Kein Brunnen für Somalia

Der Terroranschlag vom 11. September 2001 hat die Gesellschaft misstrauisch gemacht. Auch gegenüber Nichtregierungsorganisationen. Professorin Jude Howell sprach bei den 17. Karlsruher Gesprächen über Veränderungsprozesse im globalen Zeitalter. Sarah Schauberger fasst den Vortrag zusammen.

Professor Jude Howell über NGOs im globalen Zeitalter (Bild: ZAK)
Professorin Jude Howell über NGOs im globalen Zeitalter (Bild: ZAK)

Sofort ist die Aufmerksamkeit auf die kleine, dynamische Frau gerichtet, die gerade das Rednerpult betritt und ihre Präsentation startet. Professorin Jude Howell beginnt von einer Vision zu sprechen, in der Zivilgesellschaften auf den Gebieten der internationalen Entwicklung und Sicherheit gefördert werden. Sie sollten eine Kontrollfunktion erhalten, um Regierungsmanipulationen aufdecken zu können. Howell stellt in diesem Kontext aber auch die Frage nach dem Zusammenhang zwischen globalen Kriegen und den Zivilgesellschaften.

Aus ihren Forschungsergebnissen ergeben sich dazu zwei konkurrierende Faktoren: Erstens ein enormer Anstieg von Misstrauen und Argwohn gegenüber Interessenverbänden, zweitens die Dynamik korrupter Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Organisationen, vor allem in Sicherheits- und Geschlechterfragen.

„Die goldene Ära“ der Zivilgesellschaft

Am Ende des Kalten Krieges, also in den späten 1980er Jahren, hatten die Nichtregierungsorganisationen – kurz NGOs nach Howells Ansicht einen sicheren Stand in der Gesellschaft. Sie wurden von der Regierung und von internationalen Entwicklungsinstitutionen gefeiert, da sie eine Art „Wachhund-Rolle“ erfüllten. Dahinter steckte die Absicht, mehr Transparenz in Währungs- und Haftungsfragen zu erhalten, um eine bessere Regierung und Geschlechterdemokratisierung zu fördern. Regierungen und Zivilgesellschaften arbeiteten in Gemeinwohlfragen zusammen.

Der Wissenschaftlerin zufolge, entwickelte Tony Blair in England zwischen dem Staat und den freiwilligen Organisationen eine neue Form von Engagement. Dabei geht es um eine Vertragsvereinbarung, in der deutlich wird, dass die freiwilligen Organisationen leisten können, was den Regierungen nicht gelingt. Die NGOs stellten aber eine Bedingung, die in Vertrag aufgenommen wurde: Sie erhielten die Möglichkeit die Regierung zu kritisieren. Howell nennt diese Phase der Beziehungen: „The golden Era“.

Schleichendes Misstrauen

Ein entscheidender Faktor im Wandel der Beziehungen zwischen dem Staat und den NGOs sieht die Forscherin im Aufblühen des weltweiten Terrors. Ein Klima der Angst bewirkte, dass NGOs und Caritaseinrichtungen plötzlich mit Misstrauen betrachtet wurden. Man unterstellte den freiwilligen Organisationen – hauptsächlich den muslimischen Gruppen – eine Verbindung zu terroristischen Vereinigungen.

Das „Anti-Terroriste-Certificate“ in den USA

Wenn eine amerikanische freiwillige Organisation beispielsweise in Afghanistan arbeiten möchte, erklärt die Wissenschaftlerin, dann müsste sie vorab ein „Anti-Terroriste-Certificate“ unterschreiben. Damit richtet die USA ein System ein, das jede Organisation bekannt macht, die sich aus US-Geldern finanziert. Die amerikanische Administration erhält so verlässliche Informationen und kann auf die Treue der NGOs schließen. Das Schlüsselproblem sieht Howell in der Balance zwischen Sicherheit und Freiheit und stellt die Frage in den Raum: „Wie viel sind wir bereit für Sicherheit und Schutz zu bezahlen?“

Die praktischen Konsequenzen für die NGO-Arbeit in Konfliktregionen wie in Afghanistan oder dem Irak ergeben sich aus dem Patriot Act von 2001. Dieser besagt, dass Organisationen terroristische Gruppen in keiner Weise materiell unterstützen dürfen. Daraus resultiert unter anderem das gerichtliche Verbot einen Brunnen in Somalia zu bauen. Es besteht nämlich die Befürchtung, es würde jemand von der islamistisch-militanten Bewegung al-Shabaab vorbeikommen, um aus diesem Brunnen ein Glas Wasser zu trinken. Damit wäre die materielle Unterstützung einer terroristischen Gruppierung gewährleistet.

