Über Statistiken und den globalen Kollaps

Brauchen wir neue moralische und ethische Standards in Zeiten der Globalisierung? Gibt es positive Entwicklungen? Welche Rolle spielen Statistiken bei der Erfassung der globalen Wirklichkeit? Wie wirkt sich die Globalisierung in Schwellenländern aus? Mit diesen Fragestellungen haben sich Experten beim Symposium der 18. Karlsruher Gespräche befasst. Ümmü Susan berichtet über die Gespräche am zweiten Vormittag. (mehr …)

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Welt(markt)gesellschaft im Leinwandformat

Der globale Marktplatz boomt. Doch das internationale Wetteifern um Ressourcen bleibt nicht ohne Folgen. Anlässlich der 18. Karlsruher Gespräche veranstaltet das ZAK in Kooperation mit ZKM  und ARTE am 15. Februar 2014 eine Filmnacht, die das Thema Globalisierung von allen Seiten beleuchtet. Sannah Mattes berichtet.

Die ARTE-Filmnacht über Steuerflucht, Gesundheitstourismus, den neuen Agrarkolonialismus und Google. (Bild: Felix Grünschloss/ZAK)
Die ARTE-Filmnacht über Steuerflucht, Gesundheitstourismus, den neuen Agrarkolonialismus und Google. (Bild: Felix Grünschloss/ZAK)

Den Anfang macht Xavier Harels Dokumentarfilm Zeitbombe Steuerflucht – Wann kippt das System? (ARTE France 2013), der sich bildreich und humorvoll mit dem brisanten Thema auseinandersetzt, ohne dabei die kritische Distanz zu verlieren. Auf den Spuren des „größten Raubzugs unserer Zeit“ bereist Harel Steuerparadiese, enthüllt die Steuersparmodelle der Weltmarktriesen und zeigt am Beispiel Griechenlands, welches Ausmaß die Konsequenzen des verantwortungslosen Handel(n)s annehmen können. Der Film bietet einen gleichermaßen faszinierenden wie schockierenden Einblick in den lukrativen Wirtschaftszweig Steuerflucht, der sinnbildlich für das Versagen der Globalisierung steht.

Globalisierung total beschreibt auch Alexis Marants Dokumentarfilm Dritte Welt im Ausverkauf (ARTE France 2010). In Folge des demografischen Wandels und der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrisen verschärft sich das Problem der globalen Ressourcenknappheit. Es beginnt ein Wettlauf von Investoren aus Schwellen- und Industrieländern um die besten Agrarflächen. Doch das internationale Monopoly fordert Opfer. Die Leidtragenden sind vor allem die Ärmsten der Armen. Marant nimmt uns mit auf eine eindrucksvolle Reise durch drei Kontinente, die den Handel mit Kultur- und Lebensräumen veranschaulicht.

Anhand verschiedener Patientenschicksale untersucht Wolfgang Luck in seiner Dokumentation Mein Bypass aus Bangkok – Das Geschäft mit dem Gesundheitstourismus (ARTE/ZDF 2009) den Einzug der Globalisierung ins Krankenzimmer. Was in den 1980er Jahren mit Schönheits-OPs begann, hat sich längst zu einem Milliardengeschäft entwickelt. Mit Hightech-Methoden und Rundum-Sorglos-Paketen zum kleinen Preis wirbt der asiatische Medizinmarkt um neue Kunden – mit Erfolg, denn ungeachtet potentieller Risiken und Nebenwirkungen wächst die Nachfrage beständig. Ein Film, der zwar an die Nieren geht, aber nicht ans Herz, denn Lucks Suche nach der Ethik des Business muss erfolglos bleiben.

Das Schlusslicht der Reihe bildet Ben Lewis‘ Dokumentarfilm Google und die Macht des Wissens (ARTE/ZDF 2013), ein kritisches Porträt, das sich vor dem Hintergrund des Massendigitalisierungsprojektes ‚Google Books‘ mit dem Handel und der Konservierung von Daten und Wissensbeständen auseinandersetzt. Ausgehend von H.G. Wells‘ Zukunftsvision des globalen und allumfassenden Wissens- und Erinnerungsspeichers ‚World Brain‘, erörtert Lewis auf anschauliche Weise die Licht- und Schattenseiten von künstlicher Intelligenz und verselbständigtem Informationsmanagement.

Die Veranstaltung findet ab 19:30 Uhr im ZKM_Medientheater statt. Der Eintritt ist frei.

