Kein Brot, aber Spiele?

Die WM in Brasilien rückt immer näher und die Marketingmaschinerie läuft auf Hochtouren. Heiß, aufregend und bunt soll es werden, das Fußballspektakel in den Tropen. Doch die Wahrheit hinter den klischeehaften Kulissen sieht anders aus. Das sportliche Großereignis führt zu tiefschürfenden Transformationsprozessen, die das Land an seine Grenzen bringen. Am Beispiel Rio de Janeiros gewährte Dr. Dawid Danilo Bartelt, Leiter des Brasilienbüros der Heinrich Böll-Stiftung, den Besuchern der 18. Karlsruher Gespräche einen Einblick in die Realität fernab der Medien. Ein Interview von Sannah Mattes.

Dr. Dawid Danilo Bartelt, Leiter des Brasilienbüros der Heinrich Böll-Stiftung (Bild: ZAK / Felix Grünschloß)
Dr. Dawid Danilo Bartelt, Leiter des Brasilienbüros der Heinrich Böll-Stiftung (Bild: ZAK / Felix Grünschloß)


Audiolink: Sannah Mattes im Interview mit Dr. Dawid Danilo Bartelt

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Gute Miene zum bösen Spiel

Während die Proteste in der Fußballnation Brasilien im letzten Sommer hitzige Diskussionen auslösten und die Missstände auf katarischen Baustellen Herbstdepressionen einläuteten, hat sich die Fußballwelt mit der vierten Jahreszeit in die Winterpause verabschiedet. Doch die trügerische Ruhe ist nur der Vorbote des Sturmes, den das Fußballjahr 2014 bringen wird. Ein Kommentar von Sannah Mattes.

Trügerische Stille. Das WM-Jahr 2014 wird die Fußballwelt vor neue Aufgaben und Probleme stellen. (Bild: Rainer Sturm / pixelio.de)
Trügerische Stille. Das WM-Jahr 2014 wird die Fußballwelt vor neue Aufgaben und Probleme stellen. (Bild: Rainer Sturm/ pixelio.de)

Längst sind die korrupten Geschäfte des Fußball-Weltverbandes (Fifa), allen voran die ihres Präsidenten Joseph Blatter, kein Geheimnis mehr. Bereits 2009 befasste sich die Schweizer Staatsanwaltschaft mit einer Schmiergeldaffäre, in der es neben dem Rechtevermarkter ISL, auch um Zahlungen an die früheren brasilianischen Spitzenfunktionäre João Havelange und Ricardo Teixeira ging. Doch man einigte sich schnell: Mit einer Zahlung von 5,5 Mio. Schweizer Franken wurde das Verfahren eingestellt.

Spätestens nach dieser Eskapade hätten Politik und Medien den Machenschaften des Vereins ein Ende setzen müssen. Einen Vorstoß wagte Ende 2010 die Präsidentin der Schweizer Ratskommission, Anita Thanei. In einem Gesetzentwurf zur „Korruptionsbekämpfung im Sport“ kritisiert sie offen die unsauberen Geschäfte der mehrheitlich im Steuerparadies Schweiz angesiedelten Sport-Dachverbände und fordert die strafrechtliche Verfolgung von Bestechungsdelikten. „Die Straffreiheit ist kein Standortvorteil. Die Steuervergünstigungen genügen. Die Schweiz darf nicht zur Insel für dubiose Geschäfte werden“, so Thanei in der Begründung des Entwurfs. Ein Gesetzesbeschluss blieb jedoch aus. Glaubt man dem auf der Website des Schweizer Parlaments veröffentlichten Protokoll, wurde der Antrag im Dezember 2011 Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer zugewiesen. Aber bereits mit Beginn des neuen Jahres wanderte er zu den Akten. Am 13. Januar 2012 verkündet ein Eintrag den Ausgang des Falls – mit einem Wort: „Zurückgezogen“. Eine Begründung fehlt.  Was bleibt ist ein schaler Beigeschmack und die traurige Gewissheit, dass Fifa und Co. nach eigenen Regeln spielen.

Doch auf den niederen Rängen brodelt es. Dies zeigen nicht zuletzt die wütenden Proteste in Brasilien. Ausgerechnet der Nachwuchs der fußballverrücktesten Nation der Welt wagt es aufzubegehren und im Vorfeld der WM 2014 Korruption und Inflation im eigenen Land anzuprangern. Die für das sportliche Großereignis eingeplanten Gelder würden in Sozial- und Bildungseinrichtungen dringender gebraucht, so die Meinung vieler Brasilianer. Zudem fürchten sie die zunehmende Privatisierung öffentlicher Einrichtungen und kritisieren die Preispolitik, die es einem Durchschnittsverdiener unmöglich macht, die Fußballspiele live im Stadion mitzuerleben.

Das gemeinschaftsstiftende Potential des Ballsports scheint vergessen, der offizielle Slogan der WM, „All in one rhythm/Juntos num só ritmo“, gleicht einer Farce. Zu weit ist bereits die Schere zwischen den Interessen der Investoren und den Bedürfnissen der Landesbevölkerung, zu unstet der positive Einfluss des Ereignisses auf das Gemeinwohl. Zwar gelangen die gesellschaftlichen Missstände ans Tageslicht und im Idealfall auch in das Zentrum des internationalen Interesses, eine langfristige Veränderung der politischen und sozialen Verhältnisse bringen die sportlichen Massenevents allerdings nur selten mit sich. Anstelle von großangelegten Reformen stehen Schönheitsreparaturen, die das Nötigste vertuschen sollen.

Dies gilt für Brasilien ebenso wie für das Gastgeberland der Fifa-WM 2022 Katar. Ein Land, in dem es Frauen verwehrt ist, sich sportlich zu betätigen, in dem Homosexualität unter Strafe steht und in dem das Arbeitsrecht es leicht macht, Gastarbeiter auszubeuten und sie zu unterdrücken. Wie ist es möglich, dass ein solches Land den Zuschlag bekommt, Herr Blatter? Oder besser: Zu welchem Preis?

Und was ist eigentlich mit der WM 2018 in Russland? Bei all der Furore um die Gegenwehr in Brasilien und die menschenrechtlichen Missstände am Persischen Golf ist das Großprojekt der Russischen Föderation zum Stiefkind der Medien verkommen. Zu leise war die Beschwerde des Manchester-United-Kapitäns Yaya Touré über Affenlaute und Beschimpfungen nach dem Champions-League-Spiel bei ZSKA Moskau im Oktober 2013. Schade, denn die Gewalt- und Rassismus-Vorwürfe könnten noch ein Nachspiel haben. Touré, der gerade zum dritten Mal in Folge zu Afrikas Fußballer des Jahres gewählt wurde, drohte nach den rassistischen Attacken mit einem Boykott der Russland-WM durch sämtliche afrikanische Nationalspieler. Doch das bleibt sicher nicht das einzige Problem, mit dem sich Fifa-Chef Blatter und seine Handlanger in Zukunft auseinandersetzen müssen. Besonders nachdem mit dem unlängst von Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger gewagten Coming-Out eine tickende Zeitbombe ins Spiel gebracht wurde. Erst im letzten Jahr erließ der russische Staatschef Wladimir Putin ein Gesetz gegen „Homosexuellen-Propaganda“ und löste damit international einen Sturm der Entrüstung aus.

Bleibt zu hoffen, dass die kritischen Stimmen dieses Mal nicht mit dem ersten Anpfiff verstummen, sondern endlich ein Umdenken stattfindet und der Druck der Medien, Spieler und Fans so weit wächst, dass er Korruption und Menschenrechtsverletzungen schließlich ein Ende bereitet, frei nach dem Motto „Ações são melhores que palavras“, „Worten sollten Taten folgen“!

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