Die Zukunft der Zivilgesellschaft

Howell sieht die Zufriedenheit der NGOs in der Vereinbarung, die Regierung kritisieren zu dürfen. Doch habe sie aus einem englischen Fachbericht erfahren, dass die NGOs sich selbst zensieren, da sie Angst haben die Regierungsunterstützung zu verlieren. In ihren Augen eine beängstigende Entwicklung! Howells jahrelange Arbeit in China, ließ sie zu dem Schluss kommen, dass es dort ausschließlich selbst fördernde NGOs gibt. Sie erklärt, dass die Kommunistische Partei Chinas nichts gegen Zivilgesellschaftsorganisationen einzuwenden hat. Aber es ist ihnen untersagt, Kritik an der Regierung zu üben.

Laut Howell, ist das Beunruhigende, dass die Einschränkungen und Gesetze von 2001 immer noch in Kraft sind. Sie spricht davon, dass wir uns daran gewöhnt haben und sie bereits in unseren Alltag integriert haben. Daher stellt sich die Frage: Wo geht der Trend hin? Was geschieht mit der Beziehung zwischen dem Staat und den freiwilligen Organisationen?

Howells Resümee zum Schluss: „So these are interesting times we live in, maybe an interregular, but there also very worrying times for those who concerned. But I am about the spaces for citizen deliberation and action.“

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Das Spiel der Freiheit

Prof. Volker Demuth ist Essayist, Medienwissenschaftler und arbeitet zurzeit als freier Schriftsteller. In diesem Jahr erschien sein Werk „Stille Leben“. Am 24. Februar war er Gast bei den 17. Karlsruher Gesprächen. Sarah Müller sprach mit ihm über Religion, Moderne und die Gegenwart als neue Zukunft.

Prof. Volker Demuth bei den 17. Karlsruher Gesprächen (Foto: Maren Müller)
Prof. Volker Demuth bei den 17. Karlsruher Gesprächen (Foto: Maren Müller)

„Prof. Demuth, wie geht es Ihnen als Gast der Karlsruher Gesprächen 2013?“

Volker Demuth: „Es ist eine ehrenvolle Aufgabe, hier mit an einer Diskussion teilzunehmen, die ein sehr aktuelles Problem versucht neu zu beschreiben – unter dem Motto ´die Zwischengesellschaft. Tradition und Moderne im Wiederspruch.` Es ist kein neues Thema, aber vielleicht gewinnen wir unter dem Titel neue Aspekte hinzu, die dann vielleicht helfen, die Gegenwart oder die Sicht auf unsere Gegenwart etwas klarer zu machen.“

„Stimmt, das Thema `Moderne und Tradition´ ist kein neues. Aber was genau verstehen Sie unter dem Begriff der Moderne? Und was ist die Zwischengesellschaft?“

Volker Demuth: „Eine mögliche Interpretation beruht auf der Beobachtung von Gesellschaften, die noch in dem Stadium sind, typische Prozesse der Moderne durchzuführen. Da kann man ein paar wichtige Punkte nennen, etwa die Entwicklung eines Rechtsbewusstseins, speziell des Rechts der Freiheit und der entsprechenden Individualrechte wie dem Recht der Meinungsfreiheit. Das Zweite ist, dass wir den Begriff einer für alle verbindliche Wahrheit problematisieren und diese einem Begriff von Wahrheit gegenüberstellen, der auf dem Konzept von Wissen und Wissenschaft beruht. Jenes ist forschend und geht davon aus, dass wir es nicht besitzen, sondern dass wir es irgendwann vielleicht erreichen können. Der Prozess ist nie abgeschlossen: Niemand hat in diesem Bereich die Wahrheit. Viele der alten Systeme beanspruchen die Wahrheit zu besitzen. In einem modernen Konzept löst sich dies jedoch auf. Der dritte Punkt ist, der Bereich der Öffentlichkeit. Hier bekommen auch andere Modernisierungsprozesse ihre Bühne. Hier wird das Spiel der Differenz durchgeführt. Der Prozess der Moderne ist immer unabschließbar und wird immer wieder neu verhandelt werden müssen. Der Begriff der Zwischengesellschaft beschreibt eben das Dazwischenstehen und Neubedenken der Situation, die da ist, und eines vielleicht besseren Entwurfes.“

