Der Terroranschlag vom 11. September 2001 hat die Gesellschaft misstrauisch gemacht. Auch gegenüber Nichtregierungsorganisationen. Professorin Jude Howell sprach bei den 17. Karlsruher Gesprächen über Veränderungsprozesse im globalen Zeitalter. Sarah Schauberger fasst den Vortrag zusammen.
Sofort ist die Aufmerksamkeit auf die kleine, dynamische Frau gerichtet, die gerade das Rednerpult betritt und ihre Präsentation startet. Professorin Jude Howell beginnt von einer Vision zu sprechen, in der Zivilgesellschaften auf den Gebieten der internationalen Entwicklung und Sicherheit gefördert werden. Sie sollten eine Kontrollfunktion erhalten, um Regierungsmanipulationen aufdecken zu können. Howell stellt in diesem Kontext aber auch die Frage nach dem Zusammenhang zwischen globalen Kriegen und den Zivilgesellschaften.
Aus ihren Forschungsergebnissen ergeben sich dazu zwei konkurrierende Faktoren: Erstens ein enormer Anstieg von Misstrauen und Argwohn gegenüber Interessenverbänden, zweitens die Dynamik korrupter Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Organisationen, vor allem in Sicherheits- und Geschlechterfragen.
„Die goldene Ära“ der Zivilgesellschaft
Am Ende des Kalten Krieges, also in den späten 1980er Jahren, hatten die Nichtregierungsorganisationen – kurz NGOs nach Howells Ansicht einen sicheren Stand in der Gesellschaft. Sie wurden von der Regierung und von internationalen Entwicklungsinstitutionen gefeiert, da sie eine Art „Wachhund-Rolle“ erfüllten. Dahinter steckte die Absicht, mehr Transparenz in Währungs- und Haftungsfragen zu erhalten, um eine bessere Regierung und Geschlechterdemokratisierung zu fördern. Regierungen und Zivilgesellschaften arbeiteten in Gemeinwohlfragen zusammen.
Der Wissenschaftlerin zufolge, entwickelte Tony Blair in England zwischen dem Staat und den freiwilligen Organisationen eine neue Form von Engagement. Dabei geht es um eine Vertragsvereinbarung, in der deutlich wird, dass die freiwilligen Organisationen leisten können, was den Regierungen nicht gelingt. Die NGOs stellten aber eine Bedingung, die in Vertrag aufgenommen wurde: Sie erhielten die Möglichkeit die Regierung zu kritisieren. Howell nennt diese Phase der Beziehungen: „The golden Era“.
Schleichendes Misstrauen
Ein entscheidender Faktor im Wandel der Beziehungen zwischen dem Staat und den NGOs sieht die Forscherin im Aufblühen des weltweiten Terrors. Ein Klima der Angst bewirkte, dass NGOs und Caritaseinrichtungen plötzlich mit Misstrauen betrachtet wurden. Man unterstellte den freiwilligen Organisationen – hauptsächlich den muslimischen Gruppen – eine Verbindung zu terroristischen Vereinigungen.
Das „Anti-Terroriste-Certificate“ in den USA
Wenn eine amerikanische freiwillige Organisation beispielsweise in Afghanistan arbeiten möchte, erklärt die Wissenschaftlerin, dann müsste sie vorab ein „Anti-Terroriste-Certificate“ unterschreiben. Damit richtet die USA ein System ein, das jede Organisation bekannt macht, die sich aus US-Geldern finanziert. Die amerikanische Administration erhält so verlässliche Informationen und kann auf die Treue der NGOs schließen. Das Schlüsselproblem sieht Howell in der Balance zwischen Sicherheit und Freiheit und stellt die Frage in den Raum: „Wie viel sind wir bereit für Sicherheit und Schutz zu bezahlen?“
Die praktischen Konsequenzen für die NGO-Arbeit in Konfliktregionen wie in Afghanistan oder dem Irak ergeben sich aus dem Patriot Act von 2001. Dieser besagt, dass Organisationen terroristische Gruppen in keiner Weise materiell unterstützen dürfen. Daraus resultiert unter anderem das gerichtliche Verbot einen Brunnen in Somalia zu bauen. Es besteht nämlich die Befürchtung, es würde jemand von der islamistisch-militanten Bewegung al-Shabaab vorbeikommen, um aus diesem Brunnen ein Glas Wasser zu trinken. Damit wäre die materielle Unterstützung einer terroristischen Gruppierung gewährleistet.
Die Zukunft der Zivilgesellschaft
Howell sieht die Zufriedenheit der NGOs in der Vereinbarung, die Regierung kritisieren zu dürfen. Doch habe sie aus einem englischen Fachbericht erfahren, dass die NGOs sich selbst zensieren, da sie Angst haben die Regierungsunterstützung zu verlieren. In ihren Augen eine beängstigende Entwicklung! Howells jahrelange Arbeit in China, ließ sie zu dem Schluss kommen, dass es dort ausschließlich selbst fördernde NGOs gibt. Sie erklärt, dass die Kommunistische Partei Chinas nichts gegen Zivilgesellschaftsorganisationen einzuwenden hat. Aber es ist ihnen untersagt, Kritik an der Regierung zu üben.
Laut Howell, ist das Beunruhigende, dass die Einschränkungen und Gesetze von 2001 immer noch in Kraft sind. Sie spricht davon, dass wir uns daran gewöhnt haben und sie bereits in unseren Alltag integriert haben. Daher stellt sich die Frage: Wo geht der Trend hin? Was geschieht mit der Beziehung zwischen dem Staat und den freiwilligen Organisationen?
Howells Resümee zum Schluss: „So these are interesting times we live in, maybe an interregular, but there also very worrying times for those who concerned. But I am about the spaces for citizen deliberation and action.“