gut an: Die Castingshow „Islamischer Popstar“ beispielsweise ist sehr erfolgreich. Trotzdem ist es ein langer Weg den Haiba und seine Mitarbeiter gehen müssen, um ihre Idee in einem Land, das nach wie vor sehr stark von religiöser Tradition geprägt ist zu behaupten.

Musik und Mode im Schatten des Glaubens

Auch Yasmine Mohsen, das erste verschleierte arabische Model, hat täglich mit Vorurteilen zu kämpfen. Einerseits verkörpert sie den Traum vieler junger muslimischer Mädchen, andererseits entfacht ihre Kombination aus Kopftuch, Jeans und High Heels heftige Diskussionen. Verschleierung und ein Job im Rampenlicht lassen sich, den Kritikern zur Folge, nicht vereinbaren. Der Zweck des Kopftuchs sei es schließlich Aufmerksamkeit von sich abzulenken. Mohsen sieht das anders, Modebewusstsein und Religiosität schließen sich ihrer Ansicht nach nicht aus.

Doch vor allem möchte die 26-Jährige den vielen kopftuchtragenden Frauen Ägyptens eine Stimme geben, ihr Selbstbewusstsein stärken und Intoleranz bekämpfen. Der Traum der „Gemäßigten Muslima“, wie sie sich selber nennt, ist es dies als Moderatorin in einer Fernsehshow zu tun. Schließlich bekommt sie tatsächlich die Sendung „Die Jugend hat das Wort“ bei 4Shbab angeboten.

Die von ZDF und Arte produzierte Dokumentation bietet einen interessanten Einblick in die aktuellen Entwicklungen Ãgyptens –  in eine Welt die sich momentan, wie kaum eine andere, im Umbruch befindet. Mit ihren innovativen Ideen wollen die beiden Protagonisten der Jugend einen moderaten Weg aufzeigen, wie sich Offenheit und Toleranz mit traditioneller Kultur und Religion verbinden lassen.

Der Film polemisiert nicht. In einem ruhigen, sachlichen Stil beleuchtet er den Konflikt zwischen konservativen Muslimen und jungen Menschen, die eine neue Richtung einschlagen wollen. Der westliche Zuschauer lernt durch diesen Film zum einen den Alltag der Menschen kennen, zum anderen beseitigt die Dokumentation das eine oder andere Vorurteil. Deutlich wird, dass es sich beim „Pop Islam“ um eine neue friedliche Bewegung handelt, mit der sich viele junge Muslime identifizieren.

Ismail Elmokadems Dokumentation hat in dieser Hinsicht also vor allem eine aufklärende Funktion. Sie informiert über eine neue, vom Westen weitgehend unbemerkte, Jugendkultur, deren Weltanschauung eine echte Alternative zum Reaktionären, gar zum Extremismus, darstellt.

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