„Das Spiel der Differenz – meint das auch, dass wir nicht immer alles ganz ernst nehmen müssen?“

Volker Demuth: „Zu diesem Spiel gehört in der Tat ein souveräner Umgang mit unseren Meinungen. Wir dürfen uns ohne weiteres stets selbst die Frage stellen, weil wir immer davon ausgehen müssen, dass wir morgen schon eine andere Sicht von den Dingen haben als noch heute. Das heißt, es entsteht eigentlich ein sehr schöner, kultureller Spielraum: wir führen durchaus Ironie, Polemik, auch eine Art von Theatralik in unsere eigene Lebensführung ein. Wir können ganz unterschiedliche Lebensstile fast zur gleichen Zeit ausagieren. Wir können in einer ironischen Weise, eigene Positionen vertreten und sie dann wiederrum auch in Frage stellen. Das gehört zu der Möglichkeit dieses freien Lebens dazu.“

„Sie meinen mit dem Begriff des Spiels also auch eine Art von Selbstreflexion in der Moderne?“

Volker Demuth: „Richtig. Die Moderne bedenkt sich permanent selbst. Ich glaube, um auf den Begriff der Zwischengesellschaft zurückzukommen, dass wir momentan in der westlichen Kulturrealität dort angelangt sind, wo wir neu bedenken müssen, wie wir dieses Spiel der Differenz aufstellen. Zu diesem modernen Spiel gehörte immer unser Glaube, die Zukunft müsse sich von der Gegenwart abgrenzen und unterscheiden. Daraus hat die Zukunft ihren Glanz gewonnen. Die Faszination, die von der Zukunft ausging und die dann die Gegenwart mit ihrer Kraft versehen hat, ist, glaube ich, verbraucht. Wir alle, wenn man vielleicht etliche Techniker oder Technikwissenschaftler außen vor lässt, sind eigentlich nicht mehr sehr erpicht auf die Zukunft. Wenn man sieht, was uns da versprochen wird, von der Nanotechnologie über die Mensch-Computer-Schnittstellenentwicklung bis hin zu Tissue Engineering: Die Zukunft macht uns nicht wirklich Spaß. Seit gut einem Jahrzehnt reagiert die Kultur darauf. Und jetzt beginnt ein neues Spiel: Nämlich Zwischengesellschaft so zu beschreiben, dass sie gar nicht mehr in die Zukunft will, sondern dass sie immer in diesem Dazwischen bleibt.“

„Die Zwischengesellschaft ist ihrer Meinung nach heutzutage also nicht mehr zukunfts-, sondern gegenwartsbezogen?“

Volker Demuth: „Genau. Die Gegenwart selbst wird als ein Zustand aufgefasst, der von einer Zwischengesellschaft bestimmt wird, die sich auch im Grunde als sehr positiv entwickelt. Ein Indiz dafür könnte sein, dass wir seit einer gewissen Zeit nicht mehr die Avantgarde haben. Das Konzept der Avantgarde ist weitgehend gestorben. Was wir haben sind Retrospektive. Das heißt, wir nehmen die Tradition in das Spiel der Differenz hinein. Wir ziehen Trachten an und gehen aufs Oktoberfest, ohne konservativ zu sein. Wir spielen sozusagen durch rekursive Aufnahmen von Vergangenheitsmöglichkeiten und Gegenwartsmöglichkeiten das Spiel der Zwischengesellschaft.“

„Bei den Karlsruher Gesprächen stand auch das Thema Religion im Programm. Welche Rolle weisen Sie nicht nur der Tradition, sondern der Religion in der Moderne zu? Wie wichtig ist der Glaube in der heutigen Zeit?“

Volker Demuth: „Zunächst einmal ist für mich erstaunlich, dass in diesen drei Tagen hier sehr viel von Religion die Rede war – in einem Maß, das ich schon lange nicht mehr erlebt habe. Das stimmt mich ein Stück weit bedenklich, denn Religion ist immer Teil einer modernen Gesellschaft gewesen. Religion an sich ist noch nie traditionell gewesen und auch überhaupt nicht vormodern. Religion gehört zu jeder Gesellschaft, die sich als modern definiert, und zwar deshalb, weil auch Religion in dem Feld des Spiels der Freiheit seinen akzeptierten Platz hat. Man kann konservativer oder auch aufgeschlossener in seinem Religionsverständnis sein. Insofern sehe ich die Religion immer als einen wichtigen Teil einer Gesellschaft, aber eben auch als etwas, über das wir in einer offenen Weise diskutieren müssen.