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Globalisierung aus kanadischer Sicht

„Living comfortably with diversity“ – mit diesem Motto zeigt  John Ralston Saul in seinem literarischen Werk am Beispiel seines Heimatlandes Kanada, dass kulturelle Vielfalt ohne soziale Spannungen  möglich ist. Am Samstag, 15. Februar 2014, spricht der Autor bei den Karlsruher Gesprächen. Ümmü Susan porträtiert den Schriftsteller.

Der Schriftsteller und PEN-Präsident John Ralston Saul (Bild: johnralstonsaul.com)
Der Schriftsteller und PEN-Präsident John Ralston Saul (Bild: johnralstonsaul.com)

Geboren in Ottowa, Ontario hat Saul nach seinem Universitätsabschluss in Politikwissenschaften und Geschichte zunächst die akademische Laufbahn eingeschlagen, die 1972 in einer Promotion mündete. Anschließend ist er  jedoch in die Wirtschaft gegangen, wo er unter anderem beim Aufbau des kanadischen Ölkonzerns PetroKanada im Vorstand mitwirkte.

Heute ist er einer der einflussreichsten intellektuellen Persönlichkeiten Kanadas. Seine Essays und Romane wurden in 22 Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet. Oft legt er bei Tabuthemen seine Finger auf offene Wunden  und stellt eingefahrene Denkmuster in Frage, die viele Prominente nicht einmal wagen offen anzusprechen. Seine Ideen haben auch international großen Einfluss und liefern wichtige Impulse für die Interpretation von aktuellen, politischen und wirtschaftlichen Ereignissen. In der renommierten US-amerikanischen Kultur-Zeitschrift Utne Reader ist John Ralston Saul als einer der wichtigsten 100 Denker und Visionäre aufgeführt.

Indigene Eigenheiten im Lande des Ahorns

In seinen Essays Reflections of a Siamese Twin (1998) und A fair country (2008) legt der Schriftsteller dar, dass sich die Einwanderer aus Europa im 15. Jahrhundert an den kulturellen Eigenheiten der Ureinwohner orientierten, mit den Töchtern der indigenen Stammesfürsten Nachkommen zeugten und die Vielzahl überlappender Gesellschaftsstrukturen, Sprachvielfalt  und multiplen Umgangsformen übernahmen und unbewusst weiterpflegten. Anders als in den USA hat sich unter der kanadischen Bevölkerung die multikulturelle Identität über Jahrhunderte in der Mentalität bewahrt und sich auf Institutionen und Niederschriften wie etwa in der Kanadischen Verfassung niederschlagen.

Nach Sauls Ansicht hat sich die Idee der europäischen Eroberung und der Erhalt einer monolithisch geformten Gesellschaft, die die gewaltsame Kolonialisierung und die Vertreibung der Ureinwohner in Reservate nach sich zog, weitläufig in den USA durchgesetzt. Die europäischen Einwanderer hatten bereits bei ihrer Ankunft in US-Gebieten unter Berufung auf die Prinzipien der Aufklärung und Rationalismus eine fertige Vorstellung, wie ein idealer amerikanischen Bürger im melting pot, dem Schmelztiegel aller europäisch-stämmigen Kulturen zu sein hat.

Kritik der globalen Ordnung

In seiner Schrift The Collapse of Globalism and the rebirth of nationalism (2005) kündigt Saul ein Ende der Globalisierung in naher Zukunft an. Die neoliberalen Wirtschaftssysteme, die stets danach streben effizient zu wirtschaften, führen dazu, dass eine Elite für weltweite Volkswirtschaften agiert und nicht scheut zugunsten von Banken, Staaten in den Bankrott zu treiben. Nach Einschätzung Sauls ist die erhoffte Unabhängigkeit nur bedingt eingetreten. Vielmehr steigt die  Abhängigkeit von Öl und weiteren Energiereserven.

Auffällig ist für Saul, dass die gegenwärtige globale Weltordnung alte Kolonialvorstellungen in einem neuen Gewand verkörpert Grundlegend findet er das Konstrukt des Nationalstaats nicht schlecht, sofern die demokratische Grundprinzipien und nationalstaatliches Denken nicht in Frage gestellt werden. Und sofern der Nationalgedanke nicht in Rassismus, Stigmatisierung und Ausgrenzung der Individuen ausufert.

