Demokratie in Tunesien und Ägypten?

Zwischengesellschaft in der arabischen Welt? Erstmals in der Geschichte gibt es eine demokratisch gewählte Regierung, doch sind damit die Ziele der Revolution erreicht? Immer noch protestieren tausende Menschen gegen fortwährende gesellschaftliche Missstände. Irina Brombacher fasst zusammen.

Protesten für eine demokratische Zukunft? Der Tahrir-Platz in Kairo (Bild: Time)
Protestieren für eine demokratische Zukunft? Der Tahrir-Platz in Kairo (Bild: Time)

Der Auslöser für den arabischen Frühling war die grausame Selbstverbrennung des 26-jährigen Tunesiers Mohammed Buazizi im Dezember 2010. Seit diesem Vorfall hat sich in der arabischen Welt viel bewegt. Massenproteste gegen autoritäre Regimes, schlechte Lebensbedingungen und soziale Ungleichheit, Demonstrationen für Freiheit und Demokratie, Krawalle und blutige Gefechte zwischen Demonstranten und Militär mit Verletzten und Toten.

Der Erfolg: Am 14. Januar 2011 tritt der tunesische Machtführer Ben Ali zurück und flüchtet. In Ägypten endet die Diktatur von Hosni Mubarak am 11. Februar 2011. Der Jubel wird noch größer, als Mubarak am 2. Juni 2012 in Kairo wegen „Beihilfe zur Tötung von 846 Demonstranten“ zu lebenslanger Haft verurteilt wird – ein bis Dato beispielloses Ereignis in den arabischen Staaten. Noch nie zuvor musste ein Herrscher seine Taten vor einem zivilen Gericht verantworten, ein wichtiger Schritt in Richtung Demokratie.

Islamistische Parteien demokratisch gewählt

Der 23. Oktober 2011 ist ein historisches Datum für Tunesien: Neun Monate nach dem Sturz Alis fanden die ersten freien Wahlen in der Geschichte des Landes statt. Ihr Ausgang ist jedoch ein herber Rückschlag für das säkulare Lager, denn mit deutlichem Vorsprung gewinnt die islamistische Partei En-Nahda. Ähnlich verliefen die Wahlen vom 28. November 2011 bis 10. Januar 2012 in Ägypten. Dort siegte mit der Muslimbruderschaft eine islamistisch-sunnitische Bewegung, woraufhin Mohammed Mursi im Juni zum Staatspräsidenten gewählt wurde. Ist auch der jeweilige Ausgang dieser Wahlen aus westlicher Sicht öfters bedauert worden, so bleibt jedoch eines Fakt: Sie sind die Ergebnisse rechtmäßig-demokratischer Abstimmungen.

Nach der Wahl ist vor der Wahl?

Es bleibt die Frage nach den Veränderungen seit dem Beginn der Revolution. Sind die Hoffnungen auf soziale Gerechtigkeit, Freiheit, einen höheren Lebensstandard und vor allem auf ein demokratisch geführtes Land tatsächlich erfüllt worden? Die Antwort ist ein klares Nein. In beiden Ländern hat sich an der gesellschaftlichen Situation nicht viel geändert. Nach wie vor gibt es hohe Arbeitslosenquoten und wenig Perspektiven für die Jugend.

Undemokratisch gestaltet sich zudem das im November 2012 ausgearbeitete ägyptische Verfassungsreferendum. So gilt die Religionsfreiheit nur für die so genannten Buchreligionen, bei der Meinungsfreiheit sind Beleidigungen des Propheten ausgenommen, die Scharia soll als Hauptquelle eines islamischen Rechts dienen. Auch die Gleichberechtigung der Frau wird nach wie vor außer Acht gelassen.

Im tunesischen Verfassungsentwurf entwickelt sich das Land, das bis Dato eine Vorreiterrolle in Sachen Frauenrechte einnahm, zurück. Die konservative En-Nahda versucht einen Mittelweg zwischen den radikalen Forderungen der Fundamentalisten und der Kritik von Opposition und Zivilgesellschaft einzuschlagen. So heißt es im entsprechenden Artikel die Frau sei ein „Komplementär“ des Mannes „im Schoße der Familie“. Auf solch einer Grundlage ist ein demokratisches Zusammenleben unmöglich.