„Haben sie eine persönliche Verbindung zur Religion?“

Volker Demuth: „Ja. Ich stamme aus einem süddeutschen, stark christlich-katholischen Elternhaus. Klassischerweise war ich religiös engagiert und habe kurzzeitig auch mal ein Priesterseminar besucht, um die Priesterlaufbahn einzuschlagen Was ich jedoch ganz schnell aufgegeben habe, nachdem ich die Realität dort kennen lernte. Ich habe mich dann dem Studium der Literatur und der Philosophie zugewendet. Hier sah ich auch schnell die Differenz: In der Philosophie versuche ich offen zu denken. Sobald ich innerhalb eines religiösen Systems bin, dann habe ich schon ein geschlossenes Interpretationsmodell vor mir liegen, gegen das ich dann nur noch ein Stück weit angehen, was ich aber nicht vollständig über Bord werfen kann.“

„Zum Abschluss würde ich gerne wissen, wie Ihnen die Karlsruher Gespräche 2013 insgesamt gefallen haben.“

Volker Demuth: „Für mich waren es drei sehr interessante Tage mit vielen Denkanstößen. Es gab viele interessante Vorträge und Diskussionen. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass gerade die Fragestellungen der Diskussionsrunden etwas offener gestaltet und nicht auf ein spezielles Thema fixiert gewesen wären.“

„Ich bedanke mich für ihre Zeit!“

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Braucht Karlsruhe die Karlsruher Gespräche?

Vielleicht weiß nicht jeder Einzelne in der Gesellschaft, womit sich die Wissenschaft gerade beschäftigt. Vielleicht hat auch nicht jeder die Möglichkeit es herauszufinden. Die „Öffentliche Wissenschaft“ möchte der Gesellschaft die Forschung zugänglich und verständlich machen. Nur wie? Sandra Seltenreich kommentiert.

Wissenschaft trifft auf Öffentlichkeit – die 17. Karlsruher Gespräche (Bild: ZAK)
Wissenschaft trifft auf Öffentlichkeit – die 17. Karlsruher Gespräche (Bild: ZAK)

Das bequemste, wenn auch recht einseitige Mittel sich zu informieren, ist der Fernseher oder das Radio. Darüber hinaus gibt es jedoch viele Veranstaltungen und Aktivitäten, wie sie in Karlsruhe beispielsweise das ZAK (Zentrum für Angewandte Kulturwissenschaft und Studium Generale) am Karlsruher Institut für Technologie anbietet. Auf diese Weise kann sich ein breites Publikum an der Diskussion, den Erkenntnissen und den Folgen der Wissenschaft beteiligen.

Die Hochschulen stellen inzwischen ein großes Angebot für wissensdurstige Menschen. Es gibt die Möglichkeit als Gasthörer an Seminaren und Vorlesungen teilzunehmen. Für Senioren wie für Kinder stehen die Hörsäle offen. Im Internet veröffentlichen die Universitäten ihre Programmpläne oder stehen über E-Lerning und Fernstudium zur Verfügung.

Darüber hinaus bieten die Hochschulen Vorträge, Workshops und Diskussionen auch außerhalb der Universität an. Sie gehen dafür in öffentliche Gebäude, wie Schulen, Theaterräume und Rathäuser. So eine Initiative zur Öffentlichen Wissenschaft sind auch die Karlsruher Gespräche, die sich regelmäßig mit den aktuellen Vorgängen in der Welt auseinander setzen und sie an die Öffentlichkeit herantragen.

Die Wissenschaft muss zum Dialog werden

Neben all diesen Angeboten, scheint eine Entwicklung auch vielversprechend zu sein: Das Web 2.0. Auf Diskussionswebsites und in Foren klingt der Wunsch nach Öffentlicher Wissenschaft deutlich heraus: Die Akademiker, Wissenschaftler und Forscher sollen ihre Publikationen für jeden frei im Internet zugänglich machen. Viele kommen der Aufforderung nach – ein großer Schritt in Richtung Transparenz, Nutzbarkeit und Attraktivität für die Wissenschaft! Ein großer Teil zögert aber noch aus Angst vor geistigem Diebstahl.