Saul stellt unter anderem fest, dass der Aufstieg des Individualismus, nicht wie einst erhofft, zu einer größeren individuellen Autonomie und Selbstbestimmung geführt hat, sondern zu Isolation und Entfremdung.

Das Totalitäre im rationalen Denken

Der Schriftsteller warnt in seinen Werken The Unconscious Civilization (1995), Voltaire’s Bastards: The Dictatorship of Reason in the West (1992) und Equilibrium (2001) vor der Instrumentalisierung des Rationalen, das in die Diktatur der Vernunft münden kann. Dies ist dann der Fall, wenn rationale Denkstrukturen als kanonisierte Lesarten totalitäre Züge annehmen:Vor lauter selbstzerstörerischer Besserwisserei und Überlegenheitsgefühlen werten wir alternative und vor allem kritische Ansichten ab.

Nach Saul funktioniert Demokratie und Teilhabe nur im nahen Lebensmittelpunkt – wir sind letztlich allein verantwortlich für unsere Umgebung. Das steigende Selbstinteresse der Individuen und die Annahme, dass alles über den globalen Markt geregelt wird, signalisiert das Ende der Demokratie. Die Abgabe der Verantwortung an den liberalen Wirtschaftsmarkt und an andere wirtschaftliche Interessengruppen führt zu weniger politischen Teilhabe künftiger Generationen.

Als Menschenrechtsaktivist  setzt er sich seit 2009 als Präsident des internationalen PEN Clubs nicht nur für die Interessen der Publizisten ein, sondern macht in Tagungen und Vorträgen wie demnächst am 15. Februar 2014 bei den 18. Karlsruher Gesprächen auf die weltweit zunehmende Zensur und Redefreiheit sowie Repressionen gegen inhaftierte und verfolgte Schriftsteller und Journalisten aufmerksam.

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Gesprächs-Schnipsel

Was ist los bei den Karlsruher Gesprächen? Lesen Sie hier die Impressionen, Bemerkungen, Nettigkeiten und das Getuschel von der Veranstaltung am 14. bis 16. Februar 2014.


Über die vielen interessanten Gesprächspartner glatt die Gaumenfreuden verpasst, fast dehydriert und am Ende von der Putzkolonne raus gekehrt worden…gerade nochmal gut gegangen, die 18. Karlsruher Gespräche.

Ein hohes Durchschnittsalter unter den Besuchern der Podiumsdiskussion, obwohl das Thema eigentlich Jung und Alt interessieren sollte. (Robert)

Bei der szenischen Lesung des Stücks “Hohe Auflösung” im Staatstheater ist so gut wie kein Stuhl frei geblieben. Stimmung: Gespannt. (Konstantin)

König der Herzen und Lachmuskeln: Medienkünstler Hasan Elahi, führte anhand seines ‚digital body’ auf amüsante Weise die Paradoxie der totalen Transparenz im Netz vor – via Skype!

Ein so heikles Thema wie die politischen Umbrüche auf so eine humoristische Weise anzugehen ist, ja lustig. Ohne den Kern der Sache aus dem Blickpunt zu verlieren. „Hohe Auflösung“ (Konstantin)

Viel Meinung und Schlagabtausch, kein eindeutiges Ergebnis beim Symposium. Waren die Zuhörer so schlau wie vor den Vorträgen? Viele fragende Gesichter besonders bei den älteren Herrschaften. (Ümmü)

Gruselgänsehaut und quälende Stille bei Taslima Akhters bildgewaltiger Anklage der Missstände in Indiens Textilfabriken. (Sannah)

Die anschließende Diskussion an die szenische Lesung gestalten sich etwas langatmig. Den Teilnehmer gelingt es nicht unbedingt prägnante Fragen zu stellen. Durch die Übersetzung wird es dann kompliziert. (Konstantin)

Das Buffet war traumhaft lecker. Der Nachtisch ging innerhalb 10 Minuten aus. (Ümmü)

Simultanübersetzung schön und gut. Blöd nur, wenn man den Referenten ohne folgen will, aber durch die voll aufgedrehten Kopfhörer der anderen Besucher dennoch dazu gezwungen wird… (Sannah)

Auch wenn wetterbedingt ein Referent in den Staaten bleiben musste, konnte via Skype dennoch der Vortrag gehalten werden. Danke an die kompetente und zuverlässige Technik, die für einen reibungslosen Ablauf gesorgt hat. (Athanasios)

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Das Spiel der Freiheit

Prof. Volker Demuth ist Essayist, Medienwissenschaftler und arbeitet zurzeit als freier Schriftsteller. In diesem Jahr erschien sein Werk „Stille Leben“. Am 24. Februar war er Gast bei den 17. Karlsruher Gesprächen. Sarah Müller sprach mit ihm über Religion, Moderne und die Gegenwart als neue Zukunft.