Der ungebrochene Hass auf Frauen

Aus Ägypten gehen in den letzten Wochen wieder schreckliche Bilder um die Welt. Es sind Szenen die bereits zu Beginn der Aufstände, aber auch nach der Wahl zu sehen waren. Frauen werden bei Demonstrationen von ganzen Horden aggressiv-frustrierter Männer umringt, beleidigt, bedroht, geschlagen, begrapscht und vergewaltigt. Soldaten greifen nicht ein. Am 25. Januar 2013, dem zweiten Jahrestag der Revolution, werden auf dem Tahrir-Platz mindestens 25 Frauen brutal misshandelt und vergewaltigt. (Die NDR-Sendung Weltbilder berichtete)

Die arabische Gesellschaft ist nach wie vor vom Patriarchentum geprägt. Fundamentalisten begründen die Gewalt gegen Frauen mit der vermeintlichen gottgewollten Unterlegenheit des weiblichen Geschlechts. Die Frau soll ihrer Ansicht nach zu Hause verschleiert vor dem Herd stehen sehen, verstößt sie dagegen, sind Erniedrigungen und Misshandlungen die Folge. Hier werden Menschenrechte mit Füßen getreten. Die Regierung missbilligt dies zwar offiziell, unternimmt jedoch nichts dagegen.

Immer häufiger kam es in den letzten Monaten zu erneuten gewalttätigen Massenprotesten von Regierungsgegnern. In Tunesien zuletzt anlässlich der Ermordung des Menschenrechtlers und Regierungskritikers Chokri Belaid am 6. Februar 2013.

Sowohl die ägyptische als auch die tunesische Gesellschaft ist tief gespalten. Ihre Regierungen erscheinen überfordert und orientierungslos. Zwar ist der erste große Sturm der Revolution vorbei, doch befinden sich die Länder immer noch mitten in einer Entwicklungsphase. Die aktuellen Konflikte zeigen, dass das Modell der Demokratie im Schnellverfahren und möglicherweise zu früh eingeführt wurde. Denn es ist äußerst fraglich ob eine Gesellschaft, in welcher der Islam salafistisch ausgelegt und vor allem gelebt werden darf, überhaupt das Fundament eines demokratischen Miteinanders sein kann.

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Spitzbübisch

Spitzbübisch betrachtet Shimon Stein seinen späteren Diskussionspartner während dessen Vortrag, nimmt die Bügel seiner Brille zwischen die Zähne und lächelt durch das herabgesenkte Brillenglas. Uns erwartet ein sachlicher Schlagabtausch über Sicherheit und Ordnung im Mittleren Osten – Aussagen und Widerworte reihen sich nahtlos aneinander. Die Runde ist eröffnet.

Nach einigen Wortwechseln bezüglich des Auslösers für den arabischen Frühling, kann sich auch Prof. Surendra Munshi nicht mehr halten. Sein für später geplantes Hinzustoßen zu der Gruppe nimmt er nun vorweg, lauscht bedächtig den Worten Steins, der die langjährige Unterstützung der autokratischen Regime heftig kritisiert. Munshi steigt mit einer weitläufigen Betrachtung der Situation in Indien in die Runde ein. „Alles, was sie über Indien zu wissen glauben, ist richtig. Solange ihr Bild auch das Gegenteil zulässt.“

Die Runde überlässt es nickend auch dem brillianten Redner Munshi ein Fazit zu fassen: „Es gibt keine Menschenwürde ohne Brot auf dem Tisch.“ Und findet damit zurück zu dem Auslöser des arabischen Frühlings, der Selbstverbrennung des tunesischen Händlers Mohammed Buazizi. Die Gruppe öffnet sich nun den Fragen der Zuschauer.

Eine Anmerkung aus der letzten Reihe erinnert an die Nachbarschaft Israels, genauer den Libanon, in dem es seit Jahrzehnten eine Demokratie gibt. Die „lupenreine“ Demokratie in Israel gelte nur für Israelis. Der Meinung des Zuschauers nach gleiche es für Palästinenser eher einem Polizeistaat, um nicht zu sagen einer Militärdiktatur. Stein lässt es sich nicht nehmen sofort und wortkarg darauf zu antworten: „Nobody is perfect!“

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