Diesen Menschen sollte klar sein, dass Wissenschaft nicht nur eine Beschäftigung für Akademiker ist, sondern in erster Linie Forschung für die Gesellschaft. Wissenschaft bedeutet die Chance auf Fortschritt für alle Menschen. Warum sollte es dann nicht auch allen Menschen offen stehen, sich mit ihr auseinanderzusetzen?

Um auf die Bedürfnisse und Interessen der Menschen eingehen zu können, muss die Öffentlichkeit an der aktuellen Forschung beteiligt werden. Vor allem dann, wenn ein Dialog entstehen soll. Dies ist das Ziel von Öffentlicher Wissenschaft: Den Frontalunterricht zu beenden und die Bürger mit ins Gespräch zu holen.

Fortschritt geht alle etwas an

Die Welt in der wir leben ist ohne Technik und Wissenschaft nicht mehr vorstellbar. Darum ist es für jeden wichtig die damit verbundenen Phänomene zu verstehen. Was wir brauchen sind aktive Beiträge, wenn die Wissenschaft etwas in der Gesellschaft verbessern soll.

Das Stichwort hierbei lautet: Popularisierung. Es mag einen negativen Klang haben, bedeutet aber nichts anderes als das Bekanntmachen von Themen, die für alle wichtig sind. Es heißt, mitreden können, sich Bildung aneignen und sogar in die Politik eingreifen und die Interessen des Bürgertums unterstützen. Insofern ist das Wort Popularisierung nur ein anderes Wort für Aufklärung.

Ein Problem gibt es noch zu beachten: die Sprache. Schon jedem Erstsemester fällt es lange schwer sich in den Universitätsjargon einzufinden. Wie sollen erst Fachfremde die Wissenschaft verstehen? Die Antwort ist mit neuen Aufgaben verbunden: Eine verständlichere Sprache benutzen, Fach- und Fremdwörter erklären und einen leichten, praktischen Zugang finden. Vorträge, Ausstellungen und Workshops sind zwar gut, helfen aber nicht viel, wenn sie nur ein Teil der Gesellschaft versteht.

Viele Wissenschaftler denken vielleicht, dass sich der Aufwand nicht lohnt. Doch um den Elfenbeinturm zu verlassen braucht es nicht viel. (Siehe etwa eine entsprechende Bastelanleitung.) Soziale Netzwerke, wie Twitter, Facebook, Blogs und Co machen den Austausch von Wissenschaft und Bürgermeinungen sehr einfach. Wer seine Arbeit ins Netz stellt, erhält fast sofort Resonanz und erfährt was das Publikum über diese Forschung denkt. Dies kann eine Fundgrube an neuen Denkanstößen für die Wissenschaft sein.

So schafft sich die akademische Welt die Akzeptanz der Gesellschaft, weckt Interesse und bildet die Grundlage für einen öffentlichen Austausch. Dies ist vielleicht sogar ein Schritt, die Kluft zwischen den sozialen Schichten zu verringern. Wer also fragt: braucht Karlsruhe die Karlsruher Gespräche, der fragt nach dem Sinn der Bürgerbildung.

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„Wir Frauen leben ja nicht auf einem anderen Stern“

„Frauen sind die ersten Opfer der Islamisierung“, meint Alice Schwarzer. In ihrer Rede bei den Karlsruher Gesprächen kritisierte die Journalistin und Feministin, dass Frauen in islamistischen Ländern in „Zeiten des dramatischen Rückschritts“ leben. Dem politischen Westen wirft sie gar vor, in Ländern wie Afghanistan über Jahrzehnte aktiv dazu beigetragen zu haben. Im Gespräch mit Amin Mir Falah verrät die EMMA-Herausgeberin warum vor allem islamistische Staaten Frauen gezielt unterdrücken und widmet sich auch Themen, die hierzulande für Gesprächsstoff sorgen.

Frau Schwarzer, welche Merkmale zeichnen die „moderne“ Frau des 21. Jahrhunderts aus?

Die „moderne Frau“ ist auch nur ein Produkt ihrer Möglichkeiten, der individuelle Spielraum hat Grenzen. Das heißt, eine moderne Frau sieht heute in Ägypten oder Kenia anders aus als in Deutschland. Doch reden wir von Deutschland. Ich würde lieber „bewusst“ statt „modern“ sagen. Also, die bewusste Frau von heute im Westen weiß um ihre Chancen und Rechte – und Pflichten. Aber sie ahnt auch ihre Grenzen, das heißt, macht sich keine Illusionen. Konkret: Wenn sie ein Kind plant, weiß sie, dass es schwierig werden kann mit dem Beruf. Sie wird also vorher mit dem Vater reden, ihn in die Pflicht nehmen, absprechen, wer wann welchen Part übernimmt. Sie ist bereit zu Kompromissen – aber die müssen gegenseitig sein. Die bewusste Frau versteht ihr Frausein weder als Vorteil, noch als Schicksal, sondern als eine Realität in einer immer noch männerdominierten Gesellschaft, die jedoch überwindbar ist. Die bewusste Frau weiß auch, dass sie es alleine niemals wirklich schaffen wird. Sie wird sich verbündete Frauen suchen – und sich auch für die Verbesserung der Lage weniger „moderner“ Frauen einsetzen.

Was ist auf dem Weg zur absoluten Gleichberechtigung beider Geschlechter wirksamer – die aktive Frauenbewegung oder ein Entgegenkommen der Männer?

Das ist keine Alternative, sondern bedingt sich gegenseitig. Erst die Frauenbewegung hat die Männer wirklich nachdenklich gemacht. Und das ist gut so. Wir Frauen leben ja nicht auf einem anderen Stern. Emanzipieren können wir uns nur zusammen. Aber das ist oft eben keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Machtfrage. Warum sollten die Männer auch freiwillig ihre Privilegien aufgeben – da ist es ganz gut, wenn ein wenig nachgeholfen wird. Ganz davon abgesehen, dass es ja auch gerade für die Männer viel zu gewinnen gibt: Endlich nicht mehr Macho sein müssen, sondern Mensch sein dürfen.

Die Causa Brüderle/Himmelreich hat hohe Wellen geschlagen und die Sexismus-Debatte neu entfacht. Wo verläuft für Sie die Grenze zwischen peinlicher Anmache und ernstzunehmendem Sexismus?

Da gibt es keine Grenze. Schon die „peinliche Anmache“ ist sexistisch. Weil sie Frauen beschämt, in die Enge treibt, auf das Objektsein zurückwirft. Eine Grenze gibt es nur zwischen dem Flirt – auf Augenhöhe und gegenseitig! – und dem Sexismus: Anmache von oben nach unten, vom blöden Spruch bis zur Vergewaltigung.

Neben der Sexismus-Debatte wird hierzulande auch die Einführung einer gesetzlich geregelten Frauenquote heiß diskutiert. Gegner dieser Quote sehen die Entscheidungsgewalt der Unternehmen dadurch beeinträchtigt. Firmen könnten durch die Quote verpflichtet sein, kompetenteren männlichen Bewerbern abzusagen. Wie entgegnen Sie diesem Argument?

Quoten sind immer Krücken. Und es ist ja auch rein rechtlich nicht ganz unproblematisch, Sonderrechte für eine Menschengruppe einzuführen. Ich habe also ein durchaus kritisches Verhältnis zur Quote. Aber die letzten Jahrzehnte vergeblichen Argumentierens und Bittens in Politik wie Wirtschaft haben uns belehrt: Es geht nicht ohne Quote. Führen wir sie also ein – und hoffen, dass sie bald überflüssig wird.

Alice Schwarzer am Rednerpult der 17. Karlsruher Gespräche: In ihrem Vortrag widmete sich die Feministin den Rechten der Frauen in islamischen Ländern. (Foto: Maren Müller)
Alice Schwarzer am Rednerpult der 17. Karlsruher Gespräche: In ihrem Vortrag widmete sich die Feministin den Rechten der Frauen in islamischen Ländern. (Foto: Maren Müller)

Ihre Rede bei den Karlsruher Gesprächen handelte von der Unterdrückung der Frauen in islamisierten Ländern wie dem Iran. Warum scheinen es islamistische Staaten „einfacher zu haben“, Frauen bewusst zu unterdrücken?