Prof. Volker Demuth bei den 17. Karlsruher Gesprächen (Foto: Maren Müller)
Prof. Volker Demuth bei den 17. Karlsruher Gesprächen (Foto: Maren Müller)

„Prof. Demuth, wie geht es Ihnen als Gast der Karlsruher Gesprächen 2013?“

Volker Demuth: „Es ist eine ehrenvolle Aufgabe, hier mit an einer Diskussion teilzunehmen, die ein sehr aktuelles Problem versucht neu zu beschreiben – unter dem Motto ´die Zwischengesellschaft. Tradition und Moderne im Wiederspruch.` Es ist kein neues Thema, aber vielleicht gewinnen wir unter dem Titel neue Aspekte hinzu, die dann vielleicht helfen, die Gegenwart oder die Sicht auf unsere Gegenwart etwas klarer zu machen.“

„Stimmt, das Thema `Moderne und Tradition´ ist kein neues. Aber was genau verstehen Sie unter dem Begriff der Moderne? Und was ist die Zwischengesellschaft?“

Volker Demuth: „Eine mögliche Interpretation beruht auf der Beobachtung von Gesellschaften, die noch in dem Stadium sind, typische Prozesse der Moderne durchzuführen. Da kann man ein paar wichtige Punkte nennen, etwa die Entwicklung eines Rechtsbewusstseins, speziell des Rechts der Freiheit und der entsprechenden Individualrechte wie dem Recht der Meinungsfreiheit. Das Zweite ist, dass wir den Begriff einer für alle verbindliche Wahrheit problematisieren und diese einem Begriff von Wahrheit gegenüberstellen, der auf dem Konzept von Wissen und Wissenschaft beruht. Jenes ist forschend und geht davon aus, dass wir es nicht besitzen, sondern dass wir es irgendwann vielleicht erreichen können. Der Prozess ist nie abgeschlossen: Niemand hat in diesem Bereich die Wahrheit. Viele der alten Systeme beanspruchen die Wahrheit zu besitzen. In einem modernen Konzept löst sich dies jedoch auf. Der dritte Punkt ist, der Bereich der Öffentlichkeit. Hier bekommen auch andere Modernisierungsprozesse ihre Bühne. Hier wird das Spiel der Differenz durchgeführt. Der Prozess der Moderne ist immer unabschließbar und wird immer wieder neu verhandelt werden müssen. Der Begriff der Zwischengesellschaft beschreibt eben das Dazwischenstehen und Neubedenken der Situation, die da ist, und eines vielleicht besseren Entwurfes.“

„Das Spiel der Differenz – meint das auch, dass wir nicht immer alles ganz ernst nehmen müssen?“

Volker Demuth: „Zu diesem Spiel gehört in der Tat ein souveräner Umgang mit unseren Meinungen. Wir dürfen uns ohne weiteres stets selbst die Frage stellen, weil wir immer davon ausgehen müssen, dass wir morgen schon eine andere Sicht von den Dingen haben als noch heute. Das heißt, es entsteht eigentlich ein sehr schöner, kultureller Spielraum: wir führen durchaus Ironie, Polemik, auch eine Art von Theatralik in unsere eigene Lebensführung ein. Wir können ganz unterschiedliche Lebensstile fast zur gleichen Zeit ausagieren. Wir können in einer ironischen Weise, eigene Positionen vertreten und sie dann wiederrum auch in Frage stellen. Das gehört zu der Möglichkeit dieses freien Lebens dazu.“

„Sie meinen mit dem Begriff des Spiels also auch eine Art von Selbstreflexion in der Moderne?“