Das ist eine reine Machtfrage. Zum einen gelten in den islamischen Staaten, die den Gottesstaat und die Scharia eingeführt haben oder für erstrebenswert halten, Frauen als Menschen zweiter Klasse: juristisch wie gesellschaftlich. Sie haben keine vollen Bürgerrechte und sind laut Familienrecht relative Wesen: abhängig von Vater, Bruder oder Ehemann. Zum zweiten regiert in diesen Gesellschaften die nackte Gewalt. Nicht nur über die Frauen, über alle, die nicht mindestens fünfmal am Tag auf die Knie fallen. Nur mit Gewalt kann zum Beispiel der Iran seine Schreckensherrschaft aufrecht erhalten. Ein Teufelskreis, zu dessen Durchbrechung der Westen bisher wenig beigetragen hat. Im Gegenteil. Leider.

Sie haben davon gesprochen, dass verunsicherte Männlichkeit ein Nährboden für Frauenfeindlichkeit sein kann. Wie kann es gelingen, die Rolle der Frau zu stärken, ohne die des Mannes dabei zu schwächen?

Eine gute Frage. Und eine schwierige. Solange Männlichkeit damit identifiziert wird, dass ein „echter“ Mann der „echten“ Frau überlegen sein muss – stärker sein, mehr verdienen, nie weinen etc. – solange haben wir eine Schieflage. Für Männer wie Frauen. Ich meine, wir sollten uns in der Mitte treffen: einfach Menschen sein, Individuen eben mit wechselnden Stärken und Schwächen. Und in die Richtung muss auch die Erziehung der Jungen und Mädchen gehen: also bei beiden keine Bestärkung der jeweiligen eh schon tief geprägten Männlichkeit bzw. Weiblichkeit, sondern eine Erziehung zur Menschlichkeit.

Sie fordern die Frauenrechtlerinnen in unserer heutigen Zeit dazu auf, stolz auf ihre feministischen Vorgängerinnen zu sein. Inwiefern erfüllt es Sie selbst mit Stolz, wenn Sie auf Ihre bisherigen Verdienste zur Stärkung der Frauenrolle zurückblicken?

Wenn man anfängt, stolz auf sich selber zu sein, sollte man sich gleich begraben lassen. Sicher, mit einigem, was ich erreicht oder überlebt habe, bin ich zufrieden. Aber gleichzeitig sind für mich die Dinge im Fluss. Gerade ist die aktuelle EMMA erschienen – schon stecke ich in der Planung für die nächste Ausgabe. Und nebenher bereite ich die Herausgabe eines Buches über den „Sexismus im Beruf“ vor („Es reicht!“ erscheint Mitte April bei Kiepenheuer & Witsch). Sie sehen: Eher Ausblick als Rückblick.

Weitere Informationen: www.aliceschwarzer.de

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Die lange Nacht der kleinen Revolutionen

Mit der Dokumentation „Afghanische Frauen am Steuer“ von Sahraa Karimi startete die Arte- Filmnacht der 17. Karlsruher Gespräche. Spannende Dokus und überraschende Reportagen standen auf dem Programm. Johanna Fischer war da und fasst den Abend zusammen.

„Das kann mir keiner mehr nehmen!“, sagt die 30-jährige Soheyla stolz in die Kamera. Gemeint ist damit ihr Führerschein, den die Afghanin trotz aller Widrigkeiten gemacht hat. Autofahren ist für sie gleichbedeutend mit Freiheit. Sie erzählt von ihrem Traum: Ein Auto und eine endlose Straße vor sich. Niemand der sie einschränkt. Nur sie und ihr Auto. Die absolute Freiheit.

Die Dokumentation begleitet vier Frauen auf ihrem Weg zum Führerschein. Eine Etappe auf dem Weg zur Emanzipation. Die Frauen kommen aus völlig verschiedenen Gesellschaftsschichten. Malihe, die Ärztin, die nicht mehr ihren Nachbarn fragen will, ob er sie zur Arbeit fährt, wenn ihr Mann nicht zuhause ist. Sodeje, deren Mann im Krieg ein Bein verloren hat und die einen Job sucht um ihre neunköpfige Familie zu unterstützen. Sina, die Lehrerin und Soheyla, eine alleinerziehende Mutter, die sich den Traum vom Führerschein schon verwirklicht hat.

Das Musical von der Verdammnis

Revolutionär geht es weiter mit „Missionare im Gleichschritt – die Jesus Revolution Army“ einer Dokumentation von Britta Mischer und Haike Stuckmann. Begleitet werden junge Menschen während ihrer Ausbildung zu Missionaren. Der Alltag ist militärische organisiert. Sechs Uhr: Aufstehen. Noch vor dem Frühstück eine Stunde Meditation mit Gott. Nach dem Frühstück drei Stunden Tanztraining für die anstehende Konzertreise durch ganz Europa. Hier führen die Missionare ihr Musical „The End of the Ages“ auf. Prophezeit wird den Zuschauern die Verdammnis. Die einzige Rettung: Jesus Christus. Am Ende der Vorstellung sieht man weinende Kinder, die erleichtert sind, dass Jesus sie retten wird.

Vier Monate dauert die Ausbildung zum Missionar, danach kommen acht Monate Missionarsarbeit dazu. Umsonst ist das ganze natürlich nicht: 750 Euro pro Monate sind von den Teilnehmern zu entrichten. Stephan Christiansen, der Gründer der Jugendbewegung, zieht die Jugendlichen bei seinen Auftritten in seinen Bann. Man sieht Anhänger die im Gottesdienst vom heiligen Geist beseelt, unbekannte Wörter von sich geben. Bei aller Anstrengung modern und jugendlich zu erscheinen, ist der Kern der religiösen Bewegung eine fundamentale Auslegung der Bibel. Für Homosexualität, Sex vor der Ehe oder gar die Evolutionstheorie ist hier kein Platz.

Erst häkeln dann beichten

Sündiges Kunsthandwerk aus Koniaków (Bild: Arte)
Sündiges Kunsthandwerk aus Koniaków (Bild: Arte)

Für eindeutig mehr Sympathien im Publikum sorgen „Sündige Maschen made in Polen“. Dorothe Dörholt führt die Zuschauer in das polnische Bergdorf Koniaków. Weltweit bekannt für sein traditionelles Handwerk in Form von gehäkelten Tischdecken. Aber die Tischdecken verkaufen sich nicht mehr und die Frauen des Dorfes waren gezwungen auf andere Weise das Überleben ihrer Familien zu sichern. „Stringis“ lautet die sündige Antwort auf das Problem. Frauen jeden Alters häkeln hier inzwischen Unterwäsche und verschicken sie in die ganze Welt. Und sie passen sich ihrer Klientel an. Große Größen für die USA, kleine für Japan.

Die Älteren des Dorfes sehen das nicht gern – vor allem die Männer. Für den Papst hätten sie gehäkelt, ihre Tischdecken liegen in Königshäusern und jetzt bedecken sie Hintern, empört sich der Ehemann einer 75-jährigen Stringishäklerin. Trotzdem übernimmt er inzwischen die Hausarbeit, während seine Frau häkelt. Die Frauen häkeln weiter, auch wenn manch eine nach jedem fertigen „Stringi“ erst mal zur Beichte geht.

Pop Islam steht als nächstes auf dem Programm. Die Dokumentation von Ismail Elmokadem aus dem Jahre 2010 zeigt den steinigen Weg des religiösen Musiksenders „4Shbab“. Kann man moderner Musikliebhaber und trotzdem ein guter Muslim sein? Das ist die Frage, der die Dokumentation nachgeht. Der Gründer des Musiksenders ist davon fest überzeugt. Stößt dabei aber immer wieder auf Widerstand von religiösen Würdenträgern. Aber er kämpft weiter für seine Idee, auch wenn er sich manchmal fragt: „Wenn Gott allmächtig ist, warum macht er es mir dann nicht ein bisschen leichter?“

Die Suche nach der verlorenen Zeit

Wen diese Eindrücke hungrig gemacht haben, der konnte sich im Foyer bei Suppe, Brot und Wein beim vorgezogenen Mitternachtsimbiss stärken. Um Mitternacht ging die Filmnacht mit „Speed- Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ in die letzte Runde. Der Dokumentarfilmer Florian Opitz hat sich die Frage gestellt, warum er immer weniger Zeit hat. Auf der Suche nach Antworten begegnet er Zeitmanagement-Gurus, Burnout-Experten oder Zukunftsforschern. Als Gegenpol besucht er unter anderem die Bergbauernfamilie Batzli im Berner Oberland oder den Minister für Bruttonationalglück in Bhutan. Die Lösung, auf die Florian Opitz am Ende kommt, ist eigentlich ganz unkompliziert: Einfach mal öfter Rechner und Smartphone ausschalten.

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