Volker Demuth: „Richtig. Die Moderne bedenkt sich permanent selbst. Ich glaube, um auf den Begriff der Zwischengesellschaft zurückzukommen, dass wir momentan in der westlichen Kulturrealität dort angelangt sind, wo wir neu bedenken müssen, wie wir dieses Spiel der Differenz aufstellen. Zu diesem modernen Spiel gehörte immer unser Glaube, die Zukunft müsse sich von der Gegenwart abgrenzen und unterscheiden. Daraus hat die Zukunft ihren Glanz gewonnen. Die Faszination, die von der Zukunft ausging und die dann die Gegenwart mit ihrer Kraft versehen hat, ist, glaube ich, verbraucht. Wir alle, wenn man vielleicht etliche Techniker oder Technikwissenschaftler außen vor lässt, sind eigentlich nicht mehr sehr erpicht auf die Zukunft. Wenn man sieht, was uns da versprochen wird, von der Nanotechnologie über die Mensch-Computer-Schnittstellenentwicklung bis hin zu Tissue Engineering: Die Zukunft macht uns nicht wirklich Spaß. Seit gut einem Jahrzehnt reagiert die Kultur darauf. Und jetzt beginnt ein neues Spiel: Nämlich Zwischengesellschaft so zu beschreiben, dass sie gar nicht mehr in die Zukunft will, sondern dass sie immer in diesem Dazwischen bleibt.“

„Die Zwischengesellschaft ist ihrer Meinung nach heutzutage also nicht mehr zukunfts-, sondern gegenwartsbezogen?“

Volker Demuth: „Genau. Die Gegenwart selbst wird als ein Zustand aufgefasst, der von einer Zwischengesellschaft bestimmt wird, die sich auch im Grunde als sehr positiv entwickelt. Ein Indiz dafür könnte sein, dass wir seit einer gewissen Zeit nicht mehr die Avantgarde haben. Das Konzept der Avantgarde ist weitgehend gestorben. Was wir haben sind Retrospektive. Das heißt, wir nehmen die Tradition in das Spiel der Differenz hinein. Wir ziehen Trachten an und gehen aufs Oktoberfest, ohne konservativ zu sein. Wir spielen sozusagen durch rekursive Aufnahmen von Vergangenheitsmöglichkeiten und Gegenwartsmöglichkeiten das Spiel der Zwischengesellschaft.“

„Bei den Karlsruher Gesprächen stand auch das Thema Religion im Programm. Welche Rolle weisen Sie nicht nur der Tradition, sondern der Religion in der Moderne zu? Wie wichtig ist der Glaube in der heutigen Zeit?“

Volker Demuth: „Zunächst einmal ist für mich erstaunlich, dass in diesen drei Tagen hier sehr viel von Religion die Rede war – in einem Maß, das ich schon lange nicht mehr erlebt habe. Das stimmt mich ein Stück weit bedenklich, denn Religion ist immer Teil einer modernen Gesellschaft gewesen. Religion an sich ist noch nie traditionell gewesen und auch überhaupt nicht vormodern. Religion gehört zu jeder Gesellschaft, die sich als modern definiert, und zwar deshalb, weil auch Religion in dem Feld des Spiels der Freiheit seinen akzeptierten Platz hat. Man kann konservativer oder auch aufgeschlossener in seinem Religionsverständnis sein. Insofern sehe ich die Religion immer als einen wichtigen Teil einer Gesellschaft, aber eben auch als etwas, über das wir in einer offenen Weise diskutieren müssen.

„Haben sie eine persönliche Verbindung zur Religion?“

Volker Demuth: „Ja. Ich stamme aus einem süddeutschen, stark christlich-katholischen Elternhaus. Klassischerweise war ich religiös engagiert und habe kurzzeitig auch mal ein Priesterseminar besucht, um die Priesterlaufbahn einzuschlagen Was ich jedoch ganz schnell aufgegeben habe, nachdem ich die Realität dort kennen lernte. Ich habe mich dann dem Studium der Literatur und der Philosophie zugewendet. Hier sah ich auch schnell die Differenz: In der Philosophie versuche ich offen zu denken. Sobald ich innerhalb eines religiösen Systems bin, dann habe ich schon ein geschlossenes Interpretationsmodell vor mir liegen, gegen das ich dann nur noch ein Stück weit angehen, was ich aber nicht vollständig über Bord werfen kann.“

„Zum Abschluss würde ich gerne wissen, wie Ihnen die Karlsruher Gespräche 2013 insgesamt gefallen haben.“

Volker Demuth: „Für mich waren es drei sehr interessante Tage mit vielen Denkanstößen. Es gab viele interessante Vorträge und Diskussionen. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass gerade die Fragestellungen der Diskussionsrunden etwas offener gestaltet und nicht auf ein spezielles Thema fixiert gewesen wären.“

„Ich bedanke mich für ihre Zeit